Demokraten-Star Obama Böses Erwachen fürs Wunderkind
New York - Es war ein klassischer Querschuss von rechts. Da meldete das konservative US-Wochenmagazin "Insight", Barack Obama sei als Moslem aufgewachsen, in einer "Madrassa", einer strikt moslemischen Schule in Indonesien. "Er war ein Moslem, aber er hat es verheimlicht", wurde eine "anonyme Quelle" zitiert. Mehr noch: Besagte Informantionen habe "Insight" ausgerechnet aus dem Lager Hillary Clintons erhalten, Obamas Parteirivalin.
Willkommen im Wahlkampf, Mr. Senator. Kurz nachdem er unter großer Medienhype sein Interesse am Präsidentenamt bekundet hatte, ist der charismatische, schwarze Jungsenator schon mitten in der Schlammschlacht gelandet. So einfach, wie sich manche den Siegeszug des linken Hoffnungsträgers ins Weiße Haus wohl vorstellen, wird das nicht. Prompt fiel Obama in den Umfragen zurück, verdrängt auch vom Rummel um Clintons Einstieg ins Rennen.
Das Moslem-Gerücht, das "Insight" clever mit dem Hinweis auf Obamas zweiten Vornamen (Hussein) ausschmückte, entpuppte sich zwar schnell als hässliche Ente: "Wir sind eine öffentliche Schule, wir konzentrieren uns nicht auf Religion", sagte Hardi Priyono, der Vizedirektor der Schule in Djakarta, die Obama als Kind vier Jahre lang besuchte, zu CNN.
Trotzdem leierte der konservative Kabelsender Fox News die Behauptung lange ungeprüft herunter. Auch die "New York Post" kleisterte sie quer über ihr Cover, Obamas Namen in der Schlagzeile als "Osama" verhunzend. Kurz darauf wurde Obamas Eintrag in der Internet-Enzyklopädie "Wikipedia" vandalisiert: "Fuck Nigger! George W. Bush!", stand da kurz.
So schnell geht das. Dabei hatte Obamas Aufstieg als Cinderella-Story begonnen. Die Erklärung des 45-Jährigen, er erwäge eine Kandidatur, weckte Vergleiche mit John F. Kennedy. Eine Testreise im Vorwahlstaat New Hampshire wurde zum Triumphzug: Über 2500 Menschen balgten sich um Autogramme.
Barack Obama: Shooting Star und Wunderkind der Demokraten - doch mehr noch telegener "Rockstar" ("Washington Post") der YouTube-Generation. Seinen Sprung in den Wahlkampf-Ring erklärte er per Online-Video auf seiner Homepage, in Sportsakko und offenem Hemd. In nur zwei Jahren vom Nobody zum Polit-Sexsymbol mutiert, verkörpert der erst dritte schwarze Senator seit Ende des Bürgerkriegs die Sehnsucht einer Nation nach frischem Wind, einem neuen Stil, einem neuen Ton.
"Bill Clinton ohne Ballast"
"Wir hungern nach einer anderen Art der Politik", sagt Obama. Selten standen die Sterne dafür besser: Auf beiden Seiten ist der Wettbewerb weit offen, da Präsident Bush keinen designierten Nachfolger hinterlässt.
Obama könnte das ideal nutzen. Als Sohn einer weißen Mutter und eines afrikanischen Vaters sprengt er alle Rassengrenzen. Er betört mit einem Charme, dem man den Stempel der Zielgruppenforscher nicht anmerkt, die auch er längst anheuert hat. Und er hat den Ritterschlag von Oprah Winfrey erhalten, der Herrscherin über Abermillionen TV-Zuschauer.
"Er ist Bill Clinton ohne Ballast", schreibt der Kolumnist Frank Rich. Wohl auch deshalb: Er ist der Anti-Baby-Boomer - der erste Bannerträger einer neuen Garde, die mit den ideologischen Grabenkämpfen von Vietnam und Watergate nichts mehr zu tun haben will.
Zwischen zwei Welten aufgewachsen
Obama selbst spricht in seinem jüngsten, strategisch betitelten Bestseller "The Audacity of Hope" ("Der Mut der Hoffnung") von den "Psychodramen der Baby-Boom-Generation", die die letzten US-Jahrzehnte gefärbt hätten: "Clinton gegen Gingrich, Gore gegen Bush, Kerry gegen Bush, es kommt mir vor, als seien das Gefechte, die in den Studentenheimen der sechziger Jahre ausgetragen worden seien."
