
Sommertreffen von Chinas KP Tribunal am Traumstrand
Seit den fünfziger Jahren packen Chinas oberste Funktionäre und Generäle die Badehose ein, wenn in Peking die Sommerhitze unerträglich wird. Sie nehmen die Enkel an die Hand und brausen über eine heute gut ausgebaute Autobahn an den Strand des Bohai-Meeres. Dort, in ockerfarbenen Villen, streng abgeschirmt vom Volk und bedient von langbeinigen Schönheiten, beraten sie, mauscheln und kungeln, oder, wie einst ein Kenner beschrieb, sie schlagen sich auch schon mal "den Schädel ein und jagen sich das Messer in den Rücken".
Dieser Brauch überdauerte politische Wirren und Kurswechsel, nur der nicht gerade leutselige Parteichef Hu Jintao strich nach 2002 den gemeinsamen Ausflug in die Sommerfrische. Sein Nachfolger Xi Jinping hat die Tradition von Staatsgründer und Hobby-Schwimmer Mao Zedong wieder aufgenommen.
In dem verschlafenen badeort Beidaihe will er vor dem Treffen des Zentralkomitees im Herbst mit den Genossen einige wichtige Dinge abklären. Es geht zum einem um den künftigen Kurs in der Wirtschaft: Weniger Kredite, weniger Schulden, mehr einheimischer Konsum, lautet die neue Devise. Dafür müssen Staatsbetriebe und Staatsbanken auf Linie gebracht werden.
Zudem müssen Xi und die Parteispitze mit einem besonders brenzligen Personalproblem fertigwerden: Es geht um das Schicksal eines der ihren, der einst ebenfalls in Beidaihe über einer Schale Tee abends den Zikaden lauschte. Bo Xilai, Ex-Parteichef in der Millionenmetropole Chongqing, Ex-Handelsminister, Ex-Provinzchef von Liaoning, Ex-Bürgermeister der Hafenstadt Dalian und, vor allem, Sohn eines der sogenannten Unsterblichen, die einst mit Mao die Revolution losschlugen. Ein so prominenter Funktionär stand in der KP-Geschichte seit vielen Jahren nicht mehr vor Gericht.
Was genau wird Bo eigentlich vorgeworfen? Keiner weiß es
Die Verhandlung soll laut einem "Internen Bericht" der KP schon bald in der Provinzhauptstadt Jinan beginnen, die Anklage lautet auf "Bestechlichkeit, Korruption und Machtmissbrauch". Wie in China üblich, erfährt die Öffentlichkeit nichts über die Details. Unklar ist zum Beispiel, auf welchen Zeitraum sich die Anklage erstreckt. Was genau wird Bo vorgeworfen? Bislang hatten ihm die Genossen auch "schwere Disziplinverstöße" und "ungebührliche Verhältnisse mit anderen Frauen" vorgehalten. Weil er das Ansehen der Partei "ernsthaft beschädigt" habe, musste er bereits im April sein Mitgliedsbuch abgeben.
Niemand weiß, wo er derzeit gefangen gehalten wird, wie es um seine Gesundheit steht und was er selbst von der ganzen Sache hält. Nur eines ist klar: Er durfte sich, immerhin, zwei gute Verteidiger aussuchen, beide schweigen bislang. Mit ihrem Klienten sprechen durften sie noch nicht.
Bo war im vorigen Jahr festgenommen worden, nachdem ein ehemaliger Vertrauter, der Polizeichef von Chongqing, versucht hatte, in das rund 300 Kilometer entfernte US-Konsulat in Chengdu zu flüchten. Zuvor war Dramatisches geschehen: Bos Frau, Gu Kailai, hatte den englischen Geschäftsmann Neil Heywood offenbar nach einem Streit in einem Hotel Chongqings vergiftet. Der Polizeichef soll dies zeitweise vertuscht haben. Sowohl er als auch Ehefrau Gu sind inzwischen zu langen Haftstrafen verurteilt worden.
Das Urteil fällt im Fall Bo das Politbüro
Nun müssen die ehemaligen Genossen über Bos Schicksal entscheiden. Dass dies nicht die Richter tun, ist in Chinas Ein-Parteien-Staat üblich. Die KP dirigiert über die "Politische Rechtskommission" des Zentralkomitees die gesamte Justiz. Ein verdächtiges Parteimitglied gerät zunächst nicht in die Fänge der Polizei oder Staatsanwaltschaft, sondern der "Zentralen Partei-Disziplinkommission", einer Art parteiinterner Kriminalpolizei. Erst nach ihren Ermittlungen und Verhören kommt es zum Prozess, das Urteil fällt die Partei, in Bos Fall sogar das Politbüro.
Diese Entscheidung fällt den Funktionären offenbar nicht leicht: Bo hat immer noch viele Freunde in der Partei, die in der Affäre weniger einen Kriminalfall als einen Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen innerhalb der Partei sehen, dem Bo angeblich geopfert wurde. Der heutige Parteichef Xi selbst hatte ihn einst gelobt, weil er sich in Chongqing von dem harten Wachstumskurs Pekings abgesetzt hatte und gleichzeitig eine Mafia-Gruppe hinter Gitter gebracht hatte.
Die KP-Spitze berät in Beidaihe nicht nur über das Urteil, sondern auch über die Art der Verhandlung. Soll es eine verschwiegene Angelegenheit werden - oder ein Schauprozess, in dem die Partei dem Volk demonstrieren könnte, sie meine es ernst im Kampf gegen die Korruption und mache auch vor großen Tieren nicht halt?
Nur Chinas staatliche Nachrichtenagentur als Quelle
"Sollten Bo nur Bestechung, Machtmissbrauch und Unterschlagung vorgeworfen werden, wie der interne Bericht andeutet?", fragt der angesehene US-Jurist und China-Kenner Jeremy Cohen und fasst damit die Problematik zusammen. "Welche Art von öffentlichem Verfahren sollte er bekommen, welche Strafe ausgesprochen werden?"
Die KP muss in jedem Fall beweisen, dass Bo ein krummer Hund war und es sich nicht um eine grundlegende Krise der Partei handelt, die nicht mit der Korruption fertig wird. Bo soll inzwischen zugegeben haben, bestechlich gewesen zu sein, aber nur in der Zeit als Bürgermeister und Parteichef in Dalian zwischen 1992 und 2000. Offenbar erhofft er sich mit dem Teilgeständnis eine mildere Strafe.
Die einheimischen Journalisten hat die KP bereits am 25. Juli an die Kandare genommen. Ihr Befehl: "Bei der Berichterstattung über den Bo-Xilai-Prozess, müssen die Medien ohne Ausnahme die Berichte von (der staatlichen Nachrichtenagentur, Anm. d. Red.) Xinhua benutzen. Recherchieren Sie nicht eigenständig, benutzen Sie kein Material anderer Quellen."