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Anschlag auf "Charlie Hebdo" Frankreich weint

Der Terroranschlag auf "Charlie Hebdo" trifft Frankreich hart. Noch trauert das verunsicherte Land um die zwölf Toten. Doch es droht eine Spaltung: die Ausgrenzung von Muslimen, eine erstarkende Rechte.

Paris - Die Angst hat Frankreich erreicht, greifbar, hautnah: Polizei vor Kaufhäusern und Kirchen, patrouillierende Soldaten um Schulen und Bahnhöfe, die höchste Alarmstufe wurde verhängt. Die Nation rückt zusammen, Opposition und Regierung geloben Solidarität angesichts der "Barbarei". Das Blutbad am Redaktionssitz von "Charlie Hebdo" ist das schlimmste Attentat in der Geschichte der V. Republik. Ein Wendepunkt. (Hier geht es zum Liveticker, hier zu einem Kommentar).

Gerüchte hatte es in der Vergangenheit immer wieder gegeben, auch Hinweise auf drohende Anschläge. Neben den USA stand auch Frankreich stets im Visier von Terroristen - von Mordkommandos aus dem Dunstkreis von al-Qaida, seinen Ablegern aus Schwarzafrika, dem Maghreb, aus Nahost oder den professionellen Killern des "Islamischen Staates".

Vor Monaten schon hatte Premier Manuel Valls, seinerzeit noch Innenminister, vor der Gefahr durch Dschihadisten gewarnt. Frankreichs militärischer Einsatz gegen die Rebellen in Mali erhöhte das Attentatspotenzial noch. Mehrere Anschläge, so zitieren Frankreichs Medien Sicherheitskreise, seien binnen der vergangenen Wochen vereitelt worden.

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Mehrere Tote in Paris: Blutiger Anschlag auf Satiremagazin

Foto: MARTIN BUREAU/ AFP

Umso tiefer sitzt jetzt der Schock: Denn der Anschlag auf "Charlie Hebdo" ist nicht nur der von Präsident François Hollande beklagte "Akt des Terrors gegen die Freiheit der Presse".

Die Rufe der fliehenden Attentäter - "Allah ist groß" und "Wir haben den Propheten Mohammed gerächt" - zielen auf die zentralen Werte der Republik. Es geht um das Selbstverständnis als säkulare Nation, verpflichtet den Zielen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Jetzt droht Frankreichs Gesellschaft an den Bruchlinien von religiösen Überzeugungen oder ethnischen Zugehörigkeiten weiter auseinander zu driften. Schon die Debatte um Islamismus, um die Rekrutierung von Dschihadisten in Frankreich hat das innenpolitische Klima vergiftet. Selbst die fiktiven Roman-Visionen von Autor Michel Houellebecq ("Die Unterwerfung") um eine islamistische Machtübernahme hatten für neuen Zündstoff gesorgt. Der Roman war auch Titelthema von "Charlie Hebdo".

Houellebecq-Karikatur auf "Charlie Hebdo": Letzte Ausgabe vor dem Anschlag

Houellebecq-Karikatur auf "Charlie Hebdo": Letzte Ausgabe vor dem Anschlag

Foto: BERTRAND GUAY/ AFP

Treibt die Tragödie die Wähler zum FN?

Verunsicherte Bürger dürften sich in ihrem Glauben an die Ausgrenzungsparolen des Front National bestärkt fühlen - der rechten Partei von Marine Le Pen, schon bei den Europawahlen zur stärksten Formation Frankreichs aufgerückt, könnte bei den bevorstehenden Departementswahlen weiteren Zulauf erhalten. Und Frankreichs Muslime werden sich, im Internet immer wieder verunglimpft, einmal mehr in der Rolle der Opfer sehen. Als zweitklassige Bürger.

Bei der Mordserie von Mohamed Merah, der 2012 in und um Toulouse sieben Menschen überwiegend jüdischen Glaubens niederschoss, gingen die Behörden von der Tat eines Einzelnen aus. Auch Mehdi Nemmouche, der französische Attentäter auf das Jüdische Museum in Brüssel, handelte offenbar allein.

Das Mordkommando von "Charlie Hebdo" hingegen ging allem Anschein nach organisiert und hoch professionell vor - französische Handlanger eines weltweiten Kampfes gegen Kritiker des Propheten. Das bedroht den Zusammenhalt der Nation als tolerante Gemeinschaft gleichwertiger Bürger.

Noch ist die Nation vereint im Schmerz

Grund genug für die religiösen Führer der französischen Muslime, sich solidarisch auf die Seite der Mehrheit zu stellen. "Der Anschlag ist eine neue bittere Etappe beim Versuch, unsere Art des Zusammenlebens als Franzosen zu torpedieren", sagt Dalil Boubakeur, der Direktor der Großen Moschee von Paris. Und Hassen Chalghoumi, Imam des Pariser Vorortes von Drancy, sieht die ganze Nation "vereint im Schmerz": "Ganz Frankreich ist getroffen und weint."

Der Prediger, wegen seiner liberalen Ansichten selbst im Visier der radikalen Islamisten und unter Polizeischutz, spricht von einer "Barbarei", der die Muslime Frankreichs mit einem gemeinsamen Bekenntnis zur Nation entgegentreten sollten. Nur so könne man eine Verquickung von Muslimen und Islamisten vermeiden: "Beim Freitagsgebet werden wir der Opfer gedenken. Die stille Mehrheit muss gemeinsam und öffentlich auftreten, betroffen ist die ganze Republik."

Amateurvideo dokumentiert: So lief die Flucht der Attentäter

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