Politischer Terror in Burundi "Man muss wieder aufpassen, was man sagt"

Parteijugend des Präsidenten Nkurunziza in Burundi
Foto: CARL DE SOUZA/ AFPDas zentralafrikanische Burundi ist eine Blackbox, außer Propagandameldungen dringt von dort kaum etwas nach außen. Das gilt umso mehr, seit Präsident Pierre Nkurunziza internationale Beobachter des Landes verwies, um fortan ungestört seine Macht zu sichern.
2015 ließ sich Nkurunziza - im Widerspruch zur Verfassung - zum dritten Mal im Amt bestätigen. Es kam zu Unruhen, die Sicherheitskräfte reagierten brutal. Seither sind Hunderte Menschen verschwunden, offiziell gelten sie als vermisst.
Uno-Ermittler berichteten von frischen Massengräbern, danach durften sie nicht mehr arbeiten. Journalisten oder auch nur Menschen, die mit ausländischen Reportern gesehen werden, landen auf unbestimmte Zeit in Haft oder "verschwinden" ebenfalls. 400.000 Menschen sind bislang geflohen.

Verena Stamm in Burundi
Foto: Burundikids e.V.Unter diesen Bedingungen arbeitet die Deutsche Verena Stamm, 68. Als Entwicklungshelferin setzt sie sich seit mehr als vier Jahrzehnten vor allem für Vertriebenenfamilien und Kinder ein.
Vor 44 Jahren wanderte Stamm mit ihrem burundischen Mann in dessen Heimatland aus. Ihr Verein Burundikids e.V. hilft Waisenkindern, deren Zahl laut Stamm zuletzt stark gestiegen ist. Für ihre Arbeit wurde sie Anfang November vom deutschen Staat geehrt.
SPIEGEL ONLINE: Frau Stamm, Ihnen wurde in Burundi das deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen. Was bedeutet Ihnen das?
Stamm: Es war eine schöne Überraschung. Ich war platt, als ich davon erfuhr. Und es gibt mir mehr Sicherheit.
SPIEGEL ONLINE: Wegen der politischen Lage im Land?
Stamm: Ja. Der Orden hilft, die Behörden gehen vorsichtiger an einen heran. Der burundische Außenminister war bei der Verleihung.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrer Rede sprachen Sie von Mauern in den Köpfen, was meinten Sie damit?
Stamm: Die Verleihung fand am Jahrestag des Mauerfalls statt. Mir ging es um Gedanken, die man in Burundi nicht äußern darf. Die ethnischen Konflikte von früher, Hutu gegen Tutsi, waren 2005 eigentlich befriedet. Die jetzige Regierung arbeitet daran, wieder Mauern zwischen den Volksgruppen aufzubauen.
SPIEGEL ONLINE: Ist ein erneuter Völkermord denkbar?
Stamm: Schwer zu sagen. Es läuft wirtschaftlich schlecht, und die Tutsi, die hier eine Minderheit sind, werden wieder als Sündenbock benutzt. Noch wichtiger als die Ethnie ist aber, wie man zu Nkurunziza steht: Ist man nicht für ihn oder kritisiert das, was er unternimmt, ist man gegen ihn.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben in Ihren mehr als 40 Jahren in Burundi viel Gewalt miterlebt. Arbeiten Sie auch politisch?
Stamm: Meine Arbeit ist rein humanitär, dazu gehört die Verteidigung der Menschenrechte, speziell von Kindern und Frauen. Das wird schon manchmal als politisch gewertet. 2000 hatte die damalige Regierung für die Familien von Hutu-Rebellen Camps oberhalb der Hauptstadt angelegt und sie dort interniert, um die Rebellen zu verunsichern. Es gab keine Schulen, also habe ich mit einer deutschen Architektin oberhalb von Bujumbura Schulen gebaut. Ich durfte alles tun, solange ich nicht darüber sprach.
SPIEGEL ONLINE: Wie hat sich Ihr Leben seit Beginn des Konflikts 2015 verändert?
Stamm: Heute muss man wieder aufpassen, was man sagt, tut und wo man hingeht. Vor einem Jahr wurde mein Mann für einige Tage eingesperrt, wegen angeblicher Verstrickung in einen Mord. Er wird belästigt, obwohl er kein radikaler Oppositioneller ist. Und wenn mich jemand anschwärzt, kriegt auch er den Ärger.
SPIEGEL ONLINE: Wie funktioniert die Schikane?
Stamm: Mein Mann ist recht bekannt, die Behörden melden sich bei ihm oder die Polizei kommt vorbei. Gegen die einfache Bevölkerung wird die Jugendliga von Nkurunzizas Partei, die Imbonerakure, eingesetzt. Denen wird erzählt, sie seien die Elite. Wenn sie dann noch etwas Geld bekommen, gehen sie auf alle los, die ihnen als Feind präsentiert werden.
SPIEGEL ONLINE: Wie hat das Ihre Arbeit verändert?
Stamm: Neben Schulen betreibt mein Verein auch Waisenhäuser. Seit zwei Jahren nehmen wir immer mehr Kinder ohne Eltern auf, weil die eingesperrt wurden oder anders verschwunden sind. Manche Kinder wurden angeschossen. Ein Junge, den ich nach Deutschland bringen will, hat noch zwei Kugeln im Körper.
SPIEGEL ONLINE: Was ist ihm passiert?
Stamm: Er hat wie viele Jugendliche im April 2015 gegen die Regierung demonstriert. Seine Schule liegt in einem Stadtteil, der als Rebellenviertel gilt. Er wurde auf dem Heimweg von der Schule angeschossen. In den Tagen gab es viele Verwundete, Ärzte ohne Grenzen musste eine Art Kriegskrankenhaus einrichten.
SPIEGEL ONLINE: Wer setzt sich in Burundi noch für Menschenrechte ein?
Stamm: Das Personal des Menschenrechtskommissariats der Uno hatte zu Beginn noch Zugang zu Geheimdiensteinrichtungen und Gefängnissen. Als sie dann Berichte über Massengräber und sexuelle Gewalt gesammelt hatten, wurden ihnen die Besuche verboten und die Mitarbeiter des Landes verwiesen. Seit auch noch der Internationale Strafgerichtshof ermittelt und Sanktionen verhängt wurden, wird regelmäßig gegen Uno und EU demonstriert. Allerdings protestieren da Bauern mit englischen oder französischen Plakaten, die sie selbst nicht lesen können. Sie werden von der Jugendliga zum Protestieren gezwungen.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt totalitär.
Stamm: Ist es auch. Wie das benachbarte Ruanda ist auch Burundi ein Überwachungsstaat. Aber anders als unter dem ruandischen Präsidenten Paul Kagame fehlt hier das Positive, die Entwicklung. Ruanda zieht Investoren an, Burundis Präsident lässt nur ständig neue Fußballplätze bauen. Vielleicht, weil er früher Sportlehrer war und die deshalb so gerne einweiht.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es auch etwas, das die Nachbarländer eint?
Stamm: Die Präsidenten Kagame und Nkurunziza haben beide in früherster Jugend das Grauen eines Völkermords erlebt. Beide sind davon traumatisiert.
SPIEGEL ONLINE: Halten Sie einen Krieg zwischen Ruanda und Burundi für möglich?
Stamm: Einen klassischen Krieg wird es eher nicht geben. Aber inoffiziell, über Milizen und Rebellen, kann das schon passieren.
SPIEGEL ONLINE: Ist ein Umsturz in Burundi denkbar, bei all der staatlichen Kontrolle?
Stamm: Die Regierung ist sehr unbeliebt, weil sie mit allen Mitteln versucht, an Geld zu kommen. Es wird zu Spenden aufgerufen, neuerdings wird Staatsbediensteten ein Teil des Lohns abgezogen, um die Wahlen in zwei Jahren zu finanzieren. Es gibt neue Ausweise, neue Führerscheine, alles gegen Gebühren. Der Regierung fällt immer etwas Neues ein, um den Leuten Geld abzunehmen. Und sie hat das Land fest im Griff.