Tatverdächtige Chérif und Saïd Kouachi Kleine Gauner aus der Provinz

Die französischen Behörden halten zwei Brüder aus Nordostfrankreich für die Hauptverdächtigen im Fall "Charlie Hebdo". Sie waren dem französischen Geheimdienst gut bekannt. Über ihr Leben werden nun Details öffentlich. Doch viele Fragen bleiben.
Verdächtiger Said Kouachi: Ein Leben mit vielen Fragezeichen

Verdächtiger Said Kouachi: Ein Leben mit vielen Fragezeichen

Foto: AFP

Zuerst haben sie vor der falschen Tür gestanden. Zwei maskierte, schwer bewaffnete Männer in kugelsicheren Westen sind am Mittwochmorgen in das Haus Nummer 6 in der Rue Nicolas-Appert eingedrungen. Drinnen fragten sie: "Wo ist Charlie Hebdo?" So beschreiben es Augenzeugen der Zeitung "Le Monde" .

Einer der beiden feuerte einen Schuss ab, dann gingen sie wieder hinaus. Danach versuchten sie es bei der richtigen Adresse, der Nummer 10.

Was über das Vorgehen bekannt wird, wirft Fragen auf. Waren die beiden Täter wirklich so gut vorbereitet, wie die französische Polizei zunächst behauptete? Und: Wer sind die beiden Männer, die nun als Hauptverdächtige gelten?

Die Polizei kam den Brüdern zufällig auf die Spur

Zunächst war der Verdacht zufällig auf die Brüder Saïd und Chérif Kouachi gefallen: In einem zurückgelassenen Fluchtwagen im Norden von Paris fand sich der Personalausweis von Saïd Kouachi. Wenn es sich nicht um ein Ablenkungsmanöver handeln sollte, wäre dies kaum profimäßig.

Seitdem sollen weitere Indizien hinzugekommen sein, berichtet die Zeitschrift "Le Point" . Zwei Augenzeugen konnten der Polizei die Verdächtigen beschreiben - sie hatten ihre Masken abgenommen, als sie ihr nächstes Fluchtauto kaperten. Zudem hat dabei eine Überwachungskamera Aufnahmen ihrer Gesichter gemacht.

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Foto: FRANCOIS NASCIMBENI/ AFP

Merkwürdig jedoch: Einer der Augenzeugen beschrieb die Täter als "groß und schwarz". Beides trifft auf die Brüder Kouachi nicht zu. Saïd Kouachi ist laut seinem Personalausweis 1,69 Meter groß, Chérif nach Aussagen von Nachbarn ebenfalls. Es wäre allerdings nicht ungewöhnlich, wenn die Erinnerung des Augenzeugen getrübt wäre - er sah die zwei Bewaffneten nur für einen kurzen, schockierenden Moment.

Der französischen Polizei gelten die beiden Brüder weiterhin als Hauptverdächtige. Beim französischen Inlandsgeheimdienst (DGSI) und der Pariser Polizei haben sie ihre eigenen Akteneinträge, berichtet "Le Point".

Chérif wollte Fußballer werden, dann Rapper

Die Eltern der Brüder waren aus Algerien nach Frankreich eingewandert, das bis 1962 unter französischer Kolonialherrschaft stand und als Teil Frankreichs galt. Doch Chérif und Saïd, in Paris geboren, wuchsen ohne ihre Eltern auf. Diese waren früh verstorben. Die Brüder lebten in einem Heim in Rennes, heißt es in einem alten Artikel der Zeitung "Libération".

Chérif wollte als Schüler in Rennes Profifußballer werden, schreibt die Regionalzeitung "Ouest-France" . Dafür war er nicht gut genug. Also machte er ein Diplom als Fitnesslehrer. Die inzwischen volljährigen Brüder zogen nach Paris.

Mit Gelegenheitsjobs wie Pizzabote verdiente Chérif in Paris sein Geld. Doch sein großer Traum war nun, HipHop-Star zu werden. Der französische Fernsehsender France 3 zeigt Chérif in einem alten Dokumentarfilm. Die Aufnahmen von 2004 zeigen ihn mit lässigem Rapper-Habitus.

Chérif sei dem Leben und den Frauen zugewandt. Doch dies hat sich offenbar innerhalb weniger Monate geändert: Chérif geriet in den Bann des damals 27-jährigen Radikalislamisten Farid Benyettou, der Franzosen für den Dschihad im Irak begeisterte.

Im Januar 2005 sollte es für Chérif so weit sein. Doch bei seiner Ausreise nach Syrien, damals Einfalltor für den Dschihad im Irak gegen die US-Besatzung, wurde er verhaftet, berichtete die Zeitung "Libération". Er wurde deswegen zu drei Jahren Haft, davon eineinhalb auf Bewährung, verurteilt. Chérifs Anwalt zwischen 2005 und 2008, Vincent Ollivier, beschrieb seinen Ex-Klienten am Donnerstag in französischen Medien immer noch als naiven Gauner. Er sei kein überzeugter Fundamentalist gewesen.

Der Polizei sollen sie als kleine Gauner gegolten haben

Nach der Freilassung von Chérif seien die beiden Brüder als harmlose Gauner eingeschätzt worden, schreibt die Zeitschrift "Le Point"  in Berufung auf eine Polizeiquelle. In vergangenen Jahren seien sie vom Radar der Sicherheitskräfte verschwunden. Sie hätten Paris verlassen und seien nach Reims gezogen.

Nachbarn beschreiben Chérif als unauffällig und ruhig. Omar Bakari, der in derselben Moschee wie Chérif betete, sagte französischen Medien, der 34-Jährige habe mit niemandem gesprochen und sich abgesondert.

Wurden die Brüder im Nahen Osten als Dschihadisten ausgebildet? Bisher ist offen, ob die beiden Franzosen überhaupt jemals Frankreich verlassen haben. Bis 2008 hatten sie es nicht.

Ein Bekannter von Chérif, Boubaker el-Hakim, der 2008 mit ihm verurteilt wurde, soll 2013 in Tunesien zwei Morde verübt haben. El-Hakim bezeichnete sich erst als Anhänger von "al-Qaida in Nordafrika", dann als Mitglied des "Islamischen Staates". Aber ob Chérif mit seinen einstigen Dschihad-Kollegen überhaupt in Kontakt stand, ist nicht bekannt.

Auch über den Anschlag gibt es noch viel Unklarheit. Gibt es eine Verbindung zu Terrororganisationen? Die Attentäter sagten einer Augenzeugin, sie seien von al-Qaida, einem anderen Augenzeugen sagten sie, sie seien von al-Qaida im Jemen - die Qaida-Filiale, von der die letzten Anschlagsversuche im Westen ausgingen.

Mehrere US-Medien berichten, die Brüder seien 2011 in den Jemen gereist. Saïd Kouachi, der ältere der beiden Brüder, soll in dem Land an der Ausbildung lokaler Al-Qaida-Einheiten teilgenommen haben. Bisher hat keine Organisation die Urheberschaft des Attentats für sich reklamiert.

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