Gewalt in Bengasi Libyen im Griff der Milizen

Neben Tunesien und Ägypten wird auch Libyen von einer neuen Gewaltserie erschüttert. Die Ermordung eines Menschenrechtsanwalts zeigt die Macht der Milizen. Ausbilder der EU stehen der Rechtlosigkeit machtlos gegenüber.
Trauerfeier für Musmari: Abd al-Salam al-Musmari

Trauerfeier für Musmari: Abd al-Salam al-Musmari

Foto: Mohameed Algweel/ dpa

Der Mörder wartete im Schatten der Moschee. Als Abd al-Salam al-Musmari nach dem Freitagsgebet vor das Gotteshaus in Bengasi trat, schlug der Täter zu. Er feuerte mehrere Kugeln auf den Menschenrechtsanwalt, der leblos zusammenbrach.

Der Mord an Musmari verschärft die politische Krise in Libyen, die Regierung von Premierminister Ali Seidan wackelt. Denn mit Musmari zielten die Angreifer auf eine Symbolfigur des neuen Libyen. Der Jurist gehörte im Februar 2011 zu den Organisatoren der ersten Proteste gegen Diktator Muammar al-Gaddafi, die in Bengasi ihren Anfang nahmen. Nach dem Sturz des Despoten wurde Musmari zu einem der profiliertesten Kritiker der Milizen, die in Libyen um Macht, Einfluss und Geld konkurrieren. Mehrfach forderte er lautstark die Entwaffnung der ehemaligen Rebellengruppen, die als Staat im Staate agieren. Außerdem wandte er sich gegen das umstrittene Isolationsgesetz, das ehemaligen Diplomaten und höheren Beamten des Gaddafi-Regimes die politische Betätigung untersagt.

Ein Mord, ein Gefängnisausbruch, ein Bombenanschlag

Mehr als einmal hatte Musmari in den vergangenen Jahren von Morddrohungen berichtet. Im Mai 2012 sei er schon einmal von unbekannten Angreifern attackiert worden. Er vermutete islamistische Milizionäre hinter der Tat. Seine Anhänger machten deshalb die Islamisten für den Mord an Musmari verantwortlich. Mehrere tausend Menschen protestierten am Wochenende in mehreren Städten des Landes gegen den Einfluss der religiösen Gruppen - angestachelt vom Mord in Bengasi, aber auch von dem Attentat auf den säkularen Oppositionellen Mohammed Brahmi in Tunesien am vergangenen Donnerstag und der Kampagne gegen die Muslimbrüder in Ägypten. In der Hauptstadt Tripolis griffen die Protestierenden das Büro des libyschen Arms der Muslimbrüder an.

Doch trotz der Demonstrationen: Der Mord an Musmari war nur der Auftakt zu einer neuen Gewaltserie in Bengasi, der zweitgrößten Stadt Libyens. Am Samstag flohen etwa 1200 Häftlinge aus einem Gefängnis am Rande von Bengasi. Sie nutzten offenbar die Tumulte, die im Zuge der Proteste gegen das Attentat vom Vortag entstanden. Bewaffnete Kämpfer sollen ihnen die Flucht ermöglicht haben. Dabei sollen Islamisten, aber auch Getreue von Ex-Diktator Gaddafi entkommen sein. Bis zum Montag wurden nach Angaben von Sicherheitskräften nur etwa hundert geflohene Gefangene wieder gefasst.

Nur 24 Stunden später zielten unbekannte Attentäter auf das nächste Symbol des Aufstands gegen Gaddafi. Am Sonntagabend detonierte ein Sprengsatz vor dem Gerichtsgebäude von Bengasi. Mindestens 13 Menschen wurden dabei verletzt. Genau auf jenem Platz hatten am 17. Februar 2011 die Demonstrationen gegen Gaddafi begonnen. Ein Sprecher des Militärrats von Bengasi machte die tags zuvor entflohenen Häftlinge für den Bombenanschlag verantwortlich.

Ministerpräsident Ali Seidan verurteilte den Mord an Musmari und die anschließende Eskalation der Gewalt. "Diese furchtbare Tat kann nicht von einem Muslim oder einem patriotischen Bürger begangen worden sein", sagte Seidan in Tripolis. Zugleich räumte der Regierungschef seine eigene Hilflosigkeit gegenüber den mächtigen Milizen ein. "Das sind unsere Bürger, und der Staat kann sich mit ihnen nicht auf Kämpfe einlassen, die schreckliche Konsequenzen nach sich ziehen würden."

EU-Mission will bei der Grenzsicherung helfen

Die staatlichen Sicherheitskräfte sind den bewaffneten Privatarmeen ohnehin hoffnungslos unterlegen. Die Milizionäre haben sich aus den Waffenarsenalen des untergegangenen Gaddafi-Regimes bedient. Sie verfügen unter anderem über Panzer, Panzerabwehrraketen und Luftabwehrgeschosse, die sie während des Bürgerkriegs 2011 erbeuteten. Die Nato warnt vor dem "weltweit größten ungesicherten Waffenarsenal". Einen Großteil davon haben sie an bewaffnete Gruppen in anderen afrikanischen Ländern aber auch an Aufständische in Syrien weiterverkauft.

Seit diesem Jahr will die Europäische Union der libyschen Regierung dabei helfen, zumindest die 6000 Kilometer langen Landesgrenzen zu kontrollieren. Insgesamt 110 Polizisten und Experten sollen im Rahmen der Eubam-Mission "bei der Entwicklung einer nachhaltigen integrierten Grenzmanagementstrategie helfen" - so der Auftrag aus Brüssel. Doch der Weg bis dahin ist weit: Gegenwärtig sind nur zwei der 25 Grenzübergänge dem libyschen Innenministerium unterstellt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion zur Eubam-Mission. "Die anderen werden von Milizen und Stammesorganisationen überwacht."

Die Stellungnahme der Regierung vermittelt einen Eindruck vom Chaos der Zuständigkeiten - sowohl innerhalb der libyschen Stellen als auch innerhalb der Eubam-Mission. "Die Strukturen und die Zuständigkeiten der libyschen Grenzüberwachung sind fragmentiert", schildert die Bundesregierung. Die kann ihrerseits noch nicht einmal sagen, ob das libysche Polizeigesetz, das Grundlage für den EU-Einsatz ist, inzwischen schon ins Englische übersetzt worden ist.

Dafür lassen EU und Bundesregierung keinen Zweifel daran, dass sie den libyschen Sicherheitskräften nicht über den Weg traut. Für die Sicherheit der unbewaffneten Polizeibeamten aus Europa sind in Libyen private Sicherheitsfirmen verantwortlich.

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