Reformpläne für China Markt und Macht

Abstimmung im Zentralkomitee: Hohe Erwartungen an die ZK-Sitzung
Foto: AP/ dpaChinas KP will die Wirtschaft reformieren, ein modernes Finanz- und ein besseres Steuersystem schaffen, mehr Freihandelszonen innerhalb des Landes gründen - und vor allem ihre Macht absichern. Das ist laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua das Ergebnis einer viertägigen Sitzung des Zentralkomitees, die am Dienstag zu Ende ging. In dem Gremium sitzen 205 Spitzenfunktionäre und 171 sogenannte Kandidaten. Sie kommen jedes Jahr einmal zusammen, um die Richtlinien der chinesischen Politik zu bestimmen.
Das nun veröffentlichte Kommuniqué des "3. Plenums" bleibt allerdings in vielen Punkten vage und widersprüchlich. Chinas Wirtschaft werde auch in Zukunft vom Prinzip des "Sozialismus mit chinesischen Merkmalen" und des "öffentlichen Eigentums" bestimmt, heißt es etwa. Gleichzeitig wolle die Partei die Privatwirtschaft "ermutigen, unterstützen (...) und ihre Vitalität und Kreativität" vergrößern.
Im Klartext könnte dies heißen: Die großen Staatsbetriebe werden auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen, private Unternehmer es aber leichter haben als bisher. Womöglich kommen sie in Zukunft leichter an Kredite der Staatsbanken.
Der "Markt" werde in Zukunft eine "entscheidende Rolle" bei der Verteilung von Rohstoffen spielen, verkündet das Kommuniqué weiter. Deshalb müsse es ein "vereintes und offenes Marktsystem mit ordentlichem Wettbewerb" geben. Reformen müssten überdies bei Erziehung, der - bislang ungerechten - Verteilung der Einkommen, im Gesundheitswesen und bei der Sozialversicherung "beschleunigt" werden.
Das ZK will nicht nur die Wirtschaft auf Vordermann bringen. Ein "sozialistisches Justizsystem" soll zum Beispiel errichtet werden, das durch "Gerechtigkeit und hohe Effizienz" geprägt ist. Zudem soll es die Autorität besitzen, die "Rechte und Interessen des Volkes" zu bewahren.
"Um zu überleben, braucht China Reformen"
Was dies konkret bedeutet, ist unklar. Dass die KP unabhängige Richter und Staatsanwälte erlaubt, ist unwahrscheinlich. Denn, so lautet ein Kernsatz des Kommuniqués: "Es ist am wichtigsten an der Führung der Partei festzuhalten."
Und damit ihre Macht nicht in Frage gestellt wird, beschloss das ZK, ein "Komitee für Staatssicherheit" zu gründen. Damit will die Partei "Systeme und Strategien verbessern, um die nationale Sicherheit zu garantieren". Das könnte bedeuten, die vielen Agenten, die auf lokaler oder nationaler Ebene Terroristen jagen und Dissidenten verfolgen, nach Vorbild des sowjetischen KGB in einer einzigen Behörde zusammenzufassen.
Viel war von der ZK-Sitzung erwartet worden. Die staatlich gelenkten Medien hatten unentwegt Hoffnungen auf Reformen gestärkt. Sie kündigten "allumfassende Neuerungen" von "nie dagewesener Tiefe und Stärke" an, schwärmten von einem "historischen Wendepunkt", gar von einem "neuen Wachstumsmodell", mit Folgen nicht nur für China, sondern auch für den Rest der Welt. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua titelte jüngst: "Um zu überleben und zu gewinnen, braucht China Reformen."
Viele Wissenschaftler, Ökonomen und Funktionäre waren sich vor dem Plenum einig, dass etwas geschehen muss, wenn China weiter eine Rolle als boomende Wirtschaftsmacht spielen und der Welt nicht nur als Werkbank dienen will.
Chinas Problemzonen sind zum Beispiel:
- Das Finanzsystem: Staat und Partei greifen nach wie vor stark ein, die Regierung schreibt den Banken vor, wie viel Zinsen sie verlangen dürfen. Vor allem auf lokaler Ebene entscheiden die Parteifunktionäre, wer Kredite bekommt und wer nicht.
- Die Volkswährung: Der Wert von Chinas Yuan richtet sich bislang nicht nach Angebot und Nachfrage, KP-Funktionäre legen den Wechselkurs fest. Zudem darf Chinas Volkswährung nur eingeschränkt über die Grenzen gehandelt werden. Ohne einen frei wechselbaren Yuan könne sich China nicht als Weltwirtschaftsmacht etablieren. Zudem fordern viele Experten, auch andere Währungen frei aus und nach China überweisen zu dürfen.
- Das Meldesystem: rund 300 Millionen Wanderarbeiter sind nach wie vor Menschen zweiter Klasse: Sie bauen zwar Villen, Wohnviertel, Straßen und Flughäfen, haben allerdings nicht das Recht, sich in den Städten anzusiedeln. Das heißt konkret: weniger gute medizinische Behandlung, die Kinder dürfen nur in Ausnahmefällen eine Schule besuchen. Viele Ökonomen versprechen sich mehr Nachfrage nach Waren, wenn diese Menschen das Stadtrecht erhalten.
- Die Staatsbetriebe: Die Partei lenkt nach wie vor rund 110 zum Teil riesige Konglomerate wie zum Beispiel die staatliche Fluggesellschaft Air China, China Telecom sowie Banken, Ölunternehmen oder Reedereien. Einige Spitzenmanager sind Mitglieder des Zentralkomitees. Im Alltag heißt das: Zahlreiche Wirtschaftssektoren sind für private und ausländische Investoren tabu. Private Unternehmer haben gegen diese gigantischen Monopole mit direkten Verbindungen in die Parteispitze keine Chance. Doch mehr Konkurrenz dürfte die Geschäfte beleben, zudem gelten Privatfirmen als erfindungsreicher als die Staatsbetriebe.
Es bleibt abzuwarten, wie schnell es der KP-Führung gelingt, die Reformen durchzusetzen. Xi und seine Genossen müssen zahlreiche Widerstände innerhalb des Apparates überwinden. Es sei "sehr unklar, ob Chinas Führung Einigkeit über wichtige Reformen in einigen politisch schwierigen Sektoren erzwingen kann", kommentierte jüngst der holländische Wirtschaftsexperte Louis Kuijs von der Weltbank. Die Chancen für einen Durchbruch stünden in einem System mit "Galaxien von Ministerien, Agenturen und Interessengruppen", die alle zustimmen müssen, nicht gerade gut.
Deshalb wollen die KP-Granden erst einmal eine "Zentrale Führungsgruppe" einsetzen, die offenbar für die Details zuständig ist. Sie soll "Reformen auf einem Gesamtfundament entwerfen, ausarbeiten und koordinieren", lautet die Aufgabe.
Zudem soll sie eben jene Neuerungen "nach vorne bringen" und dafür sorgen, dass sie auch verwirklicht werden. Eine Frist hat die KP immerhin gesetzt: Bis 2020 müssen in Schlüsselsektoren "entscheidende Resultate" erreicht sein.