Bush-Messer Die Rache der Girlie Men

Mit teurem Direktmarketing buhlen die US-Parteien um die Wähler. 180 Millionen Dollar haben sie bisher allein für TV-Spots ausgegeben - maßgeschneidert auf demografische Zielgruppen und eine kleine Schar von Wechselwählern. Mit dürftigem Erfolg: Die Kandidaten liegen trotzdem weiter stur im Umfrage-Patt.

New York - Wir haben's ja immer schon geahnt: Demokraten sind Softies, Republikaner sind Machos. Zu diesem Fazit kommt jetzt jedenfalls eine Studie des amerikanischen TV-Quoteninstituts Nielsen und der University of Michigan. Die Demoskopen haben zum ersten Mal nachgeforscht, wie gezielt und sublim die beiden Lager im US-Wahlkampf Fernsehspots einsetzen. Das Ergebnis ist ebenso faszinierend wie erschreckend: Big Brother is spinning you.

Die Strategen von US-Präsident George W. Bush platzieren ihre Wahl-Clips am liebsten während knallharter TV-Krimis wie "Law & Order", "NYPD Blue", "JAG" oder "Cops", jener besonders bei Männern mittleren Alters populären Polizeivideo-Hitparade. Das Team von Herausforderer John Kerry dagegen zieht weiche Wohlfühl-Talkshows vor, wie sie tagsüber meist von Frauen gesehen werden, etwa "Oprah", "Dr. Phil", die "Ellen DeGeneres Show" oder auch die forsche TV-Richterin "Judge Judy". Kein Zufall: "Da liegen unsere Zielgruppen", bestätigt ein demokratischer Wahlberater.

Der Action-Held a.D. und kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger wusste also ganz genau, wovon er sprach, als er seine Gegner jetzt als "Girlie Men" verhöhnte - sprich: Demokraten. Doch während die sich laut echauffierten, kamen die Marktforscher zum gleichen Schluss: Bush ringt um die Männer, Kerry um die Frauen. Und das mit geografischer Direktmarketing-Finesse: Beide Seiten ballen ihre TV-Spots auf die ländliche Provinz des Mittleren Westens - Ohio, Michigan, Iowa, Missouri, Wisconsin. Dagegen haben 60 Prozent der Amerikaner - der Rest des Landes - bisher noch keinen einzigen Wahl-Clip zu sehen bekommen; sie leben im Tal der Unschuld.

75 Millionen Dollar für drei TV-Stunden

Nichts wird mehr dem Zufall überlassen. 180 Millionen Dollar haben die Kandidaten bisher kollektiv für ihre Fernsehwerbung ausgegeben, und über 530 Millionen Dollar insgesamt - der teuerste US-Wahlkampf aller Zeiten. Der Stimmenfang wird zur Wissenschaft für sich. So konzentriert sich "Girlie Man" Kerry, von aufwendigen Computeranalysen gesteuert, auf kommunale "Märkte" wie St. Louis, Kansas City und Cleveland, wo angeblich die meisten ihm geneigten Wechselwähler residieren. Bush setzt auf Burlington, Detroit und Sioux City.

Doch wofür? In den Umfragen dümpeln beide weiter Kopf an Kopf. Folterskandal, Irak-Debakel, die Senats-Scharade um die Schwulenehe: Nichts scheint die Wähler mehr zu rühren. Einige Demoskopen schreiben Kerry neuerdings ein leichtes Plus zu, doch war dieser PR-Schub nach der Benennung von John Edwards zum Vize-Kandidaten bei weitem nicht so stark, wie von den Demokraten erwartet. Andere Meinungsforscher sehen Bush langsam am Ende seines langen Popularitätstiefs.

So lasten alle Hoffnungen Kerrys nun auf dem Wahlparteitag nächste Woche in Boston. "Wir werden die vier Tage in Boston nutzen", sagt der demokratische Parteichef Terry McAuliffe, "um den Wählern John Kerry vorzustellen." Dass sie das für nötig halten, sagt schon viel. Mindestens 75 Millionen Dollar wird das viertägige Werbespektakel kosten, doch die TV-Sender sind der Show so überdrüssig geworden, dass sie ihr diesmal insgesamt nur noch drei Stunden Sendezeit widmen wollen.

Nachzählungen sind schon eingeplant

Derweil rüsten die Parteisoldaten schon zur letzten Schlacht. Beide Seiten hätten bereits hochkarätige Anwälteteams in Stellung gebracht, um ein womöglich haarscharfes Wahlergebnis wie im Jahr 2000 gerichtlich anzufechten, berichtet die "New York Times". Kerry wolle personell derart aufstocken, dass er "Nachzählungen in fünf Staaten gleichzeitig" bestreiten könne. Erste Strategiekurse sollen Bewerbern beim Parteitag angeboten werden.

Auch der Bush-Messer beginnt langsam am Sinn dieses ganzen Theaters zu zweifeln. Deshalb korrigiert er seine bisherige Prognose nun doch wieder drastisch. Beide Kandidaten sind ihm weder gut genug noch zu schlecht. Das Resultat: ein 530-Millionen-Dollar-Patt - mit einer 50:50-Chance auf Bushs Wiederwahl.

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