
NFL-Star Kaepernick: Kniefall für die Rechte von Schwarzen
Rassismus-Protest von NFL-Profi Kaepernick Im Rausch der Hymne
Wer schon einmal in den USA war, weiß, wie selten die Amerikaner eine Gelegenheit auslassen, um ihre Nationalhymne zu spielen. Man hört sie häufig, ob im Fernsehen, bei Großveranstaltungen oder Dorffesten. Mit "The Star-Spangled Banner" huldigen die US-Bürger ihrem Land und ihrer Freiheit. Musik an, Hand aufs Herz, und alles fühlt sich etwas leichter an.
In diesen Tagen aber ist die Hymne Teil einer heftigen Diskussion, und die Debatte ist auch deshalb so interessant, weil sie mal nicht in der Hitze des Wahlkampfs entstanden ist, sondern an anderer Stelle: im Sport. Der NFL-Profi Colin Kaepernick weigert sich in den Trainingsspielen seines Vereins, den San Francisco 49ers, sich zur Hymne zu erheben. Er will damit ein Zeichen setzen: gegen Rassismus und Polizeigewalt. Seit er Ende August die Nation mit seinem Manöver aufschreckte, streiten die Amerikaner darüber, ob man überhaupt stolz sein kann auf die Hymne, wo doch so vieles im Land so verkehrt läuft.
Contra und pro Kaepernick
Für Kaepernick, Sohn eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter, ist die Lage mit seiner Aktion nicht einfacher geworden. Er wird von Fans beschimpft, weil sie meinen, der 28-Jährige beschmutze mit seinem Boykott die nationalen Werte. Moderatoren halten ihm vor, von der eigenen Degradierung zum Bankspieler ablenken zu wollen. Polizisten drohen, Spiele der 49ers nicht mehr zu beschützen. Und Donald Trump legt dem NFL-Star nahe, sich "ein anderes Land" zu suchen.
Doch das Kaepernick-Lager, das gibt es auch: Fußballnationalspielerin Megan Rapinoe hat sich dem Protest inzwischen angeschlossen. Veteranen feiern Kaepernick als besonders herausragenden Patrioten. Die Verkaufszahlen seines Trikots schießen in die Höhe. Und von Barack Obama kommt Unterstützung: "Colin Kaepernick übt sein verfassungsgemäßes Recht aus", sagte der Präsident am Rande des G20-Gipfels in China.
Kaum ein Amerikaner, so scheint es, hat zu dem Quarterback keine Meinung, und womöglich liegt die Wucht, die Kaepernicks Boykott entfaltet hat, auch daran, dass der Fall gleich drei besonders sensible Ebenen berührt.
Zum einen natürlich das Problem selbst, gegen das der 49ers-Star protestiert. Es gibt wenige Themen, die die Amerikaner derzeit so sehr spalten wie Rassismus und Polizeigewalt. Die Nachwehen der Fälle in Minnesota und Louisiana haben im Frühsommer offengelegt, mit welch tiefem Misstrauen sich schwarze und weiße Amerikaner noch immer begegnen. Kaepernick hat diese und andere Fälle nun wieder in Erinnerung gerufen und die Nation damit ins Mark getroffen.
Es geht, zweitens, um die Idealisierung nationaler Symbole. In Zeiten, in denen sich Amerikaner immer weniger darüber einig sind, was ihr Land ausmacht und in welche Richtung es sich bewegen soll, wirken Hymne und Flagge immer mehr wie eine Art Schleier, der die Gräben in der Gesellschaft verdecken soll. Gerade im Sport, wo Hymne und Flagge seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Choreographie sind, helfen die beiden Symbole den Amerikanern, für einen Moment ihre inneren Konflikte zu vergessen und zu verdrängen. Weil Kaepernicks Boykott als Anstoß verstanden werden kann, die eigenen Sinnbilder wieder ein Stück mehr zu hinterfragen, geht es in diesen Tagen generationenübergreifend emotional zu.
Drittens wirft sein Fall die Frage auf, wie politisch Sport in den USA eigentlich sein darf. Auch hier gibt es zwei sehr unterschiedliche Denkrichtungen. Die einen halten es für selbstverständlich, dass Athleten sich aus der Politik heraushalten. Der Sport, argumentieren viele in den Chefetagen der großen Profiligen, sei ein eigenes System, vor allem aber ein Milliardengeschäft, das beschädigt würde, wenn Stars Partei in gesellschaftlichen Konflikten ergriffen. Das andere Lager sieht gerade die Sportidole als prädestiniert an, um sich politisch zu äußern. Mit ihrem Ruhm und ihrer Strahlkraft schafften sie es wie niemand sonst, die Amerikaner in sensiblen Debatten zu erreichen.
Der amerikanische Sport war immer schon ein Stück politischer als das in anderen Ländern der Fall war. Der Boxer Muhammad Ali weigerte sich 1967, als Soldat im Vietnamkrieg zu kämpfen. Die Black-Power-Geste der Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos bei der olympischen Medaillenvergabe 1968 gilt heute als eines der stärksten Zeichen gegen die Rassendiskriminierung. Gerade in jüngster Zeit scheint sich der Sport in den USA wieder mehr politisiert zu haben. Im Juli nutzten die NBA-Stars LeBron James, Dwyane Wade, Chris Paul und Carmelo Anthony eine Preisverleihung, um gemeinsam gegen die Polizeigewalt zu protestieren. Nur einer von etlichen Fällen.
Auch Kaepernick hat nicht vor, bald wieder zu schweigen. Gerade erst verkündete er, eine Million Dollar an Opfer von Rassengewalt spenden zu wollen. Und auch in der anstehenden NFL-Saison plant er, während der Nationalhymne sitzen zu bleiben oder zu knien. "Ich bleibe an der Seite derer, die unterdrückt werden", sagt er. "Aus meiner Sicht muss sich einfach etwas ändern."