Propagandakrieg Assad wirft Rebellen Chemiewaffen-Einsatz vor

Das syrische Regime startet eine neue Propaganda-Offensive: Rebellen sollen bei einem Angriff mit Chemikalien versetzte Raketen eingesetzt haben. Doch solche Behauptungen sind unglaubwürdig - die Aufständischen würden sich selber schaden.
Aleppo im Februar: Scud-Raketen des Regimes zerstörten den Vorort Khan al-Assal

Aleppo im Februar: Scud-Raketen des Regimes zerstörten den Vorort Khan al-Assal

Foto: Bruno Gallardo/ dpa

Aleppo - Mindestens 26 Menschen kamen bei einem Angriff mit Chemiewaffen in der Provinz Aleppo ums Leben, meldete die Syrische Beobachterstelle für Menschenrechte in London. Allein 16 Soldaten seien dabei getötet worden. Doch wer ist für die tödliche Attacke verantwortlich?

Innenminister Omran al-Soabi behauptete, Aufständische hätten vom Bezirk Nairab aus eine mit chemischen Kampfstoffen bestückte Rakete abgefeuert. Sie sei in der Ortschaft Khan al-Assal in der Provinz Aleppo niedergegangen. Dabei seien 16 Menschen getötet und 86 verletzt worden.

Unterstützung bekam das syrische Regime von Moskau. Das russische Außenministerium warf den syrischen Rebellen vor, Chemiewaffen in der Provinz Aleppo eingesetzt zu haben. Russland hatte über den Anschlag allerdings keine eigenen Informationen, sondern berief sich aus die Berichte aus Damaskus.

Syriens Innenminister Soabi gab der Türkei und Katar wegen ihrer Unterstützung für die Rebellen die "rechtliche, moralische und politische" Verantwortung für den Angriff. Den Angriff bezeichnete er als "gefährliche Eskalation". Die Türkei wies die Beschuldigung als "haltlos" zurück.

Ein US-Beamter erklärte, Washington würden keine Erkenntnisse vorliegen, dass Chemiewaffen in Syrien eingesetzt wurden weder von den Rebellen noch von Seiten des syrischen Regimes.

Der Begriff "Chemiewaffen" wird sowohl vom syrischen Regime als auch der Opposition jedoch sehr breit verwendet. In der Vergangenheit wurden nicht nur Massenvernichtungswaffen wie etwa Senfgas als solche bezeichnet sondern auch Rauch, der bei der Explosion konventioneller Bomben freigesetzt wird und Atembeschwerden verursacht.

Rebellen machen Assads Soldaten für den Angriff verantwortlich

Es ist unwahrscheinlich, dass die Rebellen tatsächlich Chemiewaffen einsetzen könnten. Denn diese sind sehr schwierig zu handhaben. Zudem ist fraglich, warum die Aufständischen solche Kampfstoffe in der Ortschaft Khan al-Assal einsetzen sollten, wie die staatliche Nachrichtenagentur Sana, ein Sprachrohr des Regimes, behauptet. Der Vorort wird nämlich von den Rebellen kontrolliert. Die Chemikalien würden also die Aufständischen selbst treffen. Das syrische Regime verfügt über Chemiewaffen. Dass auch Rebellengruppen solche besitzen, wäre eine neue Entwicklung.

Die Rebellen wiesen denn auch die Vorwürfe des Regimes zurück - und machten ihrerseits die Armee von Diktator Baschar al-Assad für den Angriff verantwortlich. "Wir glauben, dass sie eine Scud mit chemischen Stoffen abgefeuert haben", sagte Kassim Saadeddine, ein hochrangiger Aufständischer und Sprecher des Hohen Militärrats in Aleppo. "Die Rebellen stecken nicht hinter dem Angriff." Die Opposition berichtete, kurz nach der Meldung der Nachrichtenagentur Sana sei eine Scud-Rakete in Khan al-Assal eingeschlagen.

Das syrische Regime hat bereits in der Vergangenheit solche Raketen auf Wohnviertel abgeschossen. Zudem behaupteten Aktivisten, dass in einem Vorort von Damaskus mit Chemikalien versetzte Geschosse eingeschlagen seien, die Atemnot verursacht hätten.

Der Einsatz von Chemiewaffen gilt als "rote Linie"

Das britische Außenministerium warnte Syrien. "Das Vereinigte Königreich sagt klar, dass der Einsatz oder die Verbreitung von Chemiewaffen eine ernste Antwort der internationalen Gemeinschaft erfordern würde. Wir müssten unseren bisherigen Ansatz überdenken", sagte ein Sprecher des Ministeriums.

Behauptungen, dass die eine oder andere Seite Chemiewaffen einsetzt, sind ohnehin mit Vorsicht zu genießen. So hatte auch US-Präsident Barack Obama Chemiewaffen als "rote Linie" bezeichnet, diese jedoch nicht präzisiert.

Washington hat offen gelassen, was genau die rote Linie ist: der Einsatz von Chemiewaffen gegen die syrische Bevölkerung - oder der Transfer von Chemiewaffen an Israel-feindliche Verbündete des syrischen Regimes? Unklar ist auch, welche Chemiewaffen als rote Linie angesehen würden - Massenvernichtungswaffen oder mit Chemikalien angereicherte konventionelle Bomben und Raketen? Offen ist auch, welche Konsequenzen drohen würden, sollte Assad diese rote Linie überschreiten.

Experten hatten im Dezember vermutet, das syrische Regime könnte versuchen, schrittweise die rote Linie auszuloten. Damals hatte die syrische Opposition dem Regime vorgeworfen, mit Chemikalien versetzte Bomben in der Provinz Homs eingesetzt zu haben.

ras/Reuters
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