Deutsch-französische Freundschaft Ehe mit Herz und Vernunft
Paris - Am 40. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags vom 22. Januar 1963 betraten am frühen Nachmittag Schröder und Chirac Seite an Seite das Schloss von Versailles: Ein Ort der vergifteten Erinnerungen, wie beide nicht vergaßen zu erwähnen.
Versailles, das war die prachtvolle Herausforderung des Sonnenkönigs Ludwig XIV., des Verwüsters der Pfalz, an Deutschland und Europa. Die Ausrufung des Deutschen Kaisers am 8. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses, an einem der heiligsten Orte des französischen Geschichtsbewusstseins, brannte ein tiefes Trauma ins nationale Gedächtnis Frankreichs. Auf den deutschen Triumph folgte fast unvermeidlich die französische Rache. Versailles wurde das provozierende Symbol für die unbegriffene Kriegsniederlage von 1918.
Dass der Kanzler und der Präsident ausgerechnet an dieser Stätte, die so lange Europas Ruhm und Menetekel war, ohne jede Befangenheit die deutsch-französische Freundschaft im Dienst des geeinten Europa beschwören konnten, ist bereits ein politisches Manifest in sich. Geleitet von zwei befrackten Saaldienern, schritten sie durch ein Spalier der säbelbewehrten Republikanischen Garde unter Trommelwirbel in den Parlamentssaal, wo rund 900 Abgeordnete des deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung auf samtroten Sitzen ihren Ansprachen entgegenharrten.
Die Volksvertreter hatten zuvor schon Gelegenheit, über Krieg und Frieden zu sinnieren beim gemeinsamen Mittagessen mit deutschem Weißwein und französischem Rotwein in der 120 Meter langen "Galerie des batailles". Dort erinnern riesige Historiengemälde an die großen Schlachten der französischen Geschichte, von Tolbiac 496 bis Wagram 1809.
Es sollte eine spektakuläre Demonstration der Eintracht werden. Noch nie hat die Nationalversammlung ein ausländisches Parlament komplett zu einer gemeinsamen Sitzung Gleichberechtigter geladen, ohne Beachtung parteipolitischer Gegensätze. Das "große" französische und das "große" deutsche Volk, das war die Botschaft, die ganz im Geiste der Versöhner Charles de Gaulle und Konrad Adenauer gewesen wäre, verschmolzen symbolisch zu einer politischen Einheit mit einem gemeinsamen Willen.
Den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, vor 40 Jahren in aller Hast zusammengewirkt und sofort heftig umstritten, verglich de Gaulle seinerzeit gegenüber dem kundigen Hobbygärtner Adenauer mit einem "Rosenhag", in dem jeden Morgen eine neue Blüte aufgehen solle. Die fernen Enkel Chirac und Schröder möchten nun eine besonders prächtige Blume heranzüchten: Frieden in unserer Zeit, garantiert durch eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion, die auf dem deutsch-französischen Kraftzentrum beruht.
Den Grundstein soll eine gemeinsame Strategie der Kriegsverhinderung in der Irak-Krise während der nächsten Wochen legen. "Wir haben festgestellt", erklärte Chirac feierlich, "dass unsere Auffassung und unsere Sicht des irakischen Problems identisch und von gleicher Natur sind."
Das war etwas dick aufgetragen, wie bei Jubiläen üblich, verweist aber auf eine erstaunliche Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte: Erst jetzt scheint sich wie am Ende eines langen Zyklus zu erfüllen, was de Gaulle vor 40 Jahren mit dem Elysée-Vertrag bezweckte und damals zu seiner Enttäuschung nicht erreichte nämlich Deutschland von Amerika zu emanzipieren und in einer unzertrennlichen Akkolade mit Frankreich zu vereinen.
Schröders kompromissloses Nein zu jeder militärischen Beteiligung an einem Irak-Krieg der USA war für Chirac ein unverhofftes Geburