Cholera-Epidemie in Simbabwe "Die meisten sterben still und unbeachtet"
Harare - Ingeborg und Dierk Lempertz haben in diesem Jahr ungewöhnliche Weihnachtsgäste auf ihrer luxuriösen Game Lodge "Klein Bolayi" in der Nähe der Grenzstadt Musina: 22 Krankenschwestern, die von den südafrikanischen Gesundheitsbehörden für einen Notfalleinsatz im Musina-Hospital rekrutiert worden sind.
Rund um die Uhr arbeiten sie in Schichten in dem kleinen Provinzkrankenhaus. Denn die Cholera-Epidemie ist aus Simbabwe über die Grenze auch nach Südafrika geschwappt. In Musina liegen bereits mehr als hundert entkräftete Opfer der Seuche im Krankenhaus. Zehn sind schon gestorben. Täglich wächst die Zahl der Patienten, die sich über die Grenze retten. Direkt am Grenzübergang Beitbridge stehen Zelte, in denen den hilfesuchenden Simbabwern erste Hilfe geleistet wird.
Denn die immer neuen Horrorzahlen aus Simbabwe haben auch die Nachbarländer aufgeschreckt: 783 Cholera-Tote und 16.403 Erkrankte wurden am Donnerstag offiziell von der Koordinationsstelle der Vereinten Nationen für die humanitäre Hilfe in Simbabwe (OCHA) gezählt. Die wirklichen Zahlen liegen nach Schätzungen von Mitarbeitern der ausländischen Hilfsorganisationen wesentlich höher. Tausende sollen bereits an der Seuche gestorben sein.
140 Dollar für einen Arzttermin
Ein Missionar der Vereinigung der kirchlichen Krankenhäuser in Simbabwe (ZACH), die 125 Krankenhäuser im ganzen Land betreibt, sagt: "Die meisten sterben einfach still und unbeachtet zu Hause in den Armenvierteln, auch in Harare." Die Stadtverwaltung Harare beerdigt die Cholera-Toten inzwischen kostenlos, damit sie nicht irgendwo in den Townships notdürftig verscharrt und zur Quelle weiterer Ansteckung werden.
"Es ist die größte Cholera-Epidemie in Simbabwes jüngerer Geschichte", sagt Roland Monasch, Leiter der Unicef-Mission in Harare. Unicef rechnet mit rund 60.000 Fällen. Die Sterblichkeitsrate bei den Kranken, unter normalen Behandlungsbedingungen weltweit bei etwa einem Prozent, liegt in Simbabwe mittlerweile bei fast 25 Prozent.
Erst seit einer Woche hat der um seine Macht kämpfende Diktator Robert Mugabe ausländischen Hilfsorganisationen erlaubt, den Kampf gegen die Seuche aufzunehmen. Das Internationale Rote Kreuz, Oxfam, Misereor, Ärzte ohne Grenzen, die Welthungerhilfe, Unicef und auch kleinere Hilfsorganisationen wie Help und Umedica aus Deutschland arbeiten Tag und Nacht, um die weitere Ausbreitung der tödlichen Krankheit zu stoppen und den bereits Infizierten Hilfe zu leisten. Die Bundesregierung hat bereits rund 2,5 Millionen Euro humanitäre Soforthilfe zur Cholera-Bekämpfung ins Land gepumpt. Die Stadt München schickte 100.000 Euro zur Hilfe in ihre afrikanische Partnerstadt Harare.
"Wir arbeiten unter Bedingungen wie nie zuvor", sagt Rachel Pound vom Hilfswerk Save the Children. Denn das Gesundheitssystem Simbabwes ist total zusammengebrochen. In ganz Harare gibt es nur in der privaten Avenue Klinik eine Intensivstation für Notfälle. Patienten müssen dort 140 Dollar bar auf den Tisch legen, um überhaupt einen Arzt zu Gesicht zu bekommen. Für eine Behandlung sind mindestens weitere 1000 Dollar fällig - für den normalen Simbabwer unvorstellbare Summen.
Die drei großen öffentlichen Krankenhäuser in der Provinz Harare - Harare Central Hospital, Parirenyatwa Hospital und Chitungwiza Hospital -, die noch im Jahr 2000 zu den besten Krankenhäusern im Afrika südlich der Sahara zählten, sind praktisch geschlossen. Die Cholera-Kranken sterben vor ihren Türen. Ärzte und Krankenschwestern können angesichts der Hyper-Inflation die Busfahrscheine nicht mehr bezahlen, um zur Arbeit zu kommen. Ein Arzt verdient im Durchschnitt zwei Dollar im Monat. Es gibt kaum noch Medikamente, keine Bettwäsche, kein Wasser, keinen Strom.
Im Leichenhaus liegen die Toten einfach auf der Erde
Als im November ein Team von der "Operation Hope", einer Vereinigung philanthropischer amerikanischer Ärzte, zum Hilfseinsatz nach Harare kam, fanden die Mediziner im Central Hospital keinerlei medizinisches Personal mehr vor - von einigen wenigen Lernschwestern abgesehen, die auf dem Klinikgelände wohnen und nicht gewusst hatten, wohin sie gehen sollten. Das US-Ärzteteam war zuletzt im Mai in dem Krankenhaus in Harare, um dort auszuhelfen. "Wir waren schockiert, als wir es wiedersahen", sagt einer der Ärzte. "Wir mussten nach einer Woche unseren Einsatz dort abbrechen, weil wir einfach nicht arbeiten konnten. Es gab nichts dort."
Zum Chitungwiza Hospital, rund 20 Kilometer von Harares Stadtzentrum entfernt, kommen Tag für Tag rund 170 Patienten mit Cholera-Verdacht. Oft leiden sie zusätzlich unter Aids und Malaria. "Es wird schlimmer und schlimmer", sagt eine Krankenschwester seufzend. Ärzte und Schwestern haben keine Schutzkleidung, keine Latexhandschuhe. Im Leichenhaus liegen die Toten einfach auf der Erde. Es riecht penetrant nach Erbrochenem und menschlichen Ausscheidungen. "Die Mitarbeiter, die noch ausharren, leisten wirklich Heroisches, aber sie sind einfach überfordert", sagt ein ausländischer Helfer bewundernd.
Es ist ein verzweifelter Kampf, den sie kämpfen. Nur 500 Meter vom Cholera-Behandlungszentrum entfernt fließen ungeklärte Abwässer aus dem verrotteten Leitungssystem einfach auf die Straße. Kinder planschen barfuß in der stinkenden, schleimigen Brühe. Seit einem Jahr ist die Hälfte der Bewohner dieser Armensiedlung ohne fließendes Wasser. Sie schöpfen ihr Wasser aus selbstgegrabenen Löchern, in denen sich oft genug Grund- mit verseuchtem Abwasser mischt. Unicef, Oxfam, Ärzte ohne Grenzen und das Rote Kreuz haben in der Seke North-Clinic in Chitungwiza ein Cholera-Zentrum eingerichtet. Aber selbst dort gibt es kein Wasser.
Trotzdem bringen immer mehr verzweifelte Familien aus Harare Kranke dorthin - als letzte Zuflucht, weil sie in der Hauptstadt selbst keine Hilfe mehr finden. "Wenn sie bei uns ankommen, sind sie nach der langen Fahrt meist schon völlig ausgetrocknet, und wir können ihnen nicht mehr helfen", sagt eine Missionsschwester. Unicef hat begonnen, Frischwasser zu kaufen und mit gesäuberten Milch- und sogar Benzintankwagen an die schlimmsten Brennpunkte zu liefern. Allein nach Harare bringt Unicef täglich 360.000 Liter sauberes Wasser. Die Organisation Save the Children hat sogar eine Tankstelle gepachtet, um die Benzinversorgung von Hilfstransportern zu sichern.
Doch Robert Mugabe und seine Helfershelfer sind ungerührt. Sie scheinen fest davon überzeugt zu sein, dass nicht sie schuld an der humanitären Katastrophe sind, sondern das westliche Ausland. "Nachdem der Westen unser Land mit Sanktionen gequält und stranguliert hat, hat er es nun mit Cholera und Anthrax infiziert", tönte Informationsminister Sikhanyiso Ndlovu am Dienstag. "Der Westen will damit das Feld für eine militärische Invasion vorbereiten. Aber die Cholera haben wir im Griff", prahlte er. "Wir haben genug Chemikalien, um das Wasser zu reinigen. Wir haben genug Devisen, um neue Wasserleitungen zu kaufen."
Die Zahl der Toten steigt trotz der markigen Worte der um ihre Macht fürchtenden Clique um Mugabe täglich weiter an - und selbst die Geduld der afrikanischen Staaten mit dem greisen Machthaber in Simbabwe schwindet allmählich. Nicht nur US-Präsident George W. Bush und die EU drängen immer massiver auf Mugabes Ablösung. Auch in Staaten wie Kenia und Botswana wächst die Einsicht, dass Simbabwe kurz davorsteht zu implodieren und dass Mugabes Ende notfalls mit Gewalt herbeigeführt werden sollte.
Doch mit militärischen Mitteln könne der Sturz des Diktators nicht erreicht werden, heißt es in diplomatischen Kreisen in Simbabwe. Am wirkungsvollsten wäre es, wenn Mosambik und Südafrika die Treibstofflieferungen nach Simbabwe blockieren und der Westen das Land vom internationalen Zahlungsverkehr, dem Swift-System, abschneiden würde. Ohne Benzin und ohne Devisen, kalkulieren Diplomaten, wäre die Ära Robert Mugabes schnell zu Ende.