Chinas neuer Kurs Der ruppige Riese

Neujahrsfest in China
Foto: ALY SONG/ REUTERSChinas Wirtschaftswunder hat einen Typ von Aufsteiger hervorgebracht, den die meisten Chinesen selbst nicht leiden können: den "Baofahu", wie sie ihn treffend nennen, den "explosiv reich Gewordenen".
Sie begegnen ihm auf der Straße, wo er oft am Steuer eines großen Autos sitzt und Fußgänger vom Zebrastreifen jagt, mal hupend, mal mit dem Fuß auf dem Gaspedal. Sie lassen ihn in der Schlange an der Kasse vor, weil sie seine Ellenbogen und sein loses Mundwerk fürchten. Sie schämen sich für ihn, wenn er auf Flughäfen im Ausland das Personal beschimpft und "China! China!" brüllt, weil sich sein Abflug verzögert. So geschehen vor wenigen Tagen in Colombo und Tokio.
"Idioten", "Schwächlinge", "Bösewichte"
Auch andere Länder kennen den "Baofahu", doch im modernen China ist der rücksichtslose Aufsteiger mehr als ein gesellschaftliches Phänomen. Er wird allmählich zum Sinnbild für China selbst und seinen Umgang mit anderen Staaten.
Seit ein paar Jahren schon, vor allem aber seit dem Kongress der Kommunistischen Partei im Oktober, treten chinesische Politiker, Diplomaten und Meinungsführer mit einem Selbstbewusstsein auf, das die Grenze zur Arroganz und Herablassung überschreitet. Von Gegnern wie Japan bis zu vermeintlichen Partnern wie Deutschland, von Kleinstaaten wie Singapur bis zu Weltmächten wie Indien und den USA, von westlichen Reportern bis zu ausländischen Unternehmen - Peking sieht sich zunehmend von "Idioten", "Schwächlingen" und "Bösewichten" umgeben.
Als die Mongolei 2016 den Dalai Lama einreisen ließ, überlegte die Pekinger "Global Times", wie man den nördlichen Nachbarn "bestrafen" könne für die "hirnrissige" Idee, sich ausgerechnet von Chinas Rivalen Indien Beistand zu erwarten.
Ähnlich der Ton, in dem die staatliche "Volkszeitung" vorige Woche den deutschen Autokonzern Daimler-Benz dafür rügte, das religiöse Oberhaupt der Tibeter auf Instagram zitiert zu haben: "Betrachte eine Situation von allen Seiten, und du wirst offener."
Wisse Daimler denn nicht, so die "Volkszeitung", dass man "sich die Chinesen zum Feind macht, wenn man dem Dalai Lama die stinkenden Füße hält"? Was wohl die Deutschen denken würden, wenn ein chinesischer Staatskonzern Adolf Hitler lobe?
Aus Selbstbewusstsein wird Überheblichkeit
Überhaupt die Deutschen. Seit sich Berlin verstärkt über Chinas einseitige Handelspolitik beschwert, hat Peking die Sprache verschärft: "Unprofessionell und verantwortungslos" nannte die Sprecherin des Außenministeriums den deutschen Botschafter, der die Diskriminierung europäischer Firmen in China beklagt hatte. Chinas führender EU-Experte Cui Hongjian sprang ihr bei und erklärte seinen Lesern bei der Gelegenheit gleich den Charakter der Deutschen: Sie seien "anderen Kulturen gegenüber intolerant" und litten an einem "Überlegenheitskomplex". Die "orientalische Weisheit" Chinas sei "dem klischeehaften deutschen Schwarz-Weiß-Denken einen Schritt voraus".
Gegenüber Deutschland ist diese Sprache neu, Chinas Nachbarn hören sie schon etwas länger. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen sei als unverheiratete und kinderlose Frau "emotional und launisch", schrieb ein chinesischer General nach ihrer Wahl 2016. Sie solle "sich benehmen", so die "Global Times", sonst werde man der Inselrepublik "von Zeit zu Zeit eine Lektion erteilen".
arte-Reportage: Reiche Chinesen auf Einkaufstour
Die Südkoreaner, warnte Außenminister Wang Yi 2017 dunkel, würden "sich nur selbst schaden", wenn sie sich mit einem US-Abwehrsystem gegen nordkoreanische Raketen schützten. Kurz darauf wurden koreanische Firmen in China massenhaft boykottiert, manche Fabriken mussten vorübergehend schließen.
"China ist ein großes Land, und andere Länder sind klein. Das ist eine Tatsache", hatte Wangs Vorgänger einmal gesagt. Das kleine Singapur, dem dieser Hinweis galt, werde "den Preis dafür bezahlen, dass es Chinas Interessen schadet", so der Militärberater Jin Yinan. Der Stadtstaat hatte es gewagt, sich im Inselstreit im Südchinesischen Meer dafür einzusetzen, auch die Argumente der Philippinen anzuhören.
Chinas Reichtum wächst weiterhin stetig, sein Selbstbewusstsein explosiv. Wie sollten Staaten und Unternehmen reagieren, die Pekings Überheblichkeit künftig zu spüren kriegen?
"Wer wagt es denn, China unter Druck setzen?"
Daimler hat gekuscht und das Dalai-Lama-Zitat von seinem Instagram-Account gelöscht. Man bedaure, "die Gefühle des chinesischen Volkes zutiefst verletzt zu haben" - mit einem Post auf einem Netzwerk, das in China von der Zensur blockiert wird und offiziell gar nicht zugänglich ist.
So erbärmlich das klingt - Daimler folgt damit dem Vorbild eines Mannes, der sonst nie kuscht. "Wer wagt es denn, China unter Druck setzen?", fragte der philippinische Präsident Rodrigo Duterte bitter, als er auf seine passive Haltung im Inselstreit mit Peking angesprochen wurde. "Wir?" Mit China im Dialog zu bleiben, sei "der einzige Luxus, der uns bleibt".
Da könnte sich Duterte irren. Peking, sagen erfahrene China-Diplomaten, bestrafe Unterwürfigkeit sofort. Dialog sei wichtig, doch wer von China ernst genommen werden will, dürfe einer Auseinandersetzung nicht aus dem Weg gehen.