1961 als Sohn eines Kenianers und einer Amerikanerin auf Hawaii geboren, war Obama aber selbst ein Produkt gerade dieses Drangs nach Rassenannäherung und freiem Leben. Beide Eltern waren Studenten; der Vater ging später zurück nach Afrika - alleine. Die Mutter heiratete neu, die Familie zog nach Djakarta. Mit zehn kehrte Obama nach Hawaii zurück, wo er zwischen zwei Welten aufwuchs: als Schwarzer in einer weißen Familie.
Er studierte Politik an der Columbia University und Jura in Harvard. Zwischendurch jobbte er als Bürgeraktivist auf der armen South Side Chicagos, zu der er später zurückkehrte, als Anwalt für schwarze Diskriminierungsopfer.
Im selben Atemzug wie Abraham Lincoln
Seine politische Laufbahn begann 1996, mit seiner Wahl in den Landessenat von Illinois. Er profilierte sich als Kämpfer für die Entrechteten und Hoffnungslosen. Er später dann sein Durchbruch auf der nationalen Bühne: seine Rede beim Wahlparteitag der Demokraten 2004 in Boston. Mit seinem Appell an nationale Einheit löste er Jubelstürme aus - und stahl dem Kandidaten John Kerry das Spotlight. Es war im Prinzip seine erste Wahlkampfrede für 2008 - ein Maßstab, an dem er und alle anderen sich seither messen lassen müssen. "Mit der Rede", sagt sein Sprecher Tommy Vietor, "wurde die Schwelle unmöglich hoch."
Der Fallout von Boston katapultierte Obama schließlich als Übernacht-Sensation bis in den US-Senat. In seinem ersten Jahr in Washington hielt er sich klug im Hintergrund. Dann trat er aus dem Schatten, mit seinem Engagement für die Opfer des Hurrikans "Katrina" und einer clever inszenierten Reise nach Afrika, wo ihn Millionen wie einen heimkehrenden Heiland begrüßten.
Sein Mangel an legislativer Erfahrung - sein größtes Manko im Wahlkampf - hat ihm im bisherigen Medien-Spektakel kaum geschadet. Selbst "Men's Vogue" setzte ihn aufs Cover, abgelichtet von der Prominenten-Fotografin Annie Leibovitz, und schrieb ihm das "Potential" zu, "im selben Atemzug wie Abraham Lincoln und Martin Luther King genannt" zu werden. Derweil gibt es im Internet nicht nur Aufkleber und Kaffeetassen mit "Obama 2008" zu kaufen, sondern auch Tangas (neun Dollar).
Als Weißer getarnt?
Bereits jetzt hat er ein knallhartes Team aus erfahrenen PR-Beratern aufgebaut. Gewieft zapft er die selben Wahlkampfspenden-Quellen an wie die Konkurrenz - Top-Anwaltskanzleien (Kirkland & Ellis), Wall-Street-Konzerne (Goldman Sachs), große Chicago-Firmen (Henry Crown). "Die ersten 250.000 Dollar zu sammeln war wie einen Zahn zu ziehen", sagt er. Inzwischen sei es "relativ einfach", an Geld zu kommen: "Der Vorteil der Prominenz."
Doch nun melden sich die ersten Skeptiker. "Mir scheint, als sei die gesamte Medienszene von diesem PR-Blitzkrieg eingelullt", schimpft Lynn Sweet, die Washingtoner Bürochefin der "Chicago Sun-Times". "Bei allem persönlichen Appeal, Obama ist noch kein geschliffener Präsidentschaftskandidat", zweifelt Walter Shapiro im Online-Magazin "Salon". Das linke Wochenblatt "Nation" wirft ihm vor, "die übertriebenen Erwartungen nicht erfüllt zu haben". Und Maureen Dowd beschuldigt ihn in der "New York Times", sich als Weißer zu tarnen, um von beiden Welten zu profitieren.
Die aktuellste Umfrage zum demokratischen Kandidatenfeld: Hillary Clinton 34 Prozent, Barack Obama 18 Prozent, John Edwards 15 Prozent. Willkommen im Wahlkampf, Mr. Senator.