Der Überfall in Mailand "Für sie war nur wichtig, dass ich nicht sterbe"

Weil sie ihn für einen Terroristen halten, wird Abu Omar vom amerikanischen und italienischen Geheimdienst observiert. Am 17. Februar beginnt dann das Martyrium: Der Imam wird in Mailand am hellichten Tag auf offener Straße verschleppt.

"Es war ein sonniger Mittag am 17. Februar 2003. Ich war gerade auf dem Weg von meiner Wohnung zu der Moschee, die nur knapp einen Kilometer entfernt war. Es war nichts Besonderes zu sehen, wie immer lief ich durch die Via Guerzoni, vorbei an kleinen Geschäften. Einzig ein weißer Lieferwagen fiel mir am Straßenrand auf, da ich ihn dort noch nie gesehen hatte. Meine Frau und ich hatten zu der Zeit schon länger den Verdacht, dass wir beobachtet würden. Immer wieder folgten uns Autos, oder wir dachten das zumindest. Außerdem klingelte das Telefon zu Hause und in der Moschee oft, und niemand meldete sich, wenn wir abhoben. Wir gingen davon aus, dass der italienische Geheimdienst uns observierte, da ich oft gegen die Amerikaner und den heraufziehenden Krieg gegen den Irak in Predigten wetterte."

Mit seiner Einschätzung lag Abu Omar richtig. Nur, dass ihn nicht nur die italienischen Terror-Fahnder observierten, da sie ihn als Mitglied einer Terror-Zelle und als möglichen Werber für Terror-Rekruten hielten. Rund um die Uhr hingen sie an Abu Omars Telefon und observierten ihn auch. Aber auch die Amerikaner hatten ihn ins Visier genommen - ohne allerdings ihre italienischen Kollegen offiziell zu informieren. Seit Wochen war laut den Ermittlungsakten der Mailänder Justiz ein ganzes Team von CIA-Agenten in Italien eingetroffen, gesteuert vom örtlichen CIA-Residenten.

Anhand der mittlerweile rekonstruierten Bewegungs-Profile der benutzen Mobiltelefone wissen die Ermittler, dass sich mehrere der CIA-Leute vor dem 17. Februar 2003 tagelang in der Via Guerzoni umgeschaut hatten, um den Zugriff zu planen. Sie spähten aus, wann sich Abu Omar wohin bewegte. Der regelmäßige Gang zu den Gebeten in der Moschee kam den US-Geheimdienstlern entgegen, sie hatten ein berechenbares Ziel. Auch am 17. Februar gegen 12 Uhr wurde auf den Telefonen reichlich gesprochen. Agenten an der Straße teilten dem Greif-Team mit, dass das Zielobjekt auf dem Weg war. Die Aktion konnte starten.

"Es ging alles sehr schnell. Plötzlich hielt ein roter Fiat 127 neben mir auf der Straße. Ein Mann mit einem Funkgerät wedelte mit einem Ausweis und wollte meine Papiere, ich sollte auf dem Gehweg stehen bleiben. Ich gab ihm die Papiere, da spürte ich von hinten zwei kräftige Männer, die mich griffen und in den weißen Mini-Van schleuderten. Sie waren sehr brutal, schlugen auf mich ein und zogen mir eine Mütze über den Kopf. Keiner sagte auch nur ein Wort, sie traten mich in die Seiten und gegen den Kopf und fesselten meine Hände mit einem Plastikband zusammen. Ich blutete aus der Nase, hatte sehr starke Schmerzen. Sie warfen mich auf den Boden des Wagens, ich blieb verängstigt liegen, und wir rasten los. Wohin wir fuhren, konnte ich nicht sehen".

Aus dem SPIEGEL-ONLINE-Archiv:Der Fall Abu Omar

"Irgendwann, nachdem wir schon losgefahren waren, bekamen sie Panik, dass sie mich durch ihre heftigen Schläge und Tritte zu sehr verletzt haben könnten. Ich lag röchelnd am Boden, verlor immer wieder kurz das Bewusstsein. Einer der Männer schrie wild herum. Sie rissen meine Kleidung hoch, machten eine Herzmassage. Einer inspizierte sogar meine Pupillen, doch ich lebte noch. Sie hatten wohl Angst, dass ihre Lieferung vielleicht schon tot sei."

Anhand der Ermittlungsakten ergibt sich, dass der weiße Mini-Van nach dem Zugriff mit hoher Geschwindigkeit in Richtung US-Militärbasis Aviano fuhr. Immer wieder wurde dabei von den mittlerweile bekannten Mobilanschlüssen der Agenten telefoniert. Unterwegs riefen sie regelmäßig den Sicherheitschef der US-Basis an, offenbar um durchzugeben, wann sie ankommen. Nachmittags um halb fünf erreichten sie Aviano.

"Als wir nach der längeren Fahrt ankamen, hatte ich noch immer die Mütze über dem Kopf. Von der Fahrt war ich noch immer benommen. Ich kann nicht genau sagen, ob sie mich dort in ein Flugzeug oder in ein anderes Auto luden. Ich konnte nicht spüren, ob wir abhoben, aber vielleicht war es ein leichteres Flugzeug. Auf jeden Fall waren wir etwa eine Stunde oder 90 Minuten damit unterwegs. Ich glaube, dass ich mehrere Knochen gebrochen hatte."

Mittlerweile wissen die Ermittler, dass ein Lear-Jet des Typs LJ-35 mit der Kennung SPAR-92 am 17. Februar von Aviano gegen 18 Uhr 20 Ortszeit in Richtung Deutschland abhob. Mit solchen Jets operiert die US-Armee, meist zum Transport von wichtigen Persönlichkeiten. Er landete auf der amerikanischen Basis Ramstein.

"Die Entführer waren sehr professionell, nicht ein Wort haben sie in meiner Gegenwart fallenlassen. Nur einmal sah ich sie kurz, jetzt waren wir auf einem Flughafen. Ich konnte deutlich die Turbinen anderer Maschinen hören. Wieder schleppten mich mehrere Personen an Händen und Beinen in einen Raum. Sie stellten mich hin, weil ich gefesselt war, schnitten mir meine Kleidung vom Leib, zogen mir eine Windel an. Dann steckten sie mich in eine Art Anzug und rissen sie mir kurz die Mütze vom Kopf. Ich sah acht Männer in beigen Kampfanzügen, mit vielen Taschen an Armen und Beinen. Die Männer trugen schwarze Tarnmasken. Die Anzüge erinnerten mich an die von den Special Forces aus den Filmen. Sie standen direkt vor mir, hatten Waffen und Messer in schwarzen Holstern an den Beinen. Es war nur eine Sekunde, dann blitzte ein Fotoapparat grell, und sie umwickelten meinen Kopf mit dickem Klebeband. Identifizieren könnte ich keinen von ihnen, das war eine gut geplante Geheimdienst-Aktion. Die wussten genau, was sie taten."

Nach kurzem Zwischenstopp hob ein anderes Flugzeug, ein Learjet mit der Kennung N85VM von Ramstein ab. Es ging direkt nach Kairo.

"Von dem Flug bekam ich kaum etwas mit. Ich merkte nur, dass mich die Entführer eine Treppe hoch trugen, es waren zehn oder mehr Stufen. Danach warfen sie mich einfach auf den Boden, an meinen gefesselten Händen spürte ich einen rauhen Teppich. Am Anfang spielte leichte klassische Musik, doch nur ganz leise. Dann konnte ich nichts mehr hören, ich spürte, dass sie mir Kopfhörer aufgesetzt hatten. Für sie war nur wichtig, dass ich nicht sterbe, ansonsten behandelten sie mich wie ein Tier. Im Flugzeug traten sie mich, als ich das Wasser, das sie mir eintrichterten, ausspuckte. Sie waren sehr brutal, ließen mich die sieben oder acht Stunden einfach mit den Händen auf dem Rücken gefesselt auf dem Flugzeugboden liegen."

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