Demokratenparteitag in Denver Clinton zelebriert Einigkeit - ihre Fans grollen
Denver - Es ist die Rede ihres Lebens. Voller Feuer, Anmut, Witz und Biss - und mit gut dosiertem Pathos. Eine Rede, so perfekt gemeißelt wie keine ihrer Reden zuvor. "Es ist an der Zeit", ruft sie, "das Land, das wir lieben, zurückzuerobern!" So klingen Kandidaten. So klingen Präsidenten.
Es ist eine Rede, die nicht nur Barack Obama dringend gebraucht hat, der nun an ihrer Stelle Kandidat wird. Auch die ganze Partei sehnte diesen Auftritt herbei. "Ob ihr für mich gestimmt habt oder für Barack - jetzt ist es Zeit, sich als eine Partei mit einem Ziel zu vereinen. Wir spielen im selben Team."
Hillary Clintons Auftritt in der Nacht ist der bisher wichtigste Moment des Wahlparteitages der zerrissenen US-Demokraten in Denver. Wichtiger auch als der des Vizekandidaten Joe Biden am Mittwoch. Denn ohne Clintons Rückhalt, ohne ihren Segen und den ihrer 18 Millionen Anhänger hätte selbst Sprachkünstler Barack Obama bei der Wahl im November keine Chance.
Die Erwartungen sind also surreal hoch, die Angst vor dem Scheitern ebenfalls. Überall Tränen: des Dankes, der Freude oder auch der Trauer über die verpasste Chance. Die Sorgen entpuppen sich als unberechtigt. Clinton wirft sich mit voller Kraft hinter Obama. Sie bläst endlich zur kompromisslosen Attacke gegen John McCain.
Wenn diese Rede nicht eint, dann keine. Das wirft für viele eine leidige Frage neu auf: Warum ist diese Frau nicht Vize geworden? Manche munkeln, die Rede sei keinesfalls ein Endpunkt. Sondern womöglich Clintons Bewerbung für eine neue Kandidatur 2012, falls Obama scheitert.
Die US-Kommentatoren sind sich einig über die Bedeutung des Moments. "Ich glaube nicht, dass man die Bedeutung dieses Abends überzeichnen kann", bebt CNN-Chef-Anchorman Wolf Blitzer. Denn die Kluft zwischen den beiden Lagern, zwischen Clinton-Anhängern und Obama-Jüngern, ist bis zu diesem Moment das beherrschende Thema des Parteitags gewesen. Jedes Wort, jede Geste, jeder Schritt Clintons wurde analysiert: Frühstück mit der New Yorker Delegation, Lunch mit Emily's List, einer Aktivistinnengruppe, die ihren Wahlkampf zu finanzieren half, Brunch mit den VIP-Spendern.
Der ganze Dienstag war so choreografiert, dass er auf das dramatische Finale zusteuerte. Offizielles Motto war die US-Wirtschaft, Clintons Lieblingsthema. "Renewing America's Promise", stand auf den Schildern, die den Delegierten am Eingang in die Hand gedrückt wurden: "Amerikas Verheißung erfüllen."
Dann rückten die Frauen in den Mittelpunkt. Nicht zuletzt, weil sich auf den Tag genau 88 Jahre zuvor Frauen in den USA das Wahlrecht erkämpft hatten. Es war diese Tradition der Suffragetten, die auch den Wahlkampf der früheren First Lady prägte. Sie hätten die Vorarbeit geleistet, sagte Tochter Chelsea Clinton, das "dürfen wir nie vergessen".
Das findet auch die Delegierte Karen Garcia aus Hot Springs in Arkansas. Garcia flaniert im Wandelgang des Pepsi Centers, kostümiert als - Suffragette: "Zu meinen Lebzeiten wird es eine Präsidentin geben", schwört sie. In Hot Springs ging Bill Clinton zur High School. "Wir lieben die Clintons", sagt Garcia. "Und jetzt werde ich Obama lieben."
Schließlich geht ein Raunen durch die Halle. Köpfe drehen sich, Blitzlichter flackern, Finger zeigen. Bill Clinton ist in seiner VIP-Box eingetroffen, begleitet von einer Entourage aus multikulturellen Ehrengästen: Ein vorsichtig inszenierter - und distanzierter - Auftritt.
Der Saal verdunkelt sich. Ein schmalziger Videofilm, erzählt von Chelsea Clinton, blickt auf Hillary Clintons Leben zurück und vor allem auf ihren Vorwahlkampf. Man sieht sie lachen und kämpfen, erst alleine, dann in geschickter Montage an Barack Obamas Seite, wie allerbeste Freunde. "Ladies and gentlemen", sagt Chelsea Clinton schließlich, live auf der Bühne: "Meine Heldin und meine Mutter."
Die Delegierten springen auf, brüllen sich die Seele aus dem Hals: "Hillary!" Nachdem sie die Ovation minutelang ausgekostet hat, erklärt sie sich schon im ersten Satz zur "stolzen Anhängerin Barack Obamas".
Dessen Name erwähnt sie dann mindestens ein Dutzend Mal, stets verknüpft mit der Bitte, im November die richtige Entscheidung zu treffen: "Keiner von uns kann es sich leisten, unbeteiligt zu bleiben." Denn: "Dies ist ein Kampf um die Zukunft und ein Kampf, den wir gemeinsam gewinnen müssen." Die Sätze sind mehr als parteitreue Vertragspflicht.
Sie wiederholt ihre besten Applauszeilen, die menschelnden Anekdoten, die ihre Wähler erneut zum Heulen bringen. Diesmal aber haben die Versatzstücke einen neuen Dreh: "Barack Obama ist mein Kandidat, und er muss unser Präsident werden." Und die Menge dreht die Hillary-Schilder um, da steht "Obama".
Clinton dankt ihren Anhängern, Spendern, Wahlhelfern, Delegierten - und entlässt sie in die Freiheit, ihrem Gewissen zu folgen. Nach 23 Minuten dann das Schlusswort: "Lasst uns Barack Obama und Joe Biden wählen!"
War es genug? Die Republikaner - die seit Tagen genüssliche TV-Spots fahren mit alten Zitaten Clintons gegen Obama - stürzten sich jedenfalls sofort auf das, was sie nicht erwähnt habe: Kein Wort davon, dass Obama ein guter Oberkommandierender wäre, kein Wort zu seiner von Kritikern bestrittenen Führungskraft.
Auch etliche Clinton-Anhänger gaben sich trotz der verordneten Parteiharmonie weiter störrisch. Rund tausend von ihnen marschierten am Nachmittag durch Denvers Innenstadt, um gegen Obama zu protestieren. Auch viele Top-Spendensammler Clintons verließen den Parteitag vorzeitig oder kamen erst gar nicht.
Heute Abend soll Bill Clinton sprechen, der angeblich innerlich kocht. Und der hat sich noch nie vorschreiben lassen, was er sagt.