Stefan Kuzmany

Fall Deniz Yücel Unschuldig in Einzelhaft

Seit 50 Tagen sitzt der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel in Haft. Er ist zum Symbol geworden für die Entfremdung zwischen seinen Heimatländern. Doch Yücel ist kein Abziehbild - er ist vor allem ein Mensch.
Demonstrant mit "#FreeDeniz"-Shirt

Demonstrant mit "#FreeDeniz"-Shirt

Foto: Gregor Fischer/ dpa

Zum 50. Tag in türkischer Haft gibt es offiziellen Besuch. Die Türkei hat endlich eingewilligt, dass deutsche Diplomaten Zugang zu dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel bekommen sollen, der seit Mitte Februar festgehalten wird, zunächst in Polizeigewahrsam, dann in Untersuchungshaft.

Eigentlich ist diese Besuchserlaubnis eine Selbstverständlichkeit. Schon seit Wochen war sie zugesagt, aber von der türkischen Seite ist sie immer wieder verschleppt worden. Dass das Zugeständnis dieser Selbstverständlichkeit nun schon als Fortschritt gelten muss, ist traurig. Und traurig ist auch, dass man nicht sicher sein kann, ob diese Zusage wirklich gilt, bis tatsächlich ein deutscher Diplomat zu Yücel vorgelassen worden ist.

Viele Menschen haben sich in den vergangenen Wochen für Deniz Yücel eingesetzt: Seine Unterstützer organisierten mehrere Autokorsos in deutschen Städten, sie schalteten Anzeigen für seine Freilassung, veranstalteten Lesungen und Mahnwachen. Beim Abschluss der Berlinale wurde Yücel gewürdigt, auf der Buchmesse in Leipzig sein Schicksal diskutiert - und das der vielen anderen Journalisten und Schriftsteller, die in türkischen Gefängnissen sitzen. Deutsche Spitzenpolitiker haben sich wiederholt für Yücels Freilassung eingesetzt, der neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwähnte ihn in seiner ersten Rede als Staatsoberhaupt. Genützt hat es Yücel wenig: Er sitzt nach wie vor in Einzelhaft.

Keine Rückkehr zum Normalzustand

Deniz Yücel ist zum Symbol geworden für die wachsende Entfremdung zwischen Deutschland und der Türkei, die doch als Handels- und Nato-Partner und durch die vielen Tausend Türken, die in Deutschland leben, so eng verwoben sind. Das Bild des bärtigen jungen Mannes mit der Kippe im Mundwinkel ist zum Symbol geworden für die Unerbittlichkeit, mit der die Regierung Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch gegen vermeintliche und tatsächliche Feinde vorgeht und jede Kritik zu ersticken versucht. Er ist zum Symbol geworden für die Bedrohung der freien Meinung und Presse in einem Land, das einmal auf dem Weg war, Mitglied der Europäischen Union zu werden, sich jetzt aber immer weiter zu einer Diktatur entwickelt.

Doch obwohl Yücels Freunde und Unterstützer unermüdlich für seine Freilassung trommeln, ist das Tröten der Autohupen leiser geworden. Es scheint, als habe sich die Öffentlichkeit langsam daran gewöhnt, dass Yücel im Gefängnis sitzt, und zwischendurch ist ja schon wieder so viel passiert, der Brexit-Prozess hat begonnen, Bomben sind explodiert in Sankt Petersburg, Donald Trump hat irgendwas getwittert, und Martin Schulz muss sich täglich neu entscheiden, sich noch nicht für eine Koalition mit wem auch immer auszusprechen.

Deniz Yücel

Deniz Yücel

Es ist etwas leiser geworden um Deniz Yücels Inhaftierung, und genau deshalb muss man heute, am 50. Tag seiner Haft, daran erinnern, dass es in dieser Sache keine Rückkehr zum Normalzustand geben darf. Es kann keine Normalität geben im Verhältnis zur Türkei, solange dort Menschen im Gefängnis sitzen, nur weil sie kritische Gedanken über die Staatsführung in eine Zeitung geschrieben haben. Es kann nicht sein, dass schlechte Übersetzungen und selbst nach türkischem Recht verjährte Vorwürfe ausreichen, einem die Freiheit zu nehmen, dessen einziges Verbrechen es ist, anderer Ansicht zu sein.

Deniz Yücel ist zum Symbol geworden, zu einem Abbild auf Plakaten, Buttons und T-Shirts für die Erdogan-Gegner. Und für die andere Seite, für den türkischen Präsidenten, zu einem Wahlkampfschlager, zum Versatzstück in seinen Reden, recht passend, wenn er die angebliche deutsche Unterstützung für die PKK belegen will oder wahlweise für die Gülen-Bewegung.

Pressefreiheit ist für die Unbequemen da

Doch Yücel ist kein Abziehbild. Er ist ein Mensch. Dieser Mensch sitzt allein in einer Zelle, ohne Kontakt zu seinen Mithäftlingen. Wer Deniz Yücel kennt, weiß, dass er vom sozialen Austausch lebt, vom Reden, Diskutieren, Sichstreiten. Der türkische Staat beraubt ihn dieser Lebensgrundlage. Er verwehrt es ihm, teilzunehmen am Diskurs nicht nur über die Türkei, sondern über alles: den Brexit, die Bomben in Sankt Petersburg, den jüngsten Trump-Tweet und Martin Schulz. Der türkische Staat verwehrt es ihm, sich beim ersten schönen Frühlingswetter einfach mal aufs Fahrrad zu setzen. Er verwehrt es ihm, seine Freunde und Liebsten zu umarmen. Und warum?

Deniz Yücel ist kein einfacher Mensch: Er ist laut, er ist unbequem, er hält nie die Klappe und macht und sagt immer, was er will, was er für nötig hält, was gerade stört. Er hat die Gabe, selbst wohlwollenden Menschen schwer auf die Nerven fallen zu können. Aber das ist kein Verbrechen. Im Gegenteil: Genau für Menschen wie Deniz Yücel gibt es die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Presse - all die Vorsichtigen, Braven und Angepassten brauchen sie nicht, es braucht sie für die Grenzgänger, die Unangepassten und die Nervensägen.

Deniz Yücel sitzt seit 50 Tagen im Gefängnis. Das ist Unrecht. Er hat nichts verbrochen. Lasst ihn endlich frei.

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