Anruf bei einer Firma für Kühlsysteme
»Es gab Fälle, da sind Impfdosen in Bierkühlern transportiert worden«
Ein Kühlboxenhersteller beschreibt, wie das geht: den kostbaren Impfstoff fachgerecht zu den Menschen zu bringen – und dabei keine Dosis zu verschwenden.
Medizinisches Personal in Panama bringt Covid-19-Impfstoff in speziellen Kühlboxen zu den Impfterminen. Diese Aggregate sind wichtig, damit Kühlketten nicht unterbrochen werden
Foto:
Arnulfo Franco / AP
24 Stunden. So lange hält der Covid-19-Impfstoff von Moderna bei Raumtemperatur. Danach muss er in die Tonne. Normalerweise muss man die Impfdosen bei konstant minus 20 Grad lagern.
Nur zwei Stunden. So lange hält der Biontech-Impfstoff laut Beipackzettel bei einer Temperatur von 30 Grad Celsius. Danach darf er nicht mehr verimpft werden. Aufgetaut im Kühlschrank hält er, bei zwei bis acht Grad, fünf Tage. Gelagert wird er tiefgefroren bei minus 70 Grad Celsius.
Zwei Beispiele, die zeigen: Impfstoffe herzustellen, ist die eine Sache; die Vakzinen dann richtig zu lagern, ohne ihre Kühlkette zu durchbrechen, ebenso eine große Herausforderung. Impfstoffe, wenn sie Menschen in den Oberarm gespritzt werden, müssen sicher sein. Und kein Fläschchen sollte im Müll landen.
In vielen Regionen der Welt, wo etwa tropische Temperaturen herrschen oder eine unstete Stromversorgung besteht, ist die Aufgabe noch einmal schwieriger. Wie kriegt man das hin? Ein Anruf bei Luc Provost, der mit seiner Luxemburger Firma seit 40 Jahren Kühlsysteme für Impfstoffe produziert.
Zur Person
Foto:
B Medical Systems
Luc Provost, Jahrgang 1968, ist Geschäftsführer der Luxemburger Firma B Medical Systems. Die Firma ist Weltmarktführer in der medizinischen Kältetechnik, produziert etwa Thermoboxen und Spezialkühlschränke, um Impfstoffe, Blutkonserven und Laborproben zu lagern und zu transportieren.
SPIEGEL: Herr Provost, diese Impfstoffkühlboxen – wie viele dieser Geräte stellt Ihre Fabrik im Moment her?
Luc Provost: Sechsmal so viele wie vor der Coronakrise. Wir produzieren in drei Schichten am Tag, jeden Tag, auch am Wochenende. Wir bauen gerade eine weitere Fabrik, direkt neben unserer jetzigen Fabrik in Luxemburg. Und wir nehmen diese Woche ein Werk in Indien in Betrieb.
SPIEGEL: Sie kommen gar nicht hinterher.
Provost: Es gibt zu wenig Kühlsysteme, um den weltweiten Bedarf zu decken. Da wurde in der Vergangenheit viel verschlafen, auch in Europa; die Infrastruktur für große Impfkampagnen existiert in vielen Ländern nicht. Es gab Fälle, da sind Impfdosen in Bierkühlern transportiert worden, die sonst in Diskotheken im Einsatz sind. Auch in Deutschland kam das vor.
Es gibt international nicht so viele Hersteller in der Kühlbranche. Europa hat die eigenen Unternehmen vernachlässigt und sich auf chinesische Hersteller verlassen, das war nicht weise. Was uns Herstellern gerade in die Karten spielt ist, dass auch die Impfstoffe nicht so schnell produziert werden wie gewünscht. Eigentlich traurig – aber uns verschafft das Luft.
In einem Dorf in der Demokratischen Republik Kongo kommt eine Lieferung mit Impfstoff an – die medizinischen Thermoboxen werden auf Fahrrädern transportiert
Foto:
B Medical Systems
SPIEGEL: Warum braucht man solch spezielle Kühlboxen?
Provost: Ohne diese Systeme bekommen Sie den Impfstoff nicht dahin, wo er hin soll: in die Oberarme der Leute. Es geht darum, die Vakzinen in einem Land zu verteilen. Tief hinein in die einzelnen Städte und Dörfer. Die Tiefkühlsysteme müssen sehr robust sein. Sie müssen mit Gleich-, Wechsel-, Solarstrom oder Kerosin betrieben werden können, je nachdem, wo sie eingesetzt werden. Unsere Geräte können Impfstoff einen ganzen Monat auf minus 80 Grad gefroren halten, ohne jede Energiezufuhr. In Teilen der Welt ist das wichtig. Damit wir die Vakzinen durchgefroren zur Bevölkerung bringen können.
SPIEGEL: Wie läuft so eine Impfstoffverteilung ab?
