Peking vs. Vatikan Chinas verschollene Bischöfe

Kloster bei Shanghai: Wird Thaddeus Ma Daqin hier festgehalten?
Foto: Eugene Hoshiko/ APPeking - Es ist eine prachtvolle Zeremonie in der Sankt Ignatius Kathedrale zu Shanghai, der Altar bunt geschmückt, die Reihen voll besetzt. Der festliche Rahmen passt zum Anlass: Thaddeus Ma Daqin empfängt in diesem Gotteshaus seine Weihe zum Weihbischof der Millionenmetropole, einer der wichtigsten katholischen Gemeinden in China. Wenige Stunden später ist er spurlos verschwunden.
Was ist geschehen? Ein verwackeltes YouTube-Video der Zeremonie am vergangenen Samstag gibt Aufschluss. Nach seiner Ernennung dankt der Weihbischof einer Reihe von Mitgliedern der Gemeinde. Dann, seine Rede scheint schon fast beendet, sagt er den verhängnisvollen Satz: "Vom Moment meiner Weihe an ist es für mich nicht mehr angemessen, ein Mitglied der Patriotischen Katholischen Vereinigung zu sein."
Verdutzte Stille in der Kirche, dann brandet Applaus auf. Thaddeus Ma Daqin hat sich soeben der Kontrolle durch die Staatskirche entzogen. Öffentlich, vor mehr als tausend Gläubigen. In den vorderen Reihen sitzt ein Bischof ebenjener Patriotischen Katholischen Vereinigung. Er klatscht nicht.
Die spektakuläre Ankündigung in der Kathedrale war der letzte öffentliche Auftritt des neuen Weihbischofs. Genauer: Es war das letzte Mal, dass ihn selbst Vertraute zu Gesicht bekommen haben. Schon wenige Stunden nach der Zeremonie wird Ma abgeholt. Nach Angaben der staatlichen Kirche befindet er sich in einem Kloster bei Shanghai. Dort habe er sich in "tiefe Meditation" begeben. Ein Ende des Aufenthalts sei nicht absehbar.
Kritiker halten es für äußerst unwahrscheinlich, dass Thaddeus Ma Daqin aus freien Stücken von der Bildfläche verschwunden ist. Sie vermuten ein Eingreifen des Regimes - und eine Vergeltungsmaßnahme für den Affront in der vollbesetzten Kathedrale.
Millionen von "Untergrund-Gläubigen"
Der Hintergrund: Seit Jahren gibt es heftigen Streit zwischen dem Vatikan und dem Regime. Peking fürchtet den wachsenden Einfluss der Katholiken im Land und hat für die Gläubigen strenge Auflagen erlassen. Nur unter der Kontrolle der Patriotischen Katholischen Vereinigung, kurz PCA, dürfen die Christen ihren Glauben praktizieren. Der Vatikan will seinerseits die staatliche Überwachung durchbrechen.
Eine besondere Praxis löst dabei regelmäßig scharfen Protest aus Rom aus: Immer wieder weiht China eigenmächtig Bischöfe, ohne den Segen des Vatikans. Offiziell dürfen Priester keine politischen Ämter übernehmen, trotzdem dienen viele Geistliche gleichzeitig der Kirche und der PCA.
Die katholische Kirche ist auseinandergebrochen, in den staatlich sanktionierten Teil und eine "Untergrund-Kirche". Die Mitglieder letzterer treffen sich in Privathäusern und an geheimen Orten, um ihren Glauben ohne Kontrolle durch Peking ausüben zu können. Das Regime gibt die Zahl der Christen in dem ursprünglich kaum christlich geprägten Land mit 28 Millionen an. Schätzungen der Kirche gehen dagegen von mindestens 80 Millionen Gläubigen aus.
Rätselhafte Textnachrichten an Nonnen und Priester
Der Vorfall um Thaddeus Ma Daqin hat den Konflikt zwischen Peking und dem Vatikan nun erneut aufflammen lassen. Denn als Weihbischof übernimmt er nicht nur ein wichtiges Amt in der Diözese Shanghai - er war bis zu seinem spektakulären Rücktritt auch Vizevorsitzender der dortigen Staatskirche sowie Mitglied im Ständigen Komitee der PCA. Ma muss gewusst haben, dass der Verzicht auf diesen hochkarätigen Posten nicht ohne Folgen bleiben dürfte.
Thaddeus Ma Daqin ist zwar das prominenteste, aber bei weitem nicht das erste Opfer staatlicher Repressionen gegen katholische Geistliche.
- Im Juli 2011 werden vier vatikantreue Bischöfe in Südchina verschleppt, um sie zum Beitritt zur PCA zu zwingen. Teils werden sie über Wochen festgehalten.
- Im August 2011 durchsuchen Sicherheitskräfte die Räume zahlreicher Untergrund-Kirchen in der nordwestlichen Gansu-Provinz. Dabei werden Dutzende Priester und andere Gläubige festgenommen.
- Beobachter gehen davon aus, dass sich derzeit mindestens 20 hochrangige Vertreter der katholischen Kirche in staatlichem Gewahrsam befinden.
Freunde und Bekannte bangen nun um Thaddeus Ma Daqin. Ein enger Vertrauter des Geistlichen sagte der britischen BBC, Ma sei gezwungen worden, eine Phase der "privaten Reflexion" zu absolvieren. Diese könne Monate dauern. "Er hat den Glauben über seine Freiheit gestellt", so der Vertraute, der nicht namentlich genannt wird.
Angeblich soll sich Ma zudem mit einer Kurznachricht bei mehreren Priestern und Nonnen gemeldet haben. Demnach sei er "mental und körperlich erschöpft" und müsse sich zurückziehen. Sein Umfeld zeigt sich überrascht: Vor und während seiner Weihe sei Ma noch äußerst enthusiastisch aufgetreten, berichten Freunde. Er habe sich auf sein neues Amt gefreut.
Der tatsächliche Absender der Textnachrichten kann nicht zweifelsfrei ermittelt werden.