
Fotostrecke: China verschärft Internet-Zensur
Putschgerüchte China verschärft Internet-Zensur
Hamburg - Chinas Internet ist ohnehin stark zensiert - seit Freitag ist es noch ein wenig unfreier. Die Firma Sina, einer der größten Web-Konzerne des Landes, hat die Kommentarfunktionen für seine Nutzer gesperrt. Die Firma betreibt das Mikroblog Weibo, einen Dienst, der dem Kurznachrichtendienst Twitter ähnelt und nach eigener Darstellung rund 300 Millionen Nutzer hat.
Diese können zwar weiterhin Kurznachrichten absetzen und die Kurznachrichten anderer Nutzer weiterleiten (Twitter-Sprech: "Retweeten") - sie können aber keine gebündelten Diskussionen mehr führen. In einer Nachricht an die Nutzer schreibt Sina, die Sperre diene dazu, "illegale Kommentare" und wuchernde "Gerüchte" von den Seiten des Unternehmens zu tilgen. Die Säuberungsaktion soll bis zum 3. April dauern.
Die Aktion ist Teil einer größeren Zensur-Offensive. So wurden nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua 16 Web-Seiten gesperrt. Das Pekinger IT-Blog "Technode" berichtet gar von "mehr als tausend" Web-Seiten, die nicht mehr erreichbar seien. Die Regierung versuche, Gerüchte über einen Putschversuch aus dem Netz zu filtern . Es gab Gerüchte über Militärfahrzeuge in der Hauptstadt Peking; allerdings gibt es keine Anzeichen für ungewöhnliche Truppenbewegungen.
Insider im Land selbst sind ratlos. "Alle großen und wichtigen Web-Seiten sind weiterhin erreichbar", sagte ein Mitarbeiter einer Pekinger IT-Firma SPIEGEL ONLINE am Samstagmorgen am Telefon. "Die Attacke richtet sich offenbar gegen Blogger, die in ihren Artikeln die Regierung zu hart angegangen sind."
Kampf der Erzrivalen
Ein Start-up-Gründer aus Peking sagte SPIEGEL ONLINE, die Zensuraktion, bei der laut Xinhua sechs Menschen verhaftet und weitere Internetnutzer von der Regierung kontaktiert wurden, werde als Zeichen gewertet, dass die Regierung nervös sei. "Tatsächlich ist sie nicht nervöser als sonst."
Der Mitarbeiter der IT-Firma sagte, man müsse sich eher die Frage stellen, warum die Regierung erst jetzt gegen die Putschgerüchte vorgehe. Denn die kursierten schon seit gut einer Woche im Netz. "Das könnte darauf hindeuten, dass es Kräfte in der Kommunistischen Partei gibt, die versuchen, diese Gerüchte über das Internet zu schüren - während andere in der Partei sie aus dem Netz tilgen wollen."
Hintergrund der Zensuraktion ist ein Machtkampf, der die Kommunistische Partei schon seit Wochen umtreibt. Der langjährige China-Beobachter John Garnaut bezeichnet das Geschehen in der Zeitschrift "Foreign Policy" als "einen der tumultuösesten Vorfälle in der Geschichte der Kommunistischen Partei". Als Erschütterung im Machtgefüge, wie sie die KP seit 1989 nicht erlebt habe. 1989 war das Jahr der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
Im Mittelpunkt steht der undurchsichtige Parteifunktionär Bo Xilai. Er hatte es bis zum KP-Chef von Chongqing geschafft, einer Metropolregion, in der rund 32 Millionen Menschen wohnen, fast so viele wie das Land Kanada Einwohner hat. Bis vor kurzem wurden dem 62-Jährigen große Chancen beschieden, in den engsten Führungszirkel der Partei einzuziehen: den ständigen Ausschuss des Politbüros, in dem die neun mächtigsten Männer der Landes sitzen, darunter Präsident Hu Jintao höchstselbst.
"Lang lebe der rote Terror"
Doch dann endete Bos Karriere jäh. Das Zentralkomitee der KP enthob ihn in Chongqing seines Amtes - was seine politische Karriere komplett beenden dürfte. Die genauen Hintergründe von Bos Absetzung bleiben im Dunkeln, doch im Internet wucherten - bis zur Zensuraktion - auch dazu Gerüchte. Premier Wen Jiabao habe den aufstrebenden Chongqing-Funktionär abgesägt, hieß es. Eine These, die auch Garnaut teilt.
Wen und Bo seien Erzrivalen, schreibt er in "Foreign Policy". Bo vertrat die harte, maoistische Linie und stellte den Kurs der "Öffnung und Reform" in Frage, den der vorige Präsident Deng Xiaoping angestoßen hatte - was einen beispiellosen Boom auslöste, durch den das Land zur mittlerweile zweitgrößten Weltwirtschaftsmacht wurde. Ganz anders Wen. Der trieb die "Öffnung und Reform" nicht nur voran, er trat sogar dafür ein, die Macht der Regierung zu begrenzen.
Bo ist Sohn des legendären Revolutionärs Bo Yibo, der einst zu den "acht Unsterblichen" der kommunistischen Machtelite gehörte. Das macht Bo Xilai zu einem sogenannten Prinzling. So werden Söhne und Töchter von Parteipatriarchen genannt, die dank ihrer Familienbande auf wichtige Posten gelangten. Nach deren Verständnis wurde Bo "geboren, um zu regieren".
Er ging auf eine der prestigeträchtigsten Schulen des Landes, auf die Beijing No. 4, die während der Kulturrevolution fragwürdige Berühmtheit erlangte. Studenten hatten den berühmten Slogan "Lang lebe der rote Terror" an die Wand eines alten Speisesaals geschrieben. Mit Menschenblut.
Rätsel um den "Super-Bullen"
Doch dann wandte sich die Revolution gegen Bo. Mao brachte seinen Klüngel gegen die royalistisch gesinnten Prinzlinge in Stellung. Später verbrachte Bo sechs Jahre im Gefängnis. Sein Vater wurde gefoltert, seine Mutter entweder getötet, oder sie beging Selbstmord.
Wen wurde 1998 Vizeministerpräsident Chinas und im März 2003 Premier.
Bo und Wen stehen für verschiedene Denkströmungen des Landes. Während Wen sich zum Wirtschaftsreformer stilisiert, ließ Bo die Stadt Chongqing in Revolutionsnostalgie schwelgen; ließ Mao-Zitate als Textnachrichten versenden und Regierungsangestellte "Rote Lieder" schmettern.
Und er machte sich einen Namen als unerbittlicher Anti-Korruptions-Kämpfer: Bo bekämpfte die örtliche Mafia, ließ Lokalgrößen in Schauprozessen zum Tode verurteilen. Seine rechte Hand war stets der örtliche Polizeichef Wang Lijun, der bald nur noch der "Super-Bulle" genannt wurde. Das Chongqing-Modell fand im Land großen Anklang. "Es schien die Nation auf Bos Seite zu bewegen, während Wens Kurs wenige Ergebnisse produzierte", schreibt Garnaut.
Im Februar flüchtete der "Super-Bulle" in das US-Konsulat in Chengdu, angeblich weil er um sein Leben fürchtete. Dann begab er sich nach US-Angaben freiwillig in die Obhut der Pekinger Zentralregierung. Unbestätigten Berichten zufolge soll Wang Lijun seinen früheren Chef Bo belastet haben.
Kurz darauf wurde Bo abgesetzt. Wer nun im Internet nach ihm sucht, erhält nur noch dürftige Suchergebnisse.