Provost: Die Impfstoffhersteller – Moderna oder Biontech/Pfizer oder AstraZeneca – transportieren ihre Impfstoffe von der Produktionsstätte bis zum Flughafen oder Hafen eines Landes. Ab da liegt die Verantwortung beim jeweiligen Gesundheitsministerium. Dieses muss dafür sorgen, dass der Impfstoff bei exakt der Temperatur gekühlt bleibt, die vorgeschrieben ist. Das können minus 70, minus 20 Grad Celsius oder Kühlschrankgrade sein. Hier kommen unsere Geräte ins Spiel: Unser Auftrag sind die letzten Kilometer. Die Dosen sicher bis zu den Menschen zu bringen.
Provost: Nehmen Sie Indonesien. Ein Land, bestehend aus 17.000 Inseln. Tropische Temperaturen. Jede Insel muss sicher versorgt werden. In Madagaskar ist die Regenzeit das Problem, dazu gibt es dichte Wälder, was den Impfstofftransport kompliziert macht. In der Demokratischen Republik Kongo benutzen wir Fahrräder, um die Kühlaggregate in die Dörfer zu bringen. Weil dort die Straßen so schlecht sind, teils existieren gar keine Straßen. Es gibt Fälle, da brauchen wir Kanus, Helikopter oder müssen im schlimmsten Fall die Produkte zu Fuß transportieren. Die Kühlkette darf dabei nie unterbrochen werden. Manche Gebiete bleiben aber unerreichbar, wenn sich dort Aufstände oder Kriegsszenen abspielen.
Impfstoff im ganzen Land zu verteilen, ist letztlich eine Gerechtigkeitsfrage: Es kann nicht sein, dass zum Beispiel eine Frau im Kongo zwölf Stunden Fußmarsch bis zum nächsten Impfzentrum auf sich nehmen muss.
Manche Impfstofflieferungen, wie hier in Brasilien, werden auf Booten über Flüsse transportiert. Dann müssen die Kühlboxen entsprechend auch ohne Energie lange funktionieren können
Foto: B Medical Systems
SPIEGEL: Klingt gut, bloß: Ihre Kühlsysteme sind teuer. Eine Transportbox kostet mehrere Hundert Euro. Wer bezahlt dafür, damit auch ärmere Länder an die Produkte kommen?
Provost: Priorität hatten in der Tat die USA, Kanada, Zentraleuropa. Aber zu unseren Kunden zählen auch die Initiative »Covax« und die Weltbank, diese unterstützen ärmere Länder. Wir lieferten schon vor der Coronapandemie nach Afrika oder Lateinamerika, haben Nigeria und Ägypten mit medizinischen Kühlschränken ausgestattet, in denen neben Impfstoffen auch Blutkonserven oder Laborproben gelagert werden können. Die Demokratische RepublikKongo ist wegen der Ebolakrise das einzige afrikanische Land, das schon Kühlsysteme besitzt, um Vakzinen auf minus 80 Grad Celsius herunterzufrieren. In Nigeria haben wir Hunderte Dörfer mit solarbetriebenen Kühlsystemen ausgerüstet, viele befinden sich in abgelegenen Regionen, den Bergen, im Dschungel. Darauf können die Länder jetzt aufbauen.
Man sollte sich übrigens nicht täuschen: Viele Schwellenländer haben in der Vergangenheit breit angelegte Impfkampagnen auf die Beine gestellt. In der Hinsicht haben sie den europäischen Ländern etwas voraus.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel Globale Gesellschaft berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa - über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird über drei Jahre von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.
Die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt das Projekt über drei Jahre mit einer Gesamtsumme von rund 2,3 Mio. Euro.
Ja. Die redaktionellen Inhalte entstehen ohne Einfluss durch die Gates-Stiftung.
Ja. Große europäische Medien wie "The Guardian" und "El País" haben mit "Global Development" beziehungsweise "Planeta Futuro" ähnliche Sektionen auf ihren Nachrichtenseiten mit Unterstützung der Gates-Stiftung aufgebaut.
Der SPIEGEL hat in den vergangenen Jahren bereits zwei Projekte mit dem European Journalism Centre (EJC) und der Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation umgesetzt: Die "Expedition Übermorgen" über globale Nachhaltigkeitsziele sowie das journalistische Flüchtlingsprojekt "The New Arrivals", in deren Rahmen mehrere preisgekrönte Multimedia-Reportagen zu den Themen Migration und Flucht entstanden sind.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Medizinisches Personal in Panama bringt Covid-19-Impfstoff in speziellen Kühlboxen zu den Impfterminen. Diese Aggregate sind wichtig, damit Kühlketten nicht unterbrochen werden
Foto:
Arnulfo Franco / AP
Foto:
B Medical Systems
In einem Dorf in der Demokratischen Republik Kongo kommt eine Lieferung mit Impfstoff an – die medizinischen Thermoboxen werden auf Fahrrädern transportiert
Foto:
B Medical Systems
Manche Impfstofflieferungen, wie hier in Brasilien, werden auf Booten über Flüsse transportiert. Dann müssen die Kühlboxen entsprechend auch ohne Energie lange funktionieren können