Regierung verkündet strengere Maßnahmen
Auch die Schweiz nimmt Corona jetzt ernst
Der Sonderweg ist teilweise zu Ende: Britische Urlauber haben die hochansteckende Virusvariante ins Land gebracht – nun verkündet die Schweizer Regierung einen härteren Shutdown. Skipisten bleiben aber auf.
Schweizer Bundesräte und Kantonsvertreter verkünden den Shutdown mit Maske und hinter Plexiglasscheiben. Von links: Christoph Brutschin (Wirtschaftsdirektor des Kantons Basel-Stadt), Ernst Stocker (Finanzdirektor des Kantons Zürich), Finanzminister Ueli Maurer, Bundespräsident Guy Parmelin und Innenminister Alain Berset
Foto: PETER KLAUNZER / KEYSTONE / picture alliance
Am Schluss war vielleicht doch das Skifahren schuld. Der schweizerische Nationalsport, an dem das Land trotz aller Hiobsbotschaften in der Pandemie festgehalten hatte, lockte in den vergangenen, schneereichen Wochen Touristen aus ganz Europa in die Schweiz. Darunter auch Hunderte Reisende aus Großbritannien, von denen wohl einige die mutierte, hochansteckende Variante des Coronavirus mitgebracht haben.
Nun kommen die Folgen dieser Politik auch in Bern an. Die Schweizer Regierung, der Bundesrat, hat am Mittwochnachmittag verkündet, was für viele Experten längst überfällig war: Die Schweiz geht von Montag an in einen erneuten Shutdown. Alle Geschäfte, in denen keine Waren des täglichen Bedarfs verkauft werden, müssen schließen, alle Betriebe, in denen Homeoffice möglich ist, müssen es einführen.
Der Schweizer Sonderweg, der stets die »Eigenverantwortung« betonte, ist damit zumindest teilweise zu Ende: Bisher hatte der Bundesrat trotz höherer Infektionszahlen als in den Nachbarländern immer nur zögerlich Maßnahmen beschlossen. In vielen Kantonen sind Einkaufsgeschäfte noch geöffnet, auch Restaurants sind erst seit Ende Dezember im ganzen Land geschlossen.
Die Regierungsmitglieder tragen jetzt Maske beim Sprechen
Die Pressekonferenz am Mittwoch machte aber deutlich, dass sich im Land im Umgang mit dem Virus etwas verändert hat. Alle Mitglieder des Bundesrates saßen durch Plexiglaswände voneinander getrennt, sie behielten – anders als bei vorherigen Anlässen – beim Sprechen ihre Masken an. Die bisherige Gelassenheit im Umgang mit der Pandemie war verflogen, das Bild machte deutlich: Auch die Schweiz nimmt das Coronavirus jetzt richtig ernst.
Der zuständige Innen- und Gesundheitsminister Alain Berset hatte sich mit seiner Forderung nach einem umfassenden Shutdown im Bundesrat offenbar durchgesetzt. Er sagte, die Situation in der Schweiz sei vergleichbar mit derjenigen in Großbritannien – kurz nach dem Ausbruch der Mutation B117 Anfang Dezember. Gut sei nur, dass man nun wisse, was auf das Land zukommen könne: Es gebe nun »zum ersten Mal Vorlauf«, um sich auf eine anstehende Infektionswelle vorzubereiten. Denn auch, wenn die Infektionszahlen in der Schweiz derzeit noch sinken, geht der Bundesrat von einer drohenden dritten Welle aus, getrieben durch die hochansteckende Variante.
Derzeit infizieren sich täglich 3000 Schweizerinnen und Schweizer mit dem Coronavirus, die Sieben-Tage-Inzidenz auf 100.000 Einwohner liegt bei 255 – deutlich höher als in Deutschland, wo sie 151 beträgt. Wie verbreitet die mutierte Variante in der Schweiz bereits ist, kann im Moment niemand sagen. Sicher ist nur, dass es deutlich mehr Menschen betrifft als die 127 Fälle, die bisher nachgewiesen wurden. Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass die Mutation trotz harter Lockdown-Maßnahmen zu einer erneuten Explosion der Zahlen führen kann – weil sie um rund 50 Prozent ansteckender ist als die herkömmlichen Varianten.
Die Maßnahmen sind weniger weitreichend als im Frühjahr
Im internationalen Vergleich behalten die Schweizer auch in Zukunft große Freiheiten. So dürfen etwa Friseure, Optiker, Werkstätten, Baumärkte und Blumenläden weiterhin geöffnet bleiben – auch von einer Begrenzung des Radius auf 15 Kilometer ist bisher keine Rede.
Und: Die jetzt ergriffenen Maßnahmen sind immer noch weniger weitreichend als im Frühjahr. Schulen und Kindergärten müssen vorerst nicht im ganzen Land schließen: Die Entscheidung über diese Frage bleibt bei den Kantonen.
Hat der Bundesrat also »durchgegriffen«, wie es viele Schweizer Zeitungen an diesem Donnerstag schreiben? Die Antwort ist typisch schweizerisch: teils, teils.
Es erfordert für die Regierung in der liberalen Schweiz nach wie vor Mut, trotz sinkender Infektionszahlen eine Verschärfung der Maßnahmen zu beschließen. Von der rechtskonservativen SVP etwa hieß es prompt, der Bundesrat habe »den Bezug zur Realität verloren«.
Foto: DENIS BALIBOUSE / REUTERS
Die vielen Ausnahmen belegen, dass die Schweizer Regierung nach wie vor die Konfrontation mit ihren mächtigsten Lobbygruppen scheut. Besonders deutlich wird das, wieder einmal, beim Skifahren. Obgleich alle anderen Sportanlagen des Landes geschlossen bleiben und es ab Montag auch nicht mehr erlaubt ist, in einer Gruppe von mehr als fünf Personen draußen Sport zu treiben, bleiben die Skigebiete in vielen Kantonen offen.
Im Engadin sieht man viele Autos mit deutschen Kennzeichen
Anders als botanische Gärten, die vermutlich weniger starke Vertreter nach Bern schicken können und wirtschaftlich weniger bedeutend sind, dürfen Skilifte und Pisten weiter genutzt werden. Auch Hotels und Ferienwohnungen bleiben weiter geöffnet. Und das nicht nur für Schweizer Wintersportler. Wer in diesen Tagen im Engadin oder im Berner Oberland unterwegs ist, sieht viele Autos mit deutschen und italienischen Kennzeichen – und Hotelrestaurants, in denen Frühstücksbuffets und Abendkarte auf Übernachtungsgäste warten. Deutsche Touristen, die aus dem Risikogebiet Schweiz zurückkehren, müssen sich in Quarantäne begeben.
Der Bundesrat bleibt auch in vielen anderen Bereichen inkonsequent: Statt der hochansteckenden Mutation mit FFP2-Masken zu begegnen, hieß es am Mittwoch, man beobachte »gespannt«, wie sich diese Masken in anderen Ländern auswirken. Und anstatt genau zu definieren, was Unternehmen tun müssten, um Homeoffice zu gewährleisten, betont der zuständige Minister Alain Berset, es gebe hier »Handlungsspielraum«.
Es bleibt fraglich, ob es dem Bundesrat mit diesem neuen, noch immer verhältnismäßig sanften Shutdown gelingt, das zu verhindern, was Minister Berset und viele andere fürchten: Eine »brutale, dritte Welle im Februar«, in der die hochansteckende Mutation das vorherige Infektionsgeschehen überlagert – und die seit Monaten schon hart an der Belastungsgrenze arbeitenden Intensivstationen des Landes endgültig überfordert sind.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Schweizer Bundesräte und Kantonsvertreter verkünden den Shutdown mit Maske und hinter Plexiglasscheiben. Von links: Christoph Brutschin (Wirtschaftsdirektor des Kantons Basel-Stadt), Ernst Stocker (Finanzdirektor des Kantons Zürich), Finanzminister Ueli Maurer, Bundespräsident Guy Parmelin und Innenminister Alain Berset
Foto: PETER KLAUNZER / KEYSTONE / picture alliance