Chodorkowskis Haft: Zehn Jahre in Straflagern und Gefängnissen
Chodorkowskis Haft
Odyssee hinter Gittern
Vor zehn Jahren ließ Präsident Putin den reichsten Mann Russlands wegsperren: Michail Chodorkowski. Die Richter verurteilten ihn zur Arbeit im Straflager, doch die meiste Zeit verbrachte er im Transit zwischen Gerichten und Gefängnissen - eine Irrfahrt hinter Gittern.
"Man kann uns physisch dazu zwingen, dies zu tun oder jenes zu lassen. Man kann uns die äußere Freiheit rauben. Niemand aber kann mich zwingen, an Lügen zu glauben oder nicht mehr das zu verteidigen, woran ich glaube." Das schrieb Michail Chodorkowski im September 2011 in einem Briefwechsel mit dem SPIEGEL-Korrespondenten Matthias Schepp. Acht Jahre Haft hatte Chodorkowski damals bereits abgesessen.
Seit Freitag ist der Kreml-Kritiker nun wieder auf freiem Fuß. Es ist der Endpunkt einer langen Reise durch das russische Gefängnis- und Straflagersystem.
Am 25. Oktober 2003 wurde Chodorkowski festgenommen und zwei Jahre später wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Diebstahls zu fast elf Jahren Haft verurteilt. Damals galt er als reicher Unternehmer mit politischen Ambitionen - eine Mischung, die ihm zum Verhängnis werden sollte.
Im Alter von 30 Jahren hatte Chodorkowski etliche Banken, eine Stahlhütte und Russlands größten Titanproduzenten kontrolliert. Mitte der neunziger Jahre konnte er die Mehrheit an der Ölfirma Jukos weit unter Marktwert kaufen und brachte es später zu einem Vermögen von acht Milliarden Dollar.
Im Gegensatz zu anderen Oligarchen förderte Chodorkowski seit 2000 soziale und humanitäre Projekte. Stets betonte er dabei seinen unabhängigen Kurs, sprach sich gegen den nun amtierenden Präsidenten Wladimir Putin aus - auch öffentlich. 2003 unterstützte er bei den Parlamentswahlen oppositionelle Parteien wie Jabloko und die Kommunistische Partei KPRF.
Mehrtätige Isolationshaft im Straflager
Dann wurde Chodorkowski ebenso wie sein Geschäftspartner Platon Lebedew festgenommen. Nach der Verurteilung zwei Jahre später verlegten ihn die Behörden aus der Moskauer Haft in ein Straflager im sibirischen Krasnokamensk unweit der Volksrepublik China. Dort wurden früher radioaktive Uranerze abgebaut. In dem Straflager wurde er immer wieder schikaniert, unter anderem saß er in mehrtätiger Isolationshaft. Teils wurde aber auch den Beschwerden seiner Anwälte stattgegeben.
Ein Revisionsverfahren im September 2005 bestätigte das Urteil, die Strafe wurde jedoch auf acht Jahre vermindert. Chodorkowski trat mehrfach kurzzeitig in Hungerstreik: im Mai 2006, im Januar 2008 und im Mai 2010. Sein Ziel: sich für die Belange von Mitgefangenen stark zu machen.
2006 wurde der ehemalige Ölmanager zur Vorbereitung eines zweiten Prozesses nach Tschita verlegt. Die weitere Anklage gegen ihn und Lebedew wurde wegen Diebstahls von Aktien und von Öl im Wert von über 20 Milliarden Euro sowie wegen Geldwäsche erhoben. Erst im März 2009 sollte der zweite Prozess in Moskau beginnen, das Ergebnis: Chodorkowski blieb weiter hinter Gittern.
