Charmoffensive eines Terroristen Sarkawi kämpft gegen Sympathieverlust in Jordanien
Berlin - "Dies ist eine Botschaft an die Muslime Jordaniens", heißt es in der 26 Minuten langen Aufzeichnung, die heute am frühen Abend im Internet veröffentlicht wurde. Sie wurde auf einer Internetseite publiziert, die schon mehrfach von al-Sarkawi genutzt wurde und liegt SPIEGEL ONLINE vor. In der Rede rechtfertigt Abu Musab al-Sarkawi, Anführer der irakischen al-Qaida, die Bombenanschläge in der jordanischen Hauptstadt Amman, die in der vergangenen Woche fast 60 Menschen das Leben kosteten. Zugleich aber reagiert der Terrorist, der sich bereits zu den Bomben bekannt hat, auf jordanische Proteste gegen seinen Schreckensfeldzug in seinem Heimatland und versucht seinen Ruf zu retten.
"Es wäre ein leichtes für uns gewesen, dafür zu sorgen, dass die Attentäter sich auf einem öffentlichen Platz in die Luft sprengen", sagt al-Sarkawi zum Beispiel um zu bekräftigen, dass die unschuldigen Opfer der Attentate ein Versehen gewesen seien. "Wir haben nicht einen Moment daran gedacht, sie (die Unschuldigen, die Red.) ins Visier zu nehmen." Weit über die Hälfte der Todesopfer waren Jordanier gewesen; viele mussten sterben, weil sich einer der Selbstmordattentäter in der Nähe einer Hochzeitsgesellschaft in die Luft gesprengt hatte, was die jordanische Bevölkerung schockiert hatte.
Dass ausgerechnet die drei Hotel "Radisson SAS", Hyatt Amman" und "Days Inn" angegriffen wurden, rechtfertigt al-Sarkawi damit, dass dort angeblich israelische, US-amerikanische und irakische Geheimdienstler Treffen abgehalten hätten. Die Attentäter, so der gebürtige Jordanier, "kannten ihre Ziele genau - "zwei Monate lange" habe man sie observiert. Entsprechend brüstet sich al-Sarkawi mit den getöteten Ausländern, die er allesamt der Geheimdienstarbeit bezichtigt und als gerechtfertigte Ziel betrachtet. Es ist unschwer zu erkennen, dass die Ansprache einen Versuch Sarkawis darstellt, die verloren eingebüßten Sympathien in seinem Heimatland wieder zu gewinnen.
Morddrohung gegen den König
Dass Jordanien überhaupt zum Ziel wurde, begründet er ausführlich mit der angeblichen Ungläubigkeit des Königshauses und der jordanischen Politik. In Wahrheit, so al-Sarkawi in einer fast dialektischen Verkehrung, seien die Jordanier deshalb auch nicht Opfer der Mudschahidin, sondern "Opfer dieses Regimes". Dem König Abdallah II. droht er ausdrücklich mit einem Attentat: "Wir sind in der Lage, deinen Kopf zu packen und ihn abzuschlagen".
Jordanien habe den Krieg gegen den Irak erst möglich gemacht, führt Sarkawi weiter an - und zwar, in dem es der US-geführten Allianz als Hinterland diene. Gerade erst habe die "Los Angeles Times" festgestellt, dass der jordanische Geheimdienst der wichtigste Kooperationspartner der CIA im Nahen Osten sei.
In der Ansprache, deren Authentizität noch nicht unabhängig bestätigt ist, die nach erstem Eindruck aber von Stimme und Intonation her sehr viel Ähnlichkeit mit bekannten Sarkawi-Reden hat, droht der Qaida-Chef zudem mit weiteren Anschlägen in dem kleinen Königreich. Namentlich nennt er Touristenhotels und Militärflughäfen als Ziele. Al-Sarkawi zählt auch einzelne Touristenattraktionen Jordaniens auf, etwa die Ruinenstädte Petra und Jerash - ein offensichtlicher Versuch, den Tourismus und damit die Haupteinnahmequelle des Landes weiter in Mitleidenschaft zu ziehen.
Nur, wenn fünf Bedingungen erfüllt würden, werde er von seinem Kampf gegen Jordanien absehen, erklärt der Terrorist weiter: Die britischen und amerikanischen Truppen müssten Jordanien verlassen, die US-Botschaft und die israelische Mission in Amman geschlossen, die Ausbildung irakischer Soldaten durch Jordanier beendet, die "Geheimgefängnisse für die Mudschahidin" auf jordanischem Boden aufgelöst und die diplomatischen Beziehungen Jordaniens zum Irak abgebrochen werden.
Sympathieverlust in Jordanien?
"Wie lange wollt ihr es noch mit diesem ungläubigen Regime aushalten", fragt al-Sarkawi die Jordanier gegen Ende der Aufzeichnung. Experten sind sicher, dass al-Sarkawi schon seit langem neben der irakischen auch eine regionale Agenda verfolgt und insbesondere Jordanien ins Visier genommen hat, um letztlich von dort aus Anschläge gegen Israel zu planen. In seinem Heimatland ist er bereits mehrfach zum Tode verurteilt worden, unter anderem wegen seiner Rolle bei der Ermordung eines US-Diplomaten in Amman. Bereist vor fünf Jahren hatte er Anschläge gegen Luxushotels in der Hauptstadt geplant, die aber vereitelt werden konnten.
Etwa zehn Prozent der Selbstmordattentäter, die sich unter Sarkawis Kommando im Irak in die Luft gesprengt haben, stammen aus Jordanien - das deutet darauf hin, dass der Mann in seiner Heimat durchaus Unterstützer hat. Allerdings scheint ein Teil der schweigenden Sympathisanten nach den Anschlägen der letzten Woche die Seiten gewechselt zu haben, zu Zehntausenden gingen die Jordanier erst heute wieder auf die Straße, um gegen Sarkawi zu demonstrieren. "Sarkawi, du Tier, verschwinde von hier!", hatten sie schon in der vergangenen Woche skandiert.
Ob al-Sarkawi die Fähigkeit hat, ernsthaft weitere Schläge gegen Jordanien zu führen, ist schwierig einzuschätzen. Das Land hat gut arbeitende Sicherheitsdienste. Sarkawis Ziel ist jedoch auch die Destabilisierung des Königreichs - und dazu kann auch eine mit Drohungen gespickte Rede wie die heutige beitragen, die psychologische Fortführung des physischen Terrors gewissermaßen.
Aber auch die Eindringlichkeit, mit der al-Sarkawi um die Sympathie der Jordanier wirbt, ist interessant. Sie hinterlässt den Eindruck, dass es dem Qaida-Terroristen mindestens genau so sehr um Schadensbegrenzung geht, weil er mit den Attacken der letzten Woche einen kritischen Schritt zu weit gegangen zu sein fürchtet.