Chinas Geburtenpolitik Widerstand in der Ein-Kind-Republik

Frau mit zwei Kindern im südchinesischen Dongguan: Richtlinien aufgeweicht
Foto: Greg Baker/ APYang Zhizhu führte ein gutes Leben in Peking: Der 43 Jahre alte Jurist unterrichtete an der Jugend-Hochschule für Politik, verdiente gut und war ein treuer Staatsbürger. Dann aber verlor er alles: seinen Job, sein Einkommen und seinen guten Ruf bei der Obrigkeit. Der Grund heißt Ruonan: ein niedliches Mädchen, das mittlerweile fast zwei Jahre alt ist und das, wenn es nach Chinas Kommunistischer Partei ginge, gar nicht auf der Welt sein dürfte.
Ruonan ist die zweite Tochter des Rechtswissenschaftlers - in China ist das ein Problem. Denn die Partei verbietet ihren Untertanen seit Ende der siebziger Jahre, mehr als ein Kind zu bekommen. Es gibt zwar einige Ausnahmen: Angehörige nationaler Minderheiten zum Beispiel oder Bauern in ärmeren oder schwer zugänglichen Regionen dürfen zwei Kinder haben, wenn das erste ein Mädchen ist. Aber auf Yang trifft das alles nicht zu.
Wer sich nicht an die Paragrafen hält, muss in der Regel hohe Strafen zahlen. Staatsangestellte und KP-Mitglieder riskieren, gefeuert zu werden - so wie Yang, der zudem eine Buße von 240.642 Yuan (rund 27.000 Euro) an die Staatskasse überweisen musste.
Doch der Jurist wollte diese Entscheidung nicht hinnehmen. Er hält die staatliche Ein-Kind-Politik prinzipiell für falsch - und verklagte die Familienplanungsbehörde des Pekinger Bezirks Haidian. "Warum soll ich Geld für mein eigenes Kind bezahlen?", sagt er. Es gebe keine Notwendigkeit mehr für China, die Geburtenzahl zu reglementieren, denn die Rate sei "ohnehin schon recht niedrig".
Zum Unwillen der Funktionäre eroberte er sich damit die Sympathien vieler Mitbürger, die wie er den Eingriff des Staats in die Privatsphäre verurteilen. Sogar parteitreue Zeitungen schrieben über seinen Fall, in einer Internetumfrage unterstützen ihn 91 Prozent der Befragten. "Es scheint so, als ob ich ein Modellprotestler gegen die derzeitige Familienplanungspolitik geworden bin", sagte Yang einer Pekinger Lokalzeitung.
Plötzlich tickt Chinas biologische Uhr
Längst sind auch in den oberen Rängen von Partei und Staat Zweifel am Sinn der Ein-Kind-Politik aufgetaucht. Jüngst plädierten zum Beispiel Beamte der südlichen Provinz Guangdong dafür, die Vorschriften zu lockern: Eltern sollten zwei Kinder bekommen, wenn einer der Ehepartner selbst ein Einzelkind sei.
Zudem werden die Vorschriften nicht mehr überall mit brachialer Gewalt durchgesetzt. Zwangsabtreibungen und -sterilisationen waren noch in den achtziger Jahren an der Tagesordnung, heute kommen sie seltener vor. Lokale Behörden locken verstärkt mit finanziellen Anreizen, wenn sich Eltern an die staatlich vorgeschriebene Kinderzahl halten.
Eine strenge Geburtenkontrolle ist nicht nur grausam für Familien, die sich mehr Kinder wünschen, sagen Kritiker, sie schade auch dem ganzen Land: Denn die biologische Uhr des mit 1,3 Milliarden Menschen bevölkerungsreichsten Staats der Erde tickt. Weil zu wenig Nachwuchs da ist, wird China alt, bevor die meisten Bürger eine Chance haben, wohlhabend zu werden.
Die - im Verhältnis - sehr wenigen jungen Leute werden bald viel zu viele Alte unterstützen müssen. Bleibt die Ein-Kind-Politik in Kraft, müssten zum Beispiel in der Provinz Guangdong im Jahr 2047 rund hundert Menschen im Berufsalter etwa 40 Menschen über 65 Jahre unterstützen - dreimal mehr als heute, errechneten Statistiker.
Die Ergebnisse der letzten landesweiten Volksbefragung stützen die Argumente der Kritiker. Danach gebiert jede Chinesin im Schnitt nur 1,5 Kinder. Eine Gesellschaft wie China, die keine Zuwanderungspolitik kennt, bräuchte aber eine Geburtenquote von 2,1 Kindern pro Frau, um die Verstorbenen zahlenmäßig zu ersetzen.
Peking sagt, die Ein-Kind-Politik nutze der ganzen Welt
Gegner der Ein-Kind-Politik führen den Fall des Landkreises Yicheng in der Zentralprovinz Shanxi an, der seit 25 Jahren allen Paaren generell zwei Kinder erlaubt. Weil die örtlichen Behörden zugleich für eine bessere Alterssicherung sorgten, stieg die Bevölkerungszahl dort trotzdem langsamer als in Regionen, die sich an die rigide Ein-Kind-Vorschrift gehalten haben.
Auch wenn die Geburtenvorschriften also hier und da aufgeweicht wurden: Am Prinzip der Ein-Kind-Politik will Peking dennoch nicht rütteln. Den Versuch, den lokalen Behörden eigene Regeln zu erlauben, hat die Zentralregierung im Jahr 2008 wieder gestoppt. Die Befürworter der bisherigen Politik argumentieren weiterhin, die Volksrepublik könne sich zu viele Menschen nicht leisten. Als Beleg führen sie an, dass durch die Ein-Kind-Politik rund 300 Millionen Chinesen weniger geboren wurden, als unter anderen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Dies habe mehr Wohlstand ermöglicht und die Umwelt entlastet - zum Nutzen der ganzen Welt.
Kritiker vermuten allerdings, dass die Regierung noch einen anderen Grund hat, warum sie an der Ein-Kind-Politik festhält: Es sei unmöglich, den Familienplanungsapparat zu entmachten, der mittlerweile mehr als 500.000 Funktionäre beschäftigt.
Das alles hilft Professor Yang nicht. Seinen Prozess gegen die Familienplanungsbehörde hat er verloren. Er gehört nicht zu den Reichen, die ihre Strafe aus der Portokasse bezahlen. Ihm drohen bereits die nächsten Probleme: Töchterchen Nummer zwei besitzt, da sie illegal ist, keinen "Hukou", wie die örtliche Meldebescheinigung heißt. Das bedeutet: Sie wird nicht als ordentliche Pekinger Bürgerin anerkannt - und hat damit kein Anrecht auf die Sozialversicherung oder einen Platz in einer öffentlichen Schule.