Britischer Premier vor der Unterhauswahl Camerons Zwei-Fronten-Kampf

David Cameron startet den Unterhauswahlkampf mit scharfer Anti-EU-Rhetorik. Der konservative Premier reagiert auf die rechtspopulistische Ukip - und kontert zugleich Labour mit teuren Versprechen auf Steuersenkungen.
Großbritanniens Premier Cameron: Wahlkampf mit Anti-EU-Parolen

Großbritanniens Premier Cameron: Wahlkampf mit Anti-EU-Parolen

Foto: LUKE MACGREGOR/ REUTERS

Die britischen Konservativen ziehen mit scharfen Anti-EU-Parolen in den Unterhauswahlkampf. In seiner Rede auf dem Tory-Parteitag versprach Premier David Cameron, die Freizügigkeit in der EU einzuschränken und den Einfluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu beschneiden.

Die EU-Regeln zur Freizügigkeit müssten sich ändern, sagte Cameron am Mittwoch in Birmingham. Er werde in Brüssel "ein Nein als Antwort nicht akzeptieren".

Auch sollen britische Gerichte künftig nicht mehr vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überstimmt werden können. "Das Land, das die Magna Charta geschrieben hat, braucht keine Nachhilfe in Menschenrechten", sagte Cameron. Deshalb werde er im Fall seiner Wiederwahl im Mai 2015 die Menschenrechtsgesetzgebung so reformieren, dass die Straßburger Richter britische Entscheidungen nicht mehr aufheben können.

Im innenpolitischen Teil seiner Rede kündigte der Tory-Chef satte Steuergeschenke an: Der Steuerfreibetrag soll von 10.500 auf 12.500 Pfund erhöht werden. Die Bemessungsgrenze für den Spitzensteuersatz (40 Prozent) soll von 41.900 Pfund auf 50.000 Pfund Jahreseinkommen steigen.

Cameron blinkt rechts und links

Die Wahlversprechen zeigen: Cameron steckt in einem Zwei-Fronten-Kampf. Sein Hauptgegner ist Labour-Oppositionsführer Ed Miliband, der die abstiegsbedrohte Mittelschicht mit linken Versprechen wie einer Villensteuer und mehr Staatsausgaben für das Gesundheitssystem ködert. Auf der anderen Seite gräbt Ukip den Tories mit ihren Stammtischsprüchen gegen Einwanderer, EU und Eliten konservative Wähler ab.

Auf dem viertägigen Parteitag stritten die Tories heftig darüber, wie sie sich zwischen diesen beiden Polen positionieren sollen. Die einen argumentieren, Cameron müsse EU-kritischer werden, um die Ukip-Sympathisanten in der Partei an Bord zu halten. In den vergangenen Wochen waren mit Douglas Carswell und Mark Reckless zwei bekannte Tory-Unterhausabgeordnete zu der Anti-EU-Partei übergelaufen. Moderate Konservative hingegen warnen vor einem Rechtsruck. Ukip lasse sich eh nicht rechts überholen, sagen sie. Man solle sich daher ganz auf potenzielle Labour-Wähler konzentrieren.

In seiner Rede versuchte Cameron beides: Die Steuersenkungen sind an die Wechselwähler in der Mitte gerichtet - ebenso wie das Versprechen, das staatliche Gesundheitssystem NHS von allen Kürzungen auszunehmen.

Die Drohungen gegen Brüssel und Straßburg auf der anderen Seite sollen die Euroskeptiker überzeugen, dass der Regierungschef es mit der angekündigten EU-Reform ernst meint. Cameron wirbt damit, der einzige Parteichef zu sein, der den Briten in der kommenden Legislaturperiode ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft geben wird.

Umfrage: Labour vor Tories

Umfragen verdeutlichen Camerons Dilemma. In der jüngsten YouGov-Umfrage führt Labour mit 36 Prozent vor den Konservativen (31 Prozent). Ukip liegt mit 15 Prozent auf dem dritten Platz, die Liberaldemokraten abgeschlagen mit 7 Prozent hinten. Alles deutet auf ein knappes Rennen zwischen Labour und den Konservativen hin. Je stärker Ukip wird, desto mehr schwinden Camerons Chancen.

Einen Grund zur Hoffnung hat Cameron jedoch: In der öffentlichen Wahrnehmung steht er deutlich besser da als sein Herausforderer. Eine Mehrheit der Briten kann sich den linkischen Labour-Chef nicht als Premier vorstellen. Den Eindruck hat Miliband durch einen schwachen Auftritt auf dem Labour-Parteitag in der vergangenen Woche verstärkt. In seiner frei vorgetragenen Rede hatte er vergessen, das Haushaltsdefizit und die Einwanderung zu erwähnen - zwei der wichtigsten Themen im Wahlkampf. In seiner Rede nahm Cameron den peinlichen Patzer aufs Korn: Er selbst habe seine Tochter Nancy ja einmal nach dem Mittagessen im Pub vergessen, witzelte er. Aber auf keinen Fall dürfe man als Premierminister das wichtigste Problem des Landes vergessen.

Den Schottland-Schock vor zwei Wochen scheint Cameron vorerst überwunden zu haben. Zwar wird ihm eine Mitschuld gegeben, dass das Land kurz vor dem Zerfall stand. Doch die meisten Briten haben das Unabhängigkeitsreferendum bereits abgehakt. 55 Prozent der Schotten hatten für den Verbleib im Königreich gestimmt.

Nach dem Schottland-Schock geht es um England

Die politische Debatte konzentriert sich nun auf den Unterhauswahlkampf - und damit auf die 54 Millionen Engländer. Der Wunsch der fünf Millionen Schotten nach mehr Autonomie wird hintangestellt. Nur kurz erwähnte Cameron, dass er nun die britische Verfassung "fairer" machen wolle. Das bedeute mehr Rechte nicht nur für die Schotten, sondern auch für Engländer, Waliser und Nordiren.

In erster Linie präsentierte sich der Premier jedoch als erfahrener Steuermann, bei dem die britische Wirtschaft in guten Händen ist. In den vergangenen vier Jahren habe seine Regierung die Grundlagen für den Aufschwung gelegt, sagte er. Man habe das Haushaltsdefizit verringert und mehr Arbeitsplätze geschaffen als der Rest Europas zusammengenommen. Nun brauche man die nächsten fünf Jahre, "um den Job zu erledigen".

Leisten kann sich Großbritannien die versprochenen Steuersenkungen in Höhe von sieben Milliarden Pfund eigentlich nicht. Das britische Defizit bleibt gewaltig, das Wahlgeschenk widerspricht dem Sparkurs. Cameron knüpfte die Steuersenkung daher an die Bedingung, dass der Haushalt zunächst ausgeglichen sein muss. Dafür müssten in den ersten beiden Jahren der neuen Legislaturperiode zusätzliche 25 Milliarden Pfund an Staatsausgaben gekürzt werden. Ob es soweit kommt, ist fraglich. Bislang ist die Regierung hinter den selbstgesetzten Sparzielen immer zurückgeblieben.

Mit dem Beharren auf dem Sparkurs versucht Cameron, sich von dem vermeintlich spendierfreudigen Sozialdemokraten Miliband abzusetzen. In seinem Schlussappell schärfte der Premier seinen Parteifreunden ein, dass es im kommenden Jahr nur eine Wahl geben wird: "Ich in Downing Street oder Ed Miliband in Downing Street". Eine Stimme für Ukip sei daher eine verschwendete Stimme: "Wenn Sie am 7. Mai mit Nigel Farage ins Bett gehen, könnten Sie am nächsten Morgen mit Ed Miliband aufwachen".

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