Bush-Herausforderer Bandenkrieg gegen Dr. Dean

Mit scharfen Attacken gegen George Bush, den Krieg und die "Feigheit" der eigenen Partei hat sich Howard Dean an die Spitze der demokratischen Präsidentschaftsbewerber gesetzt. Nun schlägt das Partei-Establishment zurück.

Washington - Senator Kerry wahrt die Form, als er seinen Rivalen abkanzelt: Er nennt keinen Namen. Das muss er auch nicht. Im Publikum in Philadelphia weiß ohnehin jeder, wer gemeint ist.

Der Senator aus Massachusetts schimpft gerade gegen jene, die George W. Bushs gigantische Steuersenkungen wieder zurücknehmen wollen - und zwar voll und ganz. "Das wäre nicht nur schlechte Wirtschaftspolitik", mahnt Kerry. "Es ist auch schlechte Taktik". Sollen die Demokraten etwa Millionen Wähler vergrätzen, die sich schon gewöhnt haben an ihre Extra-Dollars?

Der Mann, der just das riskieren will, steht auf dem Podium ein paar Meter neben Kerry. Er heißt Howard Dean, ist studierter Mediziner, 54 und Ex-Gouverneur des liberalen Mini-Staates Vermont. In Philadelphia hat er sich, wie anderswo schon oft, zum Schau-Debattieren mit seinen Parteigenossen getroffen, die wie er 2004 Präsident werden wollen anstelle des Präsidenten.

"Wollen wir Frust ablassen oder regieren?"

Etwas aber ist diesmal anders. Seit ein paar Wochen gilt Dr. Dean, lange ein Nobody, als der Überraschungsfavorit im Rennen um die Nominierung. Gerade prangte sein Gesicht zeitgleich auf den Titeln von "Time" und "Newsweek" - ein medialer Doppel-Coup. Für Dean reicht es nun nicht mehr, nur gegen Bush zu zürnen - er muss sich auch gegen die alte Garde der Demokraten verteidigen. Gegen Kongress-Veteranen wie Joe Lieberman, Dick Gephardt - und John Kerry, der sich wohl schon als Kandidat gesehen hatte.

"People-Powered Howard", der klein gewachsene Ex-Ringkämpfer und Liberale aus dem Nordosten, hat seine Partei in Aufregung versetzt, im guten wie im schlechten Sinne. Während die Basis auf einen neuen Volkstribun hofft, der Wähler gegen Bush mobilisiert, erblickt das Establishment einen falschen Propheten.

"Wollen wir Frust ablassen oder wollen wir regieren?", beschreibt Evan Bayh das Dilemma der Opposition im dritten Jahr Bush. Senator Bayh leitet den Democratic Leadership Council, einen Zirkel einflussreicher Gemäßigter, der Al Gore und Bill Clinton an die Spitze verhalf. Dean-Kritiker wie er blättern in diesen Tagen oft in Amerikas Wahl-Annalen und ziehen bedrohliche Vergleiche. Gewinne Dean die Nominierung, werde er enden wie George McGovern - der Vietnamkriegs-Gegner, der in 49 der 50 Staaten gegen Richard Nixon verlor.

"Fahrkarte nach nirgendwo

Dean sei zu links, zu wütend, zu nah am Pazifismus, tönt auch Senator Lieberman. Wer diesen Populisten nominiere, kaufe "eine Fahrkarte nach nirgendwo". Deans Ideen - eine offizielle Untersuchung der Kriegspropaganda, staatliche Gesundheitsversicherung für alle, eheähnliche Rechte für Schwule und Lesben - lägen vielleicht demokratischen Parteiaktivisten am Herzen. Der Mainstream-Wähler werde sich abwenden.