"Ich bin kein gewöhnlicher Gefangener"
"Ich bin kein gewöhnlicher Gefangener. In den fast sieben Jahren meiner Haft war ich lediglich ein Jahr und zwei Monate in jenem Straflager, zu dem mich das Gericht verurteilt hatte. Die restliche Zeit habe ich in unterschiedlichsten Untersuchungsgefängnissen verbracht", schilderte der ehemalige Ölmagnat in seinem Briefwechsel mit dem SPIEGEL-Korrespondenten im August 2010. "Fast immer war ich dort mit der Vorbereitung auf den Prozess und die Gerichtssitzungen befasst."
Seit 2009 war Chodorkowski im Moskauer Untersuchungsgefängnis "Matrosenruhe", werktags jedoch im Gericht. Chodorkowski und Lebedew wurden zu jeweils 13,5 Jahren Haft verurteilt, die bisherige Haftzeit wurde jedoch angerechnet. Im Mai 2011 bestätigte ein Gericht erneut das Urteil, verkürzte die Haft aber um ein Jahr.
Mitte 2011 landete Chodorkowski letztlich in einem Straflager im Norden Russlands. Der Häftling beschrieb den eintönigen Lageralltag in Karelien, unweit von Finnland, der aus dem Falten von Aktendeckeln bestand. Immerhin sei das nicht mehr die Kunststoffverarbeitung, die er zuvor habe verrichten müssen, betonte er: "Jammern wäre Sünde."
Alle können mitlesen
Im September berichtet Chodorkowski aus seiner "Baracke": "Ich sitze im Zimmer, wo unser Kühlschrank und eine Mikrowelle stehen, direkt unter einer Videokamera, die speziell zu meiner Ankunft installiert wurde. Ich schreibe diesen Brief, und diejenigen, die mich beobachten, können gleich mitlesen. Es ist hell, und wenn eine Lampe durchbrennt, wird sie sofort gewechselt. Das ist eine Win-win-Situation für mich und für die Lagerleitung."
Im Dezember 2012 wurde seine Haft erneut um zwei Jahre verkürzt. Zuletzt saß Chodorkowski im Straflager in Segescha. Samstag für Samstag durfte er mit seinen Eltern telefonieren. Jeweils 15 Minuten, berichten seine Eltern heute. Seine Frau wartete sehnsüchtig. Zum Zeitvertreib stickte sie Porträts von ihrem Mann. In Massen.
"Er ist schon seit mehr als zehn Jahren im Gefängnis, das ist eine ernsthafte Zeit", sagte Putin am Donnerstag. Weitere Verfahren gegen den ehemaligen Oligarchen seien nicht geplant.
4 BilderChodorkowskis Haft: Zehn Jahre in Straflagern und Gefängnissen
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Mit der Freilassung von Michail Chodorkowski endet für den ehemaligen Oligarchen ein zehnjähriger Aufenthalt im Gefängnis. Seit 2011 unterhielt er einen Briefwechsel mit dem SPIEGEL-Korrespondenten Matthias Schepp. Dieses Bild zeigt den Gefangenen 2005 im sibirischen Straflager.
Foto: AP/ Russian Newsweek
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Am 25. Oktober 2003 wurde Chodorkowski verhaftet und anschließend wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Diebstahls zu fast elf Jahren Haft verurteilt. Bis zum Urteil 2005 saß er in Untersuchungshaft in einem von Moskaus überfüllten Gefängnissen.
Foto: ALEXANDER ZEMLIANICHENKO/ ASSOCIATED PRESS
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Zwei Jahre nach seiner Festnahme wurde Chodorkowski im Oktober 2005 aus der Moskauer Untersuchungshaft in ein Straflager im sibirischen Krasnokamensk verlegt. In dem Gebiet Tschita unweit der Volksrepublik China wurden früher radioaktive Uranerze abgebaut.
Foto: DENIS GUKOV/ ASSOCIATED PRESS
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2006 wurde er zur Vorbereitung des zweiten Prozesses nach Tschita verlegt. Die weitere Anklage gegen ihn und Lebedew wurde wegen Diebstahls von Aktien und von Öl im Wert von über 20 Milliarden Euro sowie wegen Geldwäsche erhoben.