Camerons Veto Briten zerstreiten sich über Europa-Frage

David Cameron gerät wegen seines Neins zur EU-Vertragsreform in seiner Heimat immer stärker unter Druck. Nach dem Koalitionspartner Clegg rügt jetzt auch Schottlands Regierungschef das Veto des britischen Premiers in Brüssel. Eine Umfrage der "Times" zeigt allerdings große Zustimmung bei den Wählern.
Camerons Veto: Briten zerstreiten sich über Europa-Frage

Camerons Veto: Briten zerstreiten sich über Europa-Frage

Foto: ? Suzanne Plunkett / Reuters/ REUTERS

London/Hamburg - Den ersten großen Stein warf Nick Clegg. David Camerons Koalitionspartner und Stellvertreter sprach am Wochenende von bitterer Enttäuschung über das Veto des Premiers zur Änderung der EU-Verträge. Nun folgt weitere Kritik. Schottlands Regierungschef Alex Salmond beklagt sich ebenfalls über Camerons Haltung in Brüssel. Cameron habe einen "groben Fehler begangen, als er offenkundig die gesamte Beziehung Großbritanniens zur EU geändert" habe, schrieb Salmon dem Premier in einem offenen Brief, aus dem die Agentur PA in der Nacht zum Montag zitierte. Durch Camerons Schritt habe Großbritannien jede Glaubwürdigkeit in EU-Verhandlungen über eine Reihe von Bereichen verspielt, die für Schottland von hoher Bedeutung seien.

Salmond sah in dem Vorgehen Camerons weitreichende Auswirkungen auf die Beziehungen von Schottland, Wales und Nordirland zur EU. Cameron habe praktisch im Alleingang Großbritannien von Europa isoliert. Auch aus Cardiff kamen kritische Worte. Dort bedauerte Carwyn Jones, Regierungschef von Wales, dass Großbritannien künftig nicht mehr an Gesprächen über die EU-Verträge beteiligt würde, obwohl diese Gespräche die Euro-Zone und "letztlich auch Großbritannien und Wales" betreffen.

Von einer "überwältigenden Zustimmung" britischer Wähler für Cameron berichtet allerdings die "Times". Die konservative Zeitung gab eine Umfrage bei Lesern in Auftrag - demnach halten 57 Prozent das Nein Camerons zur EU-Vertragsreform für richtig. Nur 14 Prozent lehnten demnach seine Entscheidung ab. Selbst von denen, die bei der letzten Wahl die traditionell eher Europa-freundlichen Liberaldemokraten gewählt haben, stimmten nun 49 Prozent Camerons Kurs zu.

Cameron hatte sich beim EU-Gipfel am vergangenen Freitag in Brüssel als Einziger geweigert, einem zwischenstaatlichen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin zuzustimmen, weil die EU-Staaten nicht den von ihm geforderten Ausnahmeregeln für den Londoner Finanzplatz zustimmen wollten. Die angestrebte Vertragsveränderung mit allen 27 EU-Staaten war damit gescheitert, woraufhin die 17 Euro-Länder allein einen Haushaltspakt schmiedeten.

Salmonds Schottische Nationalpartei hatte bei den Regionalwahlen in Schottland im Mai einen überragenden Sieg errungen. Sie plant innerhalb der kommenden vier Jahre ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich.

Auch aus anderen Bereichen war Cameron schon Ablehnung für seine Haltung entgegengeschlagen. Wirtschaftsexperten fürchten erhebliche negative Auswirkungen für die britische Ökonomie, die Cameron nach eigener Aussage schützen wollte.

Koalitionspartner Clegg hatte sich am Wochenende in einem BBC-Interview bitter über Camerons Weg beschwert. Er befürchte, dass Großbritannien "innerhalb Europas an den Rand gedrängt und isoliert" werde. Das aber sei seiner Meinung nach "nicht gut für den Arbeitsmarkt, nicht gut für das Wirtschaftswachstum, nicht gut für die Familien in diesem Lande". Seine Partei werde sich darum bemühen, dass sich daraus kein permanenter Zustand der Isolation vom Rest der EU entwickelt.

Auf die Frage, ob Clegg also den Experten recht gebe, die nun behaupten, dass der britische Finanzsektor nach Camerons Veto ungünstiger dastehe als vorher, antwortete Clegg: "Das könnte sein." Auch in seinem eigenen Wahlbezirk hätten die Geschäftsleute, die Güter produzierten und nach Europa exportierten, nun Angst davor, was Camerons Entscheidung für sie bedeuten könnte. Das Veto sei "schlecht für Großbritannien".

Auch innerhalb der konservativen Tory-Partei herrscht Aufruhr. Die erstarkten Euro-Skeptiker unter den Tories, die am liebsten gleich den kompletten Austritt aus der europäischen Staatengemeinschaft vollziehen würden, feiern den Premier als Helden. Aber in den Reihen der EU-Pragmatiker rumort es kräftig.

An vorderster Front steht Ken Clarke, derzeit Justizminister: Er bat um einen persönlichen Termin mit Cameron, bevor der Premier sich am Montag dem Parlament erklären will. Worum es ihm geht, hatte Clarke bereits am Freitag in einem Radiointerview deutlich gemacht: Er habe Camerons Verhalten bei den Verhandlungen in Brüssel als "enttäuschend, überraschend und höchst befremdlichen Ausgang der Ereignisse" empfunden. Da gebe es Klärungsbedarf.

ler/dpa/AFP
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