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Stefan Kuzmany

David Camerons Abgang Ich sing euch eins

Die seltsame Gesangseinlage des scheidenden britischen Regierungschefs David Cameron lässt ahnen, wie viel Respekt er vor seinem Amt und der Öffentlichkeit hat: gar keinen.

Das ist schon ein Spaß: Erst wird unter falschem Namen ein Restaurant gebucht, dann betrinkt man sich dort und macht alles kaputt, und wenn sich der Besitzer aufregt, wird er direkt mit dicken Geldbündeln abgespeist - ist ja genug davon vorhanden, alles eingepreist.

So ists Tradition im Bullingdon Club , einer exklusiven Studentenvereinigung in Oxford, Mitgliedschaft nur auf Einladung, und man braucht schon reiche Eltern oder Verwandtschaft im britischen Hochadel, um bei diesen lustigen Saufgelagen dabei sein zu dürfen, am besten beides.

Niemand kann etwas für seine Herkunft, darum sollte man David Cameron, dem scheidenden britischen Premierminister, auch nicht zum Vorwurf machen, dass er wohlhabend aufgewachsen ist und einige seiner Jugendjahre als prassender Bullingdon-Snob verbracht hat. Aber dieser spezielle soziale Hintergrund ist möglicherweise doch hilfreich dabei, sich den seltsamen Abgang des Regierungschefs zu erklären.

Die Rücktrittsankündigung David Camerons, einst als jugendlicher Hoffnungsträger der Konservativen angetreten, ist deshalb so bemerkenswert, weil sie sich so ungewöhnlich vollzog. Was bewegt einen Politiker bei seinem Abtritt? Mancher gibt sich zerknirscht, weil er Fehler gemacht hat und angibt, diese einzusehen. Ein anderer beharrt darauf, zu Unrecht aus dem Amt gejagt worden zu sein. Trotzig und gegen seinen Willen zieht er sich zurück, aber erhobenen Hauptes.

Bei David Cameron jedoch: Keine erkennbare Gefühlsregung. Bedauert er es, ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens angesetzt zu haben, ohne Not und nur für die eigene Karriere? Sieht er sich in der Verantwortung für die Folgen dieses dann nicht in seinem Sinne ausgegangenen Referendums, für die ökonomischen Schockwellen nicht nur in seinem Land, sondern in der gesamten Europäischen Union? Hat er ein Problem damit, dass er womöglich als derjenige britische Premier in die Geschichte eingehen wird, der mit einer Kombination aus Egoismus, Unvermögen und Fahrlässigkeit die EU und das Vereinigte Königreich gespalten, wenn nicht gar gesprengt hat?

Davon kein Wort in seiner kurzen Pressekonferenz vor seinem Amtssitz, bei welcher er seinen Rücktritt am Mittwoch angekündigt hat. Hier sprach ein Mann, der mit dem Job, den er da aufgab, innerlich schon längst nichts mehr zu tun zu haben schien. Ein wenig Lob für die Nachfolgerin Theresa May, die jetzt die von ihm hinterlassenen Scherben aufkehren darf, und dann, auf dem Weg zur Eingangstüre der Downing Street Number 10, ein kurzes Liedchen geträllert.

Ein irritierender Gesang. Wähnte er sich unbeobachtet? Wohl kaum. Cameron ist Medienprofi und bekannt dafür, stets frei und geschliffen zu reden. Er wusste selbstverständlich genau, dass alle Augen und Ohren auf ihn gerichtet bleiben, bis er die Türe hinter sich geschlossen hat. Also hat er wohl ganz bewusst eine Botschaft gesendet an die Welt da draußen. Er hat die Emotion dann doch noch mitgeteilt, die seinem vorangehenden Auftritt fehlte. Nicht explizit, das verbietet ihm Herkunft, Erziehung und Stellung - aber doch so deutlich wie nötig. Seine Botschaft: Verachtung. Hätte sein Gesang einen Text, dann diesen: Die Sache ist erledigt, ich bin raus. Denkt, was ihr wollt, ist mir doch Wurst. Ich bin jetzt weg, ihr könnt mich mal.

Könnte es sein, dass für David Cameron das alles ein großes Spiel ist: Seine Regierung, der Brexit, die Zukunft seines Landes und der EU? Könnte es sein, dass diesem Mann im Grunde alles egal ist, denn unter den Folgen seines Handelns hat er sowieso nicht zu leiden - irgendwer wird schon bezahlen, und der nächste hochbezahlte Job, vermittelt von guten Freunden, wartet sowieso schon? Leider sieht es ganz danach aus.

Wie soll man Respekt behalten vor so einem Politiker? Die Spaltung Großbritanniens durch den schmutzigen Brexit-Wahlkampf ist schlimm, aber hoffentlich zu heilen. Das Ergebnis des Referendums ist bedauerlich, aber langfristig wohl verschmerzbar. Der Eindruck jedoch, den David Cameron bei seinem Abtritt hinterlässt, ist einfach nur verheerend.

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