Catherine Chin, Singapur "Die Inflation macht uns sehr zu schaffen"
Mein Mann ist selbständig. Er arbeitet als Kammerjäger. Morgens, wenn die Kinder in der Schule sind, helfe ich ihm dabei. Wenn die Geschäfte gut gehen, haben wir ein paar Teilzeit-Arbeiter. Wir sprühen meist in Privathäusern einmal im Monat gegen Moskitos und anderes Ungeziefer. Das ist in den Tropen wichtig, damit sich keine Krankheiten ausbreiten.
Wie die meisten Familien in Singapur, leben wir in einem Wohnblock, den die Regierung gebaut hat. Die Wohnung liegt in Choa Chu Kang, einem Viertel am Stadtrand. Wir haben sie vor neun Jahren gekauft und müssen den Kredit noch abzahlen. Die Wohnung ist groß und geräumig, aber nicht luxuriös ausgestattet.
Die Inflation macht uns seit einem halben Jahr sehr zu schaffen. Eigentlich können wir nichts mehr sparen, obwohl ich an allen Ecken und Enden versuche, unsere Kosten zu reduzieren. Die Urlaube sind gestrichen, wir gehen nicht mehr ins Kino und an Geburtstagen gibt es keine großen Feiern mehr - wir essen dann zu Hause. Ich hasse es jetzt, einkaufen zu gehen. Ich kriege jedes Mal einen Schock an der Supermarktkasse.
In meinem Haushalt sind sieben Mäuler zu stopfen. Ich habe drei Kinder im Alter von fünfzehn, elf und acht Jahren, mein Mann ist 45 Jahre alt. Dazu lebt meine 66-jährige Mutter bei uns - und eine Haushaltshilfe aus den Philippinen. Noch vor einem halben Jahr benötigte ich 600 Singapur-Dollar (umgerechnet 281 Euro) pro Monat zum Einkaufen von Lebensmitteln. Dann gingen die Preise hoch.
Billiger Reis, kein frisches Fleisch, nur Sonderangebote
Zuerst begannen wir, billigeren Reis zu kaufen: nicht mehr die edle thailändische Reissorte "Königlicher Schirm", sondern nur noch normalen Haushaltsreis. Wir benutzen jetzt auch unsere Bonuspunkte, die wir beim Tanken sammeln, und bekommen dafür kostenlosen Reis. Zudem haben wir von frischem Schweinefleisch auf tiefgefrorenes umgestellt. Wir gehen in günstigere Supermärkte und achten streng auf Sonderangebote. Aber trotz all dieser Sparmaßnahmen, kriege ich mein Kassenbuch nicht mehr unter 900 Dollar im Monat gedrückt.
Auch die Energiepreise haben unser Leben geändert. Jetzt bricht die heiße Jahreszeit in Singapur an. Aber während wir früher jeden Abend in unserer Wohnung die Klimaanlage anstellten, warten wir jetzt bis kurz vorm Schlafen gehen. Dennoch ist unsere Stromrechnung um gut ein Drittel auf etwa 300 Singapur-Dollar gestiegen.
Dazu muss man wissen, dass eine durchschnittliche Familie hier nur zwischen 2000 und 3000 Dollar im Monat verdient. Aber allein Schulbücher und Uniform für meinen Ältesten kostet fast 500 Dollar im Jahr. Wenn jetzt die Benzinpreise noch mehr steigen, wird das auch der Firma meines Mannes schaden.
Dabei geht es uns noch ganz gut. Gestern rief eine Freundin an und sagte: "Vor einem halben Jahr kosteten drei Bündel Gemüse noch zwei Dollar, jetzt kostet allein ein Bündel 1,50 Dollar. Was soll ich tun, ich habe vier Kinder."
Unsere Kirche hat jetzt eine Suppenküche
Wir sind katholisch und ich leite die Sonntagsschule. Der Besuch kostet pro Familie 15 Dollar im Jahr. Am vergangenen Wochenende musste ich die Gelder einsammeln. Da kam ein Vater und sagte: "Catherine, es tut mir leid, aber ich kann das nicht mehr bezahlen."
Wir Chinesen achten sehr darauf, das Gesicht zu wahren. Bis ein erwachsener Mann in der Öffentlichkeit zugibt, dass er 15 Dollar nicht mehr bezahlen kann, muss viel passiert sein.
Seit kurzem haben wir deshalb in unserer Kirche eine Suppenküche eingerichtet und jeden Tag kommen mindestens 30 bis 40 Leute, die zuhause nicht mehr genug zu essen haben. Das habe ich bisher in Singapur noch nicht gesehen. Ich glaube, viele ärmere Familien, Arbeitslose und Behinderte haben durch die gestiegenen Preise ein echtes Problem.