Corona-Rebellion in Polen
»Kirche des gesunden Körpers« hebelt Lockdown-Regeln aus
Gastwirte, Hoteliers und Betreiber von Fitnessstudios rebellieren in Polen gegen die strengen Corona-Regeln. Manche öffnen heimlich, andere demonstrativ – und viele umgehen die Verbote mit abstrusen Tricks.
Verbotenes Training bei »Fitness for Ladies« in Piaseczno: »Wer soll sich hier anstecken?«
Foto: Piotr Malecki / Napo Images / Fo / Forum
Die Französische Straße ist eine hippe Adresse in Warschau. Auf dem östlichen Weichselufer gelegen, von Bäumen gesäumt, reihen sich hier Bars, Restaurants und Kneipen. Es gibt Italienisch, Vietnamesisch, Sushi, Döner, handgemachte Burger, vegan und vegetarisch – das komplette Menü des globalisierten Großstädters.
Aber dieser Tage liegt die »Francuska« öde und menschenleer im Schneeregen. Lockdown wegen Corona. Nur bei »Burrito und Burger« brennt Licht. »Teure Burgerfresser« spricht Restaurantchef Darek auf Facebook seine Klientel an: »Seit dem 18. Januar laden wir zum kostenpflichtigen Burgertest.«
Seitdem kommt fast täglich das Gesundheitsamt zur Kontrolle. Bei Verstößen gegen die Lockdown-Regeln drohen Strafen von bis zu 30.000 Zloty, umgerechnet 7500 Euro. Doch bisher hat Darek keinen Strafzettel erhalten. »Von irgendwas muss ich ja leben«, sagt er: »Die Regierung hilft uns kaum.«
Auch bei Monika Sapińska steht dauernd die Polizei auf der Matte. Sie betreibt das Studio »Fitness for Ladies« im Vorort Piaseczno und denkt gar nicht daran, zuzumachen. »Zu uns kommen gesunde Menschen«, sagt sie, wer solle sich denn da anstecken: »Die Regierung macht die Wirtschaft kaputt.«
Lücken in den Lockdown-Regeln
Es sind vor allem Kleinunternehmer wie diese, die jetzt gegen die strikten Corona-Auflagen rebellieren. Zwar hat die Regierung einen milliardenteuren »Rettungsschild« gegen die Pandemie aufgerichtet, doch trotzdem– so klagen etwa Hoteliers, Gastwirte und Fitnessstudiobetreiber – fließt zu wenig oder gar kein Geld. Unter dem Hashtag »otwieraMY« (»Wir öffnen«) machen sie ihrem Unmut Luft, eine interaktive Karte im Internet, die »Karte des freien Business«, verzeichnet schon mehr als hundert Kleinbetriebe, die sich hinwegsetzen über die seit Ende Oktober geltenden Beschränkungen.
Wenn überhaupt ist die Polizei bisher sehr milde gegen die Blockadebrecher vorgegangen. Dafür haben Politiker der extremen Rechten versucht, sich zu Wortführern der Lockdown-Gegner zu machen. Allerdings bisher ohne Erfolg. Eine »Querdenker-Bewegung« wie in Deutschland gibt es in Polen nicht.
Das Schild warnt davor, sich zur Begrüßung die Hände zu geben: Die Straßen der Warschauer Innenstadt sind einsam im Lockdown
Foto: Piotr Malecki / Napo Images
Die Zeitungen sind voll von Reportagen über Streifzüge durch das Nachtleben, das vielerorts nach dem gleichen Muster verläuft: Kneipen ziehen die Vorhänge vor, dimmen das Licht, drehen die Musik leiser, lassen weniger Gäste ein als sonst. Bezahlt wird bar. Aus den Bergregionen, wo um diese Jahreszeit normalerweise der Skitourismus boomt, wird berichtet, dass Pensionen und Familienhotels ihre Stammgäste diskret weiter beherbergen.
Die meisten Unternehmer machen nicht einfach wieder auf, sondern versuchen, Lücken in den staatlichen Corona-Verordnungen auszunutzen. Juristisch spitzfindig deklarieren sie ihr Gewerbe um – was manchmal absurde Blüten treibt.
Schlittschuh-Blumenstand und »kostenpflichtiger Gerätetest« im Fitnessstudio
Der Betreiber einer Eisbahn in Szczecin etwa ließ mitten auf der Eisfläche einen Blumenstand aufbauen. »Ich kann doch nichts dafür, wenn die Leute auf Schlittschuhen kommen«, sagt er. Blumenläden sind nämlich vom Lockdown ausgenommen.
Die Künstlerbar »W oparach absurdu« (»In den Dämpfen des Absurden«) in Warschau hat sich zum »Coworking«-Raum und das Gelage zum Barmann-Workshop erklärt. Ein Fitnessstudio in Krakau lädt jetzt zum »kostenpflichtigen Gerätetest« statt zum Training oder tarnte die Turnerei unter dem Namen »Kirche des gesunden Körpers« als religiöse Zusammenkunft. »Das mag natürlich albern erscheinen«, sagt die Managerin: »Die Kirchen sind offen, Galerien auch, aber Fitnessstudios nicht – das kann ich nicht verstehen.«
Geschlossen sind auch Schwimmbäder, zumindest für alle, die nicht zum nationalen Schwimmkader gehören. Komischerweise ist die Zahl der polnischen Eliteschwimmer seit Beginn des Lockdowns auf fast 19.000 gestiegen. Allein in Warschau trainieren um die 3500 Talente.
Begeistert haben Politiker der extremen Rechten versucht, sich an die Spitze der Unternehmerproteste zu setzen. Krzysztof Bosak, einer der Führer der Partei »Konfederacja«, schwadroniert im Fernsehen, es gebe keinen klaren Beweis für einen Zusammenhang zwischen Lockdown und sinkenden Corona-Zahlen. Seine Truppe, ein verwirrter Narrenzug aus Rassisten und Verschwörungstheoretikern, sammelt Geld, damit Unternehmer vor Gerichte gegen Restriktionen vorgehen können.
Anna Bocheńska aus Warschau will davon nichts hören: »Wir fluchen nicht über die Regierung, aber wir müssen etwas ausknobeln.« An der Jerusalem-Allee betreibt sie das Restaurant »Different«. Hier kochen und servieren Blinde.
Bocheńska hat sich juristisch beraten lassen und festgestellt: Restaurants müssen zwar geschlossen sein, erlaubt sind aber Bildungsangebote, die Behinderte und Nichtbehinderte einander näherbringen. Im »Different« gelten strikte Hygienevorschriften, Händedesinfektion, Abstand zwischen den Tischen. Das Essen im Dunkeln selbst ist jetzt ein »sensorischer« Workshop, die blinden Kellner sind jetzt »Sehenden-Führer«. Zum Nachtisch erhalten die Gäste ein Zertifikat über die Teilnahme an der Schulung. »Irgendwie müssen wir doch verdienen«, sagt Bocheńska.