Cyber-Dschihadisten nach Bin Ladens Tod "Gott, lass die Nachricht falsch sein"

"Wenn er getötet wurde, wird es zehn Millionen neue Osamas geben": Auf radikalen Web-Seiten schwören Qaida-Anhänger bittere Vergeltung für den Tod ihres Anführers. Zunächst warten sie jedoch auf eine offizielle Bestätigung des Terrornetzwerks.
Von Yassin Musharbash
Screenshot einer Dschihadisten-Website: Folklore mit Maschinengewehr

Screenshot einer Dschihadisten-Website: Folklore mit Maschinengewehr

Berlin - Hass, Wut, Trauer: All das ist in den einschlägigen dschihadistischen Internetforen derzeit ohne Probleme zu finden. "Obama, das wird deinen Kopf kosten", verspricht ein User. "Wir werden jedes amerikanische Schwein schlachten", sekundiert ein zweiter. "Gott, lass die Nachricht falsch sein", fleht ein dritter Diskutant. "Wir sind alle Osama", haben gleich mehrere Cyber-Dschihadisten zur Parole erhoben. Andere beten bereits, der Qaida-Chef möge "ins höchste Paradies eingegangen" sein oder sorgen sich um die Fortsetzung des militanten Dschihad: "Wenn er getötet wurde, wird es zehn Millionen neue Osamas geben."

Doch etwas fällt auf: Es sind deutlich weniger Nutzer, als zu erwarten wäre, die sich über den Tod ihres Idols auslassen. Die Klagen und Rache-Aufrufe fallen gar nicht auf zwischen den übrigen Postings, die sich mit den üblichen Themen beschäftigen: Mudschahidin-Operationen in Nordafrika, ein Online-Kurs über Spionagetechniken, getötete US-Soldaten in Afghanistan.

Wer genau hinschaut, erkennt den Grund. Viele Qaida-Sympathisanten sind skeptisch, ob die Nachricht, deren Ursprung ja der verhasste US-Präsident Barack Obama ist, überhaupt stimmt. Selbst jene, die nun Vergeltung fordern oder ankündigen, leiten ihre Beschwörungen mit dem Konjunktiv ein: "Wenn es stimmt, dass…"

Dass am Montag zudem offensichtlich gefälschte Bilder des getöteten Bin Ladens kursierten, dass die USA den Leichnam zudem bereits auf See bestattet haben wollen, erhöht in den Augen der Extremisten die Glaubwürdigkeit nicht gerade.

Es ist eine gute Handvoll arabisch dominierter Websites, auf denen sich die globale Community der Terror-Fans austauscht. Die Betreiber der Foren sind mit al-Qaida und Co. verquickt - sie garantieren den steten Strom an Propaganda, indem sie die Seiten den Terrorgruppen wie schwarze Bretter zur Verfügung stellen.

Die Betreiber der Seiten bemühen sich, den "Scheich" offiziell am Leben zu halten, bis al-Qaida seinen Tod quasi amtlich verkündet. Auf einer der wichtigsten Dschihad-Websites prangt die Ermahnung: "Wir haben keine unabhängige Bestätigung für die Nachricht" - gemeint ist jene vom Tod Bin Ladens.

Qaida-Fans vertrauen in Fragen von Leben und Tod von bekannten Führern eben nur al-Qaida. Und das Terrornetzwerk verschweigt seine Todesfälle auch nicht. Sterben wichtige Führungspersonen, gibt es elaborierte Nachrufe, manchmal sogar mehrere, gelegentlich in Videos auserzählt.

Eine Erklärung des Netzwerks wird kommen

Und meistens lässt al-Qaida die Anhänger nicht allzu lange im Ungewissen. Als am 7. Juni 2006 US-Truppen den Chef der irakischen Qaida-Filiale töteten, gaben die Gefährten von Abu Mussab al-Sarkawi dies am Folgetag zu und bestätigten die "frohe Kunde" vom "Märtyrertod" ihres Anführers.

Als dessen Nachfolger wiederum im vergangenen Jahr ums Leben kamen, dauerte es sechs Tage, bis die zweite Reihe das Ableben bestätigte.

Und als am 21. Mai 2010 der Afghanistan-Chef al-Qaidas durch eine US-Drohne ums Leben kam, veröffentlichte Abu Jahja al-Libi, eine spirituelle Führungsfigur al-Qaidas, seinen Nachruf zehn Tage später.

Im Falle Osama Bin Ladens wird ganz sicher ebenfalls eine offizielle Erklärung folgen. Vermutlich wird sie entweder sein Stellvertreter und vermutlicher Nachfolger Aiman al-Sawahiri abgeben, möglicherweise aber auch erneut Abu Jahja al-Libi. Nicht auszuschließen wäre auch zunächst eine nüchterne schriftliche Erklärung im Namen des Terrornetzwerks. Aber ziemlich bald danach würde einer der Führer das Wort ergreifen - und entweder selbst die Nachfolge reklamieren oder einen anderen auf den Schild heben.

Bis dahin, so scheint sich die Mehrheit der Cyber-Dschihadisten entschieden zu haben, wollen sie sich zurückhalten. Auch wenn einige Heißsporne davon nichts wissen wollen.

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