Nicht nur Wahltaktik ist im Spiel bei diesem Wettstreit zwischen Herz und Verstand - sondern auch persönlicher Neid. "Die Bewerber alter Schule, vor allem Gephardt und Lieberman, haben in allen Umfragen unter Demokraten an Boden verloren", sagt Garrison Nelson, Politik-Professor in Deans Heimat Vermont, zu SPIEGEL ONLINE. "Nur Dean hat sich beständig verbessert, weil er frischer und aufregender wirkt." Deshalb habe das Establishment keine Wahl - es müsse sich gegen den Störenfried verbünden. Schon jetzt seien Mitarbeiter Kerrys in Vermont unterwegs und "schnüffeln hier herum" - auf der Suche nach irgendeinem unerquicklichen Geheimnis aus Deans Vergangenheit.

In den nächsten Monaten, glauben viele, steht den Demokraten ein veritabler Bandenkrieg bevor - Liebermans und Kerrys erste Attacken seien da noch harmlos. "Es ist ein bisschen wie bei der Mafia", zitiert "Time" den Strategen eines Dean-Rivalen. Keine Familie wolle als erste losschlagen, "keine will das Blut in ihr Haus bringen". Aber losschlagen würden sie bestimmt. Larry Sabato, renommierter Politologe an der University of Virginia, sieht das ähnlich. "Ich weiß sicher, dass die Senatoren Edwards und Kerry Dean auch persönlich absolut nicht ausstehen können", sagt er.

Ein unschuldiges Opfer wäre Dean kaum - er hat den Gegenangriff mit beharrlichen Lästereien provoziert. "Wir können George Bush nicht schlagen, wenn wir versuchen, wie er zu sein", lautet eine seiner höflicheren Losungen.

85.000 versus 9000

Deutlicher wird ein TV-Spot, der jüngst im wichtigen Vorwahlstaat Iowa lief. "Hallo, ich bin Howard Dean. Es ist Zeit für die Wahrheit", sagt der Mann, der sich vor einem Traktor postiert hat. Und später: "Viele Demokraten in Washington haben Angst, für ihre Ideale gerade zu stehen." Bei einem Bewerber-Schaulaufen stellte sich Dean als Kandidat des "demokratischen Flügels der demokratischen Partei" vor. Zu viel des Hohns für Lieberman oder Kerry, die im Kongress wohl eher aus Taktik denn Überzeugung für Bushs Kriegsresolution stimmten.

Noch sei völlig offen, wie eine Schlammschlacht "Alle gegen Howard" ausgehen würde, sagen die Politologen. Garrison Nelson aus Vermont glaubt, dass Gephardt, Kerry und Co. alles tun werden, um "Dean so zu provozieren, dass er in die Luft geht". Ihre Chancen stünden nicht schlecht. "Deans Sicherung brennt ziemlich schnell durch - auch mich hat er einmal angebrüllt." Ein einziger Verbal-Ausrutscher vor TV-Kameras könnte reichen, Dean aus dem Rennen zu katapultieren.

"Macht Dean keinen Fehler, könnte ihm die Verschwörung des Establishments helfen", prophezeit dagegen Sabato. Deans Anhänger würden zusammenrücken, noch energischer kämpfen. Und Bewunderer hat der streitbare Doktor zuhauf: Im zweiten Quartal hat kein Demokrat mehr Spenden gesammelt als er, viele kleine stammen von Privatleuten. Weit geschickter als seine Nebenbuhler nutzt Dean das Internet, um Aktivisten zu vereinen. Bei Meetup.com, wo sich sonst Pokerspieler oder Manga-Leser verabreden, sind 85.100 Dean-Fans registriert. John Kerry als Nächstbester kommt auf unter 9000.

Am Anfang der Woche, vor dem Bewerber-Wettstreit in Philadelphia, hat es Dean wieder geschafft: Er ließ seine Rivalen erblassen. Kurz vor Beginn der Debatte hatte er, nur einen Block entfernt, Gefolgsleute mit einer Anti-Bush-Rede beschworen. 3000 waren gekommen - erstaunlich viele für eine so frühe Phase des Wahlkampfs.

Als in der Halle die Diskussion beginnt, schreiben Zeugen, sind sie von der Straße her noch immer zu hören: Die Schlachtrufe derer, die keinen anderen wollen als "People-Powered Howard".

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