Mord an Daphne Caruana Galizia in Malta
"Das ganze Land verraten"
Jeden Stein wollte Maltas Premier Muscat umdrehen, um die Mörder Daphne Caruana Galizias zu finden. Nach drei Rücktritten wankt nun seine Regierung. Doch der Sumpf, in dem die mutige Journalistin recherchierte, ist tiefer als gedacht.
Mahnwache für die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia: "Sie weigerte sich, den Bedrohungen nachzugeben"
Foto: Darrin Zammit Lupi/ REUTERS
Als George Vella Mitte September den Vatikan besuchte, war die Welt für ihn noch in Ordnung. Die Schweizer Garde stand für den Präsidenten von Malta im Hof des Apostolischen Palastes Spalier. Durch prunkvolle Säle und an befrackten Dienern vorbei ging es zum Heiligen Vater, den Vella mit einer tiefen Verbeugung begrüßte, begleitet von einem Hofstaat aus Offizieren, Geistlichen und seiner First Lady, sie im schwarzen Schleier, wie es die Tradition verlangt.
Es war ein Gipfeltreffen der besonderen Art: Zwei winzige Staaten, in denen dubiose Geldgeschäfte und mysteriöse Todesfälle, vorsichtig formuliert, zur Legendenbildung gehören. Und zwei betagte Staatsoberhäupter, die sich in der päpstlichen Bibliothek freundlich lächelnd Geschenke überreichten. Die heikelste politische Frage war, wann Franziskus denn endlich nach Malta komme.
Zwei Monate später hat George Vella andere Sorgen. Beim maltesischen Präsidenten geht zur Zeit ein Gnadengesuch nach dem nächsten ein. Verdächtige wollen auspacken und ihre Wahrheit über den spektakulärsten Mordfall auf der Inselrepublik erzählen, über Hintermänner und Auftraggeber, die am 16. Oktober 2017 die Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe töten ließen.
Maltas Premier Joseph Muscat
Foto: Matthew Mirabelli/ AFP
Die Nachricht löste ein politisches Erdbeben aus, Festnahmen und Verhöre führten zu einer Regierungskrise:
Erst trat Montagnacht der Stabschef im Regierungspalast, Keith Schembri, zurück, bevor er auf eine Polizeiwache abgeführt wurde.
Dann gaben der Wirtschaftsminister, der ebenfalls verhört wurde, und sein Kollege im Tourismusressort auf.
Ob und wie lange Ministerpräsident Joseph Muscat von der Labour-Partei an der Macht bleiben kann, ist offen. "Sie haben ihre Partei verraten. Sie haben das ganze Land verraten", schreibt der prominente maltesische Blogger Manuel Delia über "Muscat und seine Gang". Der Premier müsse die Verantwortung übernehmen und gehen.
"Meine Mutter lebte in Angst"
Die Menschen auf der Inselrepublik - einem EU-Staat mit weniger Einwohnern als Nürnberg - hadern mit großen Fragen. Es geht um Rechtsfrieden und Pressefreiheit.
Jahrelang wurde Caruana Galizia immer wieder bedroht. Mal wurde ihr Haus in Brand gesteckt, mal ihr Hund getötet; es gab zahllose Einschüchterungsversuche, aber zu wenig Schutz von der Polizei. "Meine Mutter lebte in Angst", sagte ihr Sohn Matthew Caruana Galizia kürzlich der BBC. "Aber sie weigerte sich, den Bedrohungen nachzugeben."
Demonstration in der maltesischen Hauptstadt Valletta: "Es geht um die Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik"
Foto: DOMENIC AQUILINA/ EPA-EFE/ REX
Und es geht um die Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik, um mögliche Mauscheleien beim Bau und Betrieb eines 480 Millionen Euro teuren Gaswerks, für das sich die Labour-Regierung von Joseph Muscat engagierte. Rätselhafte Zahlungen beschäftigen die Ermittler, Geldströme sollen von einer Firma in Dubai über Unternehmen in Panama offenbar an zwei der jetzt zurückgetretenen Politiker geflossen sein.
Daphne Caruana Galizia hatte sich in ihrer Karriere viele Feinde gemacht und in unterschiedlichen Bereichen recherchiert. Auch die Überweisungen zwischen Dubai und Panama haben sie interessiert. Material aus den Panama Papers, die weltweit Steuervergehen und Geldwäsche-Delikte enthüllten, führte zu Muscats Stabschef und zu seinem Tourismusminister, der früher für Energiepolitik zuständig war. Liegt in diesem Umfeld der Schlüssel für ihren Tod?
Vieles muss noch aufgeklärt werden. Insbesondere die Rolle von Yorgen Fenech.
Yorgen Fenech im Hafen von Portomaso, Malta: Gestoppt vom Polizeiboot
Foto: AP
Der maltesische Geschäftsmann ist mit seiner Unternehmensgruppe Tumas unter anderem im Hotel-, Immobilien-, Casino- und Hafenbusiness aktiv. Und er beteiligte sich an Electrogas Malta, jenem umstrittenen 480-Millionen-Euro-Gaswerk - über ein Konsortium, in dem auch Siemens vertreten ist.
"So kann es nicht monatelang weitergehen"
Vergangene Woche wollte Yenech noch vor Sonnenaufgang mit seiner Luxusjacht Richtung Italien fliehen, wurde aber von einem Polizeiboot gestoppt, zurückgebracht und verhaftet. Steckt er über seine Firma in Dubai hinter den Zahlungen an die maltesischen Regierungsmitglieder? Ein lukratives Energiegeschäft, merkwürdige Politiker, ein schillernder Unternehmer, der brutale Mord an Daphne Caruana Galizia - die Justiz wird viel Zeit brauchen, wenn sie beweisen will, wie das alles womöglich zusammenhängt.
Politisch brisant ist die Affäre lange vor dem abschließenden Richterspruch. Ministerpräsident Muscat hatte vor zwei Jahren versprochen, jeden Stein umzudrehen, bis der Fall Caruana Galizia aufgeklärt sei. Aber seinen Stabschef und seinen Tourismusminister beließ er im Amt, obwohl ihre Panama-Verstrickungen seit Langem offenkundig sind. Muscat ist in den Ermittlungen eine Schlüsselfigur: Es ist an ihm zu empfehlen, welchem Gnadengesuch der Präsident stattgegeben wird. So kann Muscat beeinflussen, ob wichtige Zeugenaussagen zustandekommen oder nicht.
"So kann es nicht monatelang weitergehen", kommentiert die "Times of Malta". Das Land müsse "zu einem Anschein von Normalität zurückkehren, wo soziale Gerechtigkeit und das Allgemeingut wichtiger sind als Gier, Korruption und Vetternwirtschaft."
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war der Name des maltesischen Bloggers Manuel Delia falsch geschrieben. Wir haben die Stelle angepasst.