Erste schwarze Bürgermeisterin Chicago bricht mit der Vergangenheit

Lori Lightfoot: Chicagos neue - und erste schwarze, lesbische - Bürgermeisterin
Foto: Ashlee Rezin/Chicago Sun-Times/ APLori Lightfoot kommt aus schwierigen Verhältnissen, wie man so sagt. Ihre Eltern waren mittellose Farmer, die sich mit Nebenjobs durchschlugen. Ihr Bruder Brian saß jahrelang im Gefängnis - einer der Gründe, weshalb Lightfoot eine Juristenkarriere einschlug.
Am Dienstag schrieb die Frau Stadtgeschichte: Die 56-Jährige wurde zur ersten afroamerikanischen - und obendrein ersten offen lesbischen - Bürgermeisterin von Chicago gewählt, der drittgrößten Stadt Amerikas.
"Danke, Chicago!", rief Lightfoot, nachdem sie sich in einer Stichwahl deutlich gegen die altgediente, ebenfalls schwarze Bezirksratschefin Toni Preckwinkle, 72, durchgesetzt hatte. "Heute habt ihr eine Bewegung für den Wandel geschaffen."
"They’re seeing a city where it doesn’t matter what color you are, where it sure doesn’t matter how tall you are, and where it doesn’t matter who you love."
— Lori Lightfoot (@LoriLightfoot) April 3, 2019
Lightfoot übernimmt eine Millionenmetropole, die mit harten Problemen kämpft - Gangs, Morde, Polizeigewalt, Korruption, Finanznot. Warum Chicago auch schnell das Interesse von Donald Trump weckte: Die Stadt sei ein "Kriegsgebiet", sagte der US-Präsident voriges Jahr und drohte sogar, die Nationalgarde einmarschieren zu lassen.
Dass Chicago fortan ausgerechnet von einer Schwarzen regiert wird, die die progressive Opposition repräsentiert, dürfte Trumps Laune nicht gerade verbessern.
If Chicago doesn't fix the horrible "carnage" going on, 228 shootings in 2017 with 42 killings (up 24% from 2016), I will send in the Feds!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) January 25, 2017
Zumal die Sorgen Chicagos auch die Sorgen vieler anderer US-Großstädte sind. Was allein der Kommunalwahlkampf zeigte, der, ähnlich wie gerade auch der Präsidentschaftsvorwahlkampf, in einen Richtungsstreit der Demokraten mündete - zwischen Moderaten und Linken, alter und neuer Generation.
In Chicago wiederholt sich nun das landesweite Phänomen der Kongresswahlen von 2018: Die jungen - oder jüngeren - Reformer siegten, angeführt von einer Frau, die eine Minderheit vertritt, und nicht nur eine ethnische. Die Stadt im Bundesstaat Illinois wird zum Laborfall für ganz Amerika.
Chicago bricht mit der Vergangenheit. Zwar war schon der scheidende Bürgermeister Rahm Emanuel - Barack Obamas Ex-Stabschef - 2011 angetreten, die berüchtigte Parteimaschine zu reformieren, die Chicago seit Jahrzehnten beherrscht. Er kurbelte die Wirtschaft an, doch sein sonstiges Erbe ist bestenfalls durchwachsen, vor allem aus Sicht der Ärmeren. Emanuel verzichtete schließlich auf eine dritte Amtszeit.

Rahm Emanuel: Der scheidende Bürgermeister und Obamas Ex-Stabschef
Foto: Jim Young/ REUTERS14 Kandidaten bewarben sich im ersten Wahlgang um seine Nachfolge, darunter Ex-Handelsminister Bill Daley, dessen Vater und Bruder auch schon mal Bürgermeister waren. Keiner gewann eine Mehrheit, weshalb die zwei Spitzenreiterinnen in die Stichwahl mussten - Lightfoot und Preckwinkle.
Ihr Wahlkampf war bitter, streckenweise brutal. Obwohl sie sich politisch naheliegen, war immer wieder von einer Richtungswahl die Rede, einer Schicksalswahl sogar.
In der Tat war es das klassische Duell von Outsider gegen Insider.
- Preckwinkle ist eine politische Institution in Chicago: Sie saß 19 Jahre lang fürs Problemviertel South Side im Stadtrat, unterstützte Obama, als den kaum einer kannte, ist Präsidentin des Bezirksrats und Bezirkschefin der Demokraten. Obwohl sie einst als Progressive galt, ist sie längst zum Symbol jenes Parteiklüngels geworden, der ihre Kandidatur unterstützte.
- Lightfoot dagegen ist neu in der Politik. Aufgewachsen in Ohio, zog sie 1986 zum Jurastudium nach Chicago. Sie war Strafverteidigerin, verfolgte dann als Staatsanwältin Drogendealer, Wirtschaftsbetrüger und korrupte Politiker. Später leitete sie eine Zivilkommission, die Polizeibrutalität gegen Afroamerikaner untersuchte - ein beharrliches Problem in Chicago, dessen Bevölkerung zu 30 Prozent schwarz ist.
Im Wahlkampf empfahl sich Lightfoot als "unabhängige Reformerin". "Ich stehe nicht für die Vergangenheit", sagte sie, ein Seitenhieb auf die lange Karriere ihrer Widersacherin Preckwinkle. "Ich bin nicht mit der politischen Maschine verbunden."

Die unterlegene Kandidatin Toni Preckwinkle
Foto: Scott Olson/ AFPUnd diese Maschine konnte die akuten Probleme Chicagos nicht lösen. Weiterhin kommt es zu polizeilichen Übergriffen gegen Schwarze, trotz schlagzeilenträchtiger Prozesse und Schuldsprüche. Auch die Waffengewalt scheint kaum bewältigt: Zwar sank die Zahl der Morde von 762 (2016) auf zuletzt 550 (2018). Doch das waren noch doppelt so viele wie in New York - die Stadt hat dreimal so viele Einwohner wie Chicago.
Selbst der Fall Jussie Smollett wurde zum Wahlkampfthema. Im Januar hatte der aus der TV-Serie "Empire" bekannte Schauspieler behauptet, er sei in Chicago von zwei Trump-Anhängern verprügelt worden. Doch dann klagte Bezirksstaatsanwältin Kim Foxx den offen schwulen Afroamerikaner an, den Überfall inszeniert zu haben - nur um die Anklage dann Ende März aus bisher unklaren Gründen fallenzulassen.
Die mysteriöse Entlastung Smolletts hat Chicago - und die schwarze Community - gespalten. Bürgermeister Emanuel und die Polizei haben sie schärfstens kritisiert, und auch Lightfoot nannte die Entscheidung "demoralisierend", während Preckwinkle deutlich zurückhaltender war. Eine juristische Überprüfung scheint nun wahrscheinlicher denn je.
Doch es ist das geringste Problem, mit dem die neue Bürgermeisterin ab Mitte Mai zu tun haben wird.