Chefberater David Axelrod Der Obama-Macher
David Axelrod macht keinen Hehl daraus, dass es die Krönung seines Lebenswerkes wäre, wenn Barack Obama das Weiße Haus erobert. Und der 53-jährige Ex-Journalist aus einem linken jüdischen Elternhaus hat Erfahrung damit, schwarze Politiker in höchste Ämter zu bringen. Der erste schwarze Bürgermeister von Chicago? Harold Washington, ein Kunde von Axelrod. Dito der erste schwarze Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick.
Alle Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf haben Redenschreiber, Meinungsforscher, Werbeprofis, und Strategen. David Axelrod ist alles in einer Person - und seine Firma AKP & D ist außerdem auch für die erfolgreiche Fundraising-Strategie Obamas verantwortlich. Immer häufiger wird Axelrod als der Karl Rove der Demokraten beschrieben, also mit dem ehemaligen Mastermind von US-Präsident George W. Bush verglichen.
Axelrod steht hinter Obamas mitreißender Rhetorik vom Wandel und hehren Prinzipien - aber er scheut auch den knallharten Kampf nicht, wenn er sein muss.
Wobei die Losung von "Wandel" nicht für ihn persönlich zu gelten scheint: Axelrod wirkt auf den ersten Blick, als sei er direkt aus den sechziger Jahren in die Gegenwart gebeamt worden. Er trägt immer noch einen Schnauzbart und den wirren Kleidungsstil eines Linken aus der Epoche. Axelrods Mutter Myril, selbst eine linke Journalistin aus New York, fand jedenfalls, ihr David würde aussehen wie ein "ungemachtes Bett."
Die amerikanische Allianz von Juden und Schwarzen
David Axelrod blieb nicht nur äußerlich dieser Epoche verhaftet, sie hat ihn auch politisch geprägt. Es war nämlich eine Zeit, als Schwarze und Juden eine revolutionäre Koalition gegen das Establishment schmiedeten. Rund die Hälfte der Anwälte in der Bürgerrechtsbewegung waren jüdischer Herkunft. Und wenn sich im Süden Weiße unter die Demonstranten mischten, die gegen die Rassendiskriminierung demonstrierten - dann kam auch in dieser Gruppe jeder zweite aus jüdischer Familie. Selbst in der Welt der Musik wurde die Kulturrevolution von einem Juden und einem Schwarzen angeführt: Bob Dylan und James Brown entwarfen damals vor den Augen einer erstaunten Welt ein radikal neues Amerika.
Im politischen Konzept des Gespanns Obama/Axelrod spielt Radikalität zwar keine Rolle. Schließlich will man die Politik heute nicht mehr vor sich hertreiben man steht selbst im Fokus. Das Duo bildet eher den Ausgangspunkt eine Koalition von liberalen, weißen Oberschichten mit den schwarzen Politikern und Wählern. Wie Obama ist Axelrod ein politischer Kämpfer der Extraklasse, postideologisch, postethnisch, aber Axelrod ist durchaus mit der Gosse vertraut, wenn es sein muss. Denn ihre gemeinsame Politik wurzelt in der Politik der großstädtischen Parteimaschinerie, es geht ihnen um das Schmieden von Koalitionen und ethnischen Bündnissen. Karl Rove hat mit George W. Bush die ländliche Kultur Amerikas gegen die Großstadt in Stellung gebracht. Jetzt schlägt die Großstadt wieder zurück.
Die Geschichte von Axelrod und Obama ist aber nicht nur die Geschichte eines erfolgreichen schwarzen Politikers und eines idealistischen Juden. Eigentlich ist es die Geschichte von zwei ungewöhnlichen Söhnen zweier ungewöhnlicher Väter. Wer ein Foto des kenianischen Politikers Barack Obama Sr. betrachtet, der ahnt, dass der Sohn das Charisma von ihm geerbt haben muss - ohne dass Vater und Sohn sich wirklich gekannt haben. Denn Obama Sr. verließ Frau und Kind für ein Stipendium in Harvard und ging zurück nach Kenia und wurde Politiker. In den USA sah er als Afrikaner keine Zukunft.
Dennoch trat Obama Jr. nicht nur in Harvard in die Fußstapfen seines Vaters. Auch er wurde zum Politiker und Menschenfischer.
Axelrod hat sich dagegen eher zu einem Menschenlotsen entwickelt. Die Neigung, Menschen den Weg zu weisen, ihnen auf die Sprünge zu helfen, stammt zweifelsohne auch von seinem Vater. Denn Joseph Axelrod hat bereits mit neun Jahren (!) im Jahre 1920 einer Gruppe von Waisenkindern den Weg durch die russischen Revolutionswirren aus der Ukraine gebahnt. Das geschah zu einer Zeit, als etwa 50.000 Juden bei Pogromen ermordet wurden. Axelrods Vater, damals selbst nur ein kleiner Junge, der seine Eltern in den Wirren verloren und sie erst in Odessa wieder gefunden hat, brachte eine Gruppe jüdischer Kinder unversehrt in die ukrainische Hafenstadt. Von dort aus flohen sie ins amerikanische Exil.
Die politische Ur-Erfahrung des Gurus? Eine Rede John F. Kennedys
Sein politisches Erweckungserlebnis hatte Axelrod nach eigenem Bekunden bereits im zarten Alter von fünf, als John F. Kennedy 1960 in New York eine Rede hielt: Er war mit seiner schwarzen Kinderfrau Jessie Berry unterwegs, die ihn auf einen Briefkasten hievte, damit der kleine David dem großen Kennedy beim Reden zusehen konnte. Als Kind staunte Axelrod darüber, dass ein einziger Mensch Abertausende anderer Menschen so in den Bann ziehen konnte, dass Menschen Geschichte machen können, indem sie sich einfach versammeln. Es ist dieses Gefühl von gegenseitiger Teilnahme und Befähigung, die er jedem Wahlkampf, aber besonders dem von Obama, verliehen hat.
Mit 19 verließ Axelrod New York und ging als Student nach Chicago, wegen all der politischen Legenden, die sich in dieser Stadt der Hoffnung und der Verzweiflung angesammelt hatten. Es war Chicago, wo die ethnische Spannung und rohe Gewalt so intensiv war, dass Martin Luther King einst deklarierte, die Menschen von Mississippi könnten von Chicago lernen, wie man hasst. Und in Chicago lernte Axelrod Barack Obama in den frühen neunziger Jahren kennen.
Am Vorabend der Novemberwahl in dieser legendären Stadt der breiten Schultern, zwischen den Kindern von Einwandern aus allen Ecken Europas und den Nachfahren der Schwarzen aus dem Süden, ist Axelrod nun inzwischen selbst eine Legende. Er ist heute ein erfolgreicher Geschäftsmann mit einem Anwesen auf dem Land - und steht nun kurz davor, seinen Jugendtraum zu verwirklichen: eine präsidiale Vereidigung aus nächster Nähe zu beobachten; eine Vereidigung, die ohne seine Hilfe vielleicht nicht zustande kommen würde.
Aber am Anfang dieser steilen Chicago-Karriere passierte Axelrod etwas, das aus privater Hoffnung fast Verzweiflung werden ließ, eine Angelegenheit, die er 30 Jahre vor der Öffentlichkeit verbarg. Im Jahr 2006, am Vorabend seines bis jetzt größten Triumphs, der gewonnenen US-Kongresswahl, für die auch Axelrod der Meisterplaner war, erschien ein Artikel von ihm in der "Chicago Tribune". Er trug die Überschrift: "The Truth About my Father's Death."
Trauer und Scham über den Tod des Vaters
Als junger Student erschien 1974 eines Tages plötzlich ein Polizist im Chicagoer Studentenwohnheim von Axelrod. Der vermutete eine der üblichen Haschischrazzien. Aber es kam anders. "Ist Ihr Vater Joseph Axelrod?", fragte der Polizist. Denn sein inzwischen geschiedener Vater hatte mit 63 in seinem kleinen New Yorker Apartment Selbstmord begangen.
Erst viel später konnte Axelrod über seine Trauer und Scham schreiben: der Trauer, dass sein Vater, ein Psychologe, so einsam gestorben war, dass ein Mann, der anderen so oft geholfen hatte, in der Stunde seiner eigenen Not nicht in der Lage war, um Hilfe zu bitten. Axelrod schrieb auch von der Scham, die dieser Tod damals in ihm ausgelöst hatte, und seine Angst, dass andere ihn auch für schwach halten würden. So schwieg er 30 Jahre lang.
Nach dem Tod seines Vater ging Axelrod als Journalist zur "Chicago Tribune". Heute sagt er, dass er in der Zeitung damals eine Ersatzfamilie suchte. Er lebte quasi in der Redaktion, mit 27 war er bereits Chef des für das Rathaus zuständigen Ressorts sowie einer von Chicagos wichtigsten politischen Autoren. Dann aber wechselte er überraschend in die Politik, als Pressesprecher. Man kannte ihn als rastlosen Menschen, der immer arbeitete. Seine Kinder schliefen in seinen Armen ein, während er stundenlang telefonierte.
Letztes Jahr fragte die "Chicago Tribune" rhetorisch: "Der allseits bewunderte Polit-Guru Axelrod könnte seine Karriere damit krönen, Obama das Weiße Haus zu sichern. Aber wird das den ruhelosen Trieb in ihm bändigen können?"
Obama schreibt in seiner Autobiografie, dass Männer entweder den Erwartungen des eigenen Vaters zu entsprechen versuchen - oder sie versuchen, die Fehler der Väter wiedergutzumachen. Man kann vermuten, dass für Axelrod und für Obama beides zutrifft. Die Väter jedenfalls haben unter den dunklen Seiten des 20 Jahrhunderts gelitten.
Die Söhne wollen das 21. Jahrhundert nun aufhellen.