Condoleezza Rice Schwarz, weiblich, mutig - und eine Geheimwaffe für McCain?

Wenn zwei sich streiten, gewinnt womöglich die Vierte: Das zunehmend härter ausgetragene Duell der demokratischen Präsidentschaftsbewerber eröffnet gute Chancen für eine der großen Begabungen der US-Politik - Condoleezza Rice. Sie könnte als McCains Vize an den Start gehen.
Von Gabor Steingart

Washington - Stellen wir uns vor, in naher Zukunft wird die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten gewählt - aber sie heißt nicht Hillary Clinton. Stellen wir uns vor, in absehbarer Zeit zieht ein Präsident schwarzer Hautfarbe ins Weiße Haus - und sein Name ist nicht Barack Obama.

Die Lösung des Rätsels heißt Condoleezza Rice. Die Pastorentochter aus Alabama, Klavierspielerin, Bush-Vertraute und Außenministerin, hat all jene Eigenschaften, die sich bei den Demokraten derzeit auf zwei Personen verteilen. Sie ist erfahren und einfühlsam, sie ist schwarz und weiblich, und mutige Reden halten kann sie auch.

Ihre Lebensgeschichte ist so emotional wie ein Roman von Alice Walker, die mit dem Südstaatendrama "Die Farbe Lila" Weltruhm erreichte. Condoleezza war acht Jahre alt, als vier Mädchen in ihrer Stadt nach dem Kirchgang in die Luft gesprengt wurden, darunter eine ihrer Freundinnen. Die Mörder stammten nicht aus Bagdad, sondern aus der Nachbarschaft, es waren weiße Rassisten.

Rice hat gute Chancen, als Vize-Präsidentschaftskandidatin nominiert zu werden. An der Seite des 71-jährigen Republikaners John McCain, dem im Falle eines Wahlsieges im November 2008 nur die einfache Wahlperiode zugetraut wird, könnte sie vom ersten Tag an ihre eigene Präsidentschaftskampagne starten. Während sich bei den Demokraten zwei zerfleischen, stünde sie als strahlende Vierte auf der Bühne. Der Einzug im Weißen Haus, 2012 oder vielleicht sogar früher, wäre dann im Bereich des Möglichen.

Ein wenig Glitzer kann McCain nicht schaden

McCain hat eine Vizekandidatin Rice gestern nicht ausgeschlossen. Im Flugzeug nach ihr befragt, legte er nur Wert darauf, das er von ihr keine Eigenbewerbung erhalten habe. Zugleich lobt er sie nach Kräften - als "große Amerikanerin", als "Rollenmodell für viele Millionen Menschen in den USA und auf der ganzen Welt".

Im Team von McCain wird fieberhaft nach einer Geheimwaffe gesucht, die seiner etwas lendenlahmen Kandidatur auf die Sprünge hilft. Drei Schwachstellen des Kandidaten gilt es zu kaschieren. McCain ist solide, aber spröde, da kann ein wenig Glitzer nicht schaden. Er ist erfahren, aber alt, da muss Jugendlichkeit her. Er ist weiß und hat sich bei schwarzen Wählern mit seinem einstigen Eintreten gegen einen Martin-Luther-King-Feiertag nachhaltig unbeliebt gemacht. Eine farbige Frau an seiner Seite wäre da hilfreich.

Mit Condoleezza Rice, das ist als Argument nicht geringzuschätzen, wäre auch das konservative Bush-Lager innerhalb der republikanischen Partei besänftigt. McCain gilt zwar den Liberalen als zu rechts, den Rechten aber als zu liberal. Die enge Vertraute des jetzigen Präsidenten würde diesen vermeintlichen Makel mindern.

Die größte Fehlkalkulation ihres Lebens, der Irak-Feldzug, wird in diesen Kreisen anders, nämlich gnädiger bewertet. Über nichts macht man sich in Europa wohl größere Illusionen als über die Unbeliebtheit von George W. Bush.

Die ist zwar groß, aber nicht so groß, wie viele meinen. Ein Gutteil der Republikaner sieht in ihm den Kriegspräsidenten. Den Steuersenker. Den Privatisierer. Den Unerschütterlichen. "Four more years", skandierte kürzlich die im Washington Hilton Hotel versammelte Parteibasis, trotz fehlender Massenvernichtungswaffen im Irak und 4000 amerikanischen Kriegstoten. Überall im Lande sieht man die kleinen Auto-Aufkleber auf denen steht: Support our troops, unterstützt unsere Truppen.

"Condoleezza wirbt für ihre Kandidatur"

Die Rice-Spekulation hat einen harten Kern, auch wenn ihr Sprecher sie dementierte. Die Indizien zum Nachweis ihres Interesses führen direkt zu den Fußtruppen der republikanischen Partei.

Zum ersten Mal seit Amtsantritt als Ministerin besuchte sie jetzt eine der Versammlungen der "Americans for Tax Reform". Diese Lobbygruppe gilt als einflussreich, zumal in Wahlkampfzeiten. Man muss wissen: Die Liebe vieler Amerikaner zum Vaterland wird nur noch durch ihre Zuneigung zum Geld übertroffen.

Der republikanische Strategieberater Dan Senor, der in der ersten Zeit des Irak-Besetzung als Sprecher der US-Zivilverwaltung fungierte, sagte nach dem Rice-Auftritt: "Condoleezza ist aktiv geworden, sie wirbt für ihre Kandidatur." Er verriet zumindest so viel: Sie habe nicht über die Nato gesprochen.

Öffentlich meldete sich die Politikerin ebenfalls zu Wort, zur innenpolitisch umstrittenen Rassenfrage. Ihre Parteifreunde hatten gerade das Feuer auf Barack Obama eröffnet, der durch Hasstiraden seines Pastors in Schwierigkeiten geraten war, da baute sie sich wie ein lebendiger Schutzschild vor ihm auf. Die Sklaverei sei nun mal ein "birth defect", ein Geburtsdefekt Amerikas, sagte sie im Redaktionsgespräch mit der "Washington Times". Europäer und Afrikaner seien zur gleichen Zeit in der neuen Welt angekommen, die einen aus freien Stücken, die anderen in Ketten.

Von dem Redaktionsgespräch existiert ein Mitschnitt, der ohne ihr Zutun wohl kaum auf der Webseite der Zeitung "washingtontimes.com" gelandet wäre. Da hört man ihren weichen, zuweilen erstaunlich samtigen Ton. Sie erklärt, anstatt zu belehren. Sie ist erkennbar zielstrebig, auch hart, aber nicht verbohrt.

Die Menschen, hat der verstorbene Publizist Johannes Gross einmal gesagt, teilen sich im Alltag nicht zwischen links und rechts, zwischen dumm und gescheit, zwischen arm und reich, die Scheidelinie verlaufe zwischen angenehm und unangenehm.

Ob es am Ende des Sondierungsprozesses für eine Kandidatur als Vizepräsidenten reicht, entscheidet McCain. Ein komplizierter Mechanismus hat begonnen, bei dem er die Vorteile anderer Kandidaten, zum Beispiel die Wirtschaftskompetenz des Unternehmers Mitt Romney, mit ihren Nachteilen, fehlende Nähe zur Parteibasis und mangelnde Ökonomiekenntnisse, verrechnet. Die Meinungsforscher werden ebenfalls ein Wort mitzureden haben. Condoleezza Rice selbst erklärte gestern, nach dem Ende der Bush-Regierung würde sie am liebsten wieder an ihrer alten Universität in Kalifornien arbeiten. Der Glaubwürdigkeitsfaktor solcher Erklärungen ist nicht allzu hoch anzusetzen.

Nachtrag: Für Deutschland hat sich Condoleezza Rice Verdienste erworben, die ohne Übertreibung in der Rubrik "unschätzbar" zu führen sind. 1990, als die französische und britische Regierung in Washington von der schnellen Wiedervereinigung warnten, riet die damalige US-Sicherheitsberaterin ihrem Präsidenten, die Deutschen gewähren zu lassen. George Bushs Vater folgte ihr.

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