
Waffenschau in Peking: Gleichschritt in China
Gewaltige Militärparade China zeigt, was es hat
Der Oberkörper ist aufrecht zu halten, nur leicht nach vorn geneigt. Der rechte Arm schwingt vor, bis sich die Hand vor dem untersten Knopf der Herbstuniform befindet, der Daumen stets in einer Linie mit dem zweiten Glied des Zeigefingers. Dann stößt der linke Fuß 75 Zentimeter nach vorn, danach der rechte.
"Kraftvoll" sei die ganze Sohle auf den Boden zu schmettern - so steht es in der Anleitung für zheng bu, den Stechschritt, den sich die chinesische Armee einst von den Deutschen abschaute und dann zusammen mit sowjetischen Militärberatern verfeinerte.
Wochenlang hatte die Ehrengarde der Volksbefreiungsarmee auf einem Paradefeld bei Peking geübt, nun präsentierte sie das Ergebnis: Mehr als 10.000 Soldaten aller Waffengattungen marschierten am Tor des Himmlischen Friedens an Chinas Staatsführung und ihren Gästen vorbei, angeführt von 50 Generälen, die, chinesischen Quellen zufolge, im Schnitt mehr als fünf Kilo abgespeckt hatten, um für die Parade fit zu sein.
Panzer und Interkontinentalraketen wurden aufgefahren, Helikopter und Kampfbomber flogen. Die Heerschau zum 70. Jahrestag des "Sieges des chinesischen Volkswiderstandes gegen die japanische Aggression und des antifaschistischen Weltkriegs" war eine Demonstration der militärischen Macht des neuen China (siehe Fotostrecke).
Video: Bernhard Zand über die Parade in Peking
Nach den beiden Börsenstürzen dieses Sommers hatte die Welt mehr über die Ohnmacht als die Macht der chinesischen Führung gesprochen - umso gelegener kam Peking dieser lange vor der jüngsten Eintrübung festgesetzte Termin.
Die Liste der Gäste, die Staatspräsident Xi Jinping vor Beginn der Parade kaisergleich in der Verbotenen Stadt empfing, war nicht ganz so glanzvoll, wie es die Chinesen gern gehabt hätten. Immerhin, Russlands Präsident Wladimir Putin kam, auch Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon und seine Landsfrau, Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye. Aus Weißrussland kam Alexander Lukaschenko, aus Ägypten Abdel Fattah el-Sisi, aus dem Sudan der vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchte Präsident Umar Hassan al-Baschir. Ein paar ehemalige Regierungschefs wie Gerhard Schröder und Tony Blair hatten zugesagt, doch die meisten westlichen Staaten schickten nur Minister und Botschafter.
Während manche Gäste auf der Tribüne schon bald mit dem Schlaf rangen, schauten und hörten Militärexperten in aller Welt genau hin, als Xi Jinping seine Rede begann. China, sagte er, nachdem er über die Opfer der japanischen Invasion gesprochen hatte, werde die Truppenstärke seiner Streitkräfte um 300.000 Mann verringern. Peking sei "einer friedlichen Entwicklung verpflichtet".
Nach ihrer Kriegserfahrung wüssten die Chinesen den Frieden zu schätzen. Xis Ankündigung kam nicht überraschend, sie lag sogar unter den Erwartungen mancher Experten. Die Armee mag mit derzeit 2,3 Millionen Mann die größte der Welt sein, über ihre tatsächliche militärische Stärke sagt diese Zahl aber nicht viel aus.
Die meisten Einheiten sind schlechter ausgebildet als jene professioneller westlicher Armeen. Die Summe, die der Staat pro Soldat aufwendet, ist ein Bruchteil dessen, was etwa die USA ausgeben. Immer moderner wird dagegen Chinas Kriegsgerät, das zum Teil auf der Parade vorgestellt wurde und über den Tiananmen hinwegdonnerte: seine Panzer, seine Jagd- und Langstreckenbomber sowie seine Raketen, darunter eine ballistische Anti-Schiffs-Rakete, die selbst die bislang praktisch unangreifbaren US-Flugzeugträger treffen können soll.
Hinter den Kulissen: Bernhard Zand im Schlafraum der Ehrenwache
Chinas Militäretat wächst seit Jahren um zweistellige Prozentraten und beunruhigt Pekings Nachbarn, vor allem Japan. Die einstige Besatzungsmacht, die zwischen 1931 und 1945 große Teile Chinas unterwarf und brutal unterdrückte, steht seit Wochen erneut im Zentrum der Kritik. In Kunst- und Geschichtsmuseen werden anti-japanische Ausstellungen gezeigt und im Fernsehen anti-japanische Serien. In den Kinos laufen gleich drei aufwendig produzierte Kriegsfilme, die jedes Klischee des mörderischen Japaners bedienen - und sich über historische Tatsachen souverän hinwegsetzen.
Die PR-Maschine läuft also. Blogger reagieren seit Tagen mit Zynismus: "Ich habe mir diesen Film nur angesehen", schreibt ein User namens Chillidoudou, "weil mir mein Vater versprach, dass wir nachher zu McDonald's gehen." Der User You Zi ärgerte sich über einen Film, der die Heldentaten der Kommunistischen Partei preist, die viel größeren Verdienste und Verluste der damals regierenden Nationalisten aber herunterspielt. Seine Reaktion: "Geschichte ist wie ein kleines Mädchen. Jeder kann ihr ein Kleidchen anziehen."
Ähnlich sarkastisch dürften in den kommenden Tagen auch die Rückblicke auf die Parade ausfallen. Schließlich war Peking seit Jahren nicht mehr so leer, so still und sauber wie in den vergangenen zwei Wochen. Um zum Jahrestag einen blauen Himmel zu präsentieren, ließ die Regierung allein auf dem Gebiet der Hauptstadt 1927 Fabriken schließen - so viele wie noch nie.
Als gegen Mittag die letzten Panzer über den Platz des Himmlischen Friedens gerollt waren, stand der Luftwert von Peking bei 17 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter. Das ist besser als in mancher europäischen Hauptstadt. Die Chinesen haben bereits eine Bezeichnung für diesen Ausnahmezustand gefunden: paradeblau.
Zusammengefasst: Mit einer Parade feiert China den Jahrestag des Weltkriegsendes. Peking fährt an Waffen auf, was es zu bieten hat. Seit Jahren erhöht das Land seinen Militäretat immer weiter, das wird von Nachbarn wie Japan nervös beobachtet. In China läuft derzeit eine Welle von Anti-Japan-Propaganda an. Gleichzeitig will Peking aber nach eigenen Angaben die eigene Truppenstärke reduzieren.