Chodorkowski-Prozess Urteil soll Richter aufgezwungen worden sein

Ein Interview sorgt in Moskau für Wirbel: Darin behauptet eine Gerichtssprecherin, die russischen Behörden hätten dem Richter das Urteil beim Prozess gegen Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski aufgezwungen. Der Richter bezeichnet die Äußerungen als "Verleumdung".
Verurteilter Chodorkowski: Gerichtsangestellte spricht von "gelenktem Verfahren"

Verurteilter Chodorkowski: Gerichtsangestellte spricht von "gelenktem Verfahren"

Foto: dapd

Michail Chodorkowski

Moskau - Der Prozess gegen den russischen Regierungskritiker war politisch motiviert - dieser Verdacht scheint sich zu erhärten. Richter Wiktor Danilkin soll in dem Verfahren unter massivem Druck der russischen Behörden gestanden haben. Das Urteil gegen den Ölmilliardär Chodorkowski sei Danilkin aufgezwungen worden, sagte Natalja Wasiljewa am Montag in einem Interview mit der Nachrichtenwebseite Gazeta.ru und dem Fernsehsender Doschd. Wasiljewa ist eine Assistentin Danilkins und diente während des Prozesses gegen Chodorkowski als Gerichtssprecherin.

Wasiljewa zufolge entsprach das von Danilkin am Stadtgericht vorbereitete Urteil nicht den Erwartungen. Deshalb sei ihm vom Moskauer Zentralgericht ein anderes Urteil vorgelegt worden, das er habe verlesen müssen. Danilkin "wollte dieses Urteil nicht, verständlicherweise."

Yukos

Chodorkowski und sein mitangeklagter Ex-Geschäftspartner Platon Lebedew waren am 30. Dezember wegen Unterschlagung von 218 Millionen Tonnen Öl zu einer Gesamtstrafe von jeweils 14 Jahren Haft verurteilt worden. Darin enthalten ist eine Verurteilung wegen Geldwäsche in einem ersten Prozess. Die Ex-Manager des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns sollen erst 2017 freikommen.

Danilkin bezeichnete die Äußerungen als "Verleumdung". Das Moskauer Stadtgerichts wies die Vorwürfe, das Urteil stamme nicht von Danilkin, zurück. Wasiljewas Kommentare seien "nichts anderes als eine Provokation".

Unabhängige Richter ein "Märchen"

Wasiljewa erwartet, wegen ihrer Äußerungen entlassen zu werden. Sie schildert in dem Interview detailliert, wie die politische Einflussnahme ausgesehen haben soll. Von Prozessbeginn an habe es eine ständige Kontrolle gegeben, sagte sie. Wenn die Dinge nicht in dem gewünschten Sinne liefen, habe Danilkin das Moskauer Zentralgericht informieren müssen und Anweisungen erhalten. Danilkin habe seine Vorgesetzten verärgert, als er "Zeugen vorlud, die er aus bekannten Gründen nicht hätte vorladen dürfen". Die gesamte Justiz wisse, dass es sich um ein gelenktes Verfahren gehandelt habe, sagte Wasiljewa. Die Annahme, Richter seien unabhängig, sei ein "Märchen".

Danilkin sei am 25. Dezember einbestellt worden, um eine "wichtige Person" zu treffen und eine "klare Darlegung" zu erhalten, wie sein Urteil aussehen solle. Nach seiner Rückkehr von dem Termin habe Danilkin sehr angespannt ausgesehen. Inzwischen habe sich der Richter zurückgezogen und wirke zutiefst deprimiert.

Danilkin hatte während des 20-monatigen Verfahrens einen objektiven Eindruck gemacht und oft gemeinsam mit der Verteidigung und den Schaulustigen im Saal über Patzer der Staatsanwaltschaft gelacht. Bei der Verlesung des Urteils, die vier Tage dauerte, hob er dagegen kaum den Kopf und sprach mit schneller Stimme.

Chodorkowskis Anwalt, Wadim Kljuwgant, sagte, das Interview sei "keine Sensation". Wassiljewas Aussagen bestätigten den Eindruck, das Urteil sei verfügt worden. Nicht nur Chodorkowskis Verteidiger hatten das Verfahren politisch motiviert kritisiert. Auch internationale Beobachter und Politiker bemängelten etwa, dass Urteilsspruch und Anklage fast wörtlich übereinstimmten.

Wladimir Putin

Als treibende Kraft hinter dem Prozess gegen Chodorkowski gilt der russische Ministerpräsident . Er hatte den früheren Oligarchen kurz vor Bekanntgabe des Urteils als Dieb bezeichnet und sich für eine weitere Haftstrafe ausgesprochen.

ulz/AFP/dapd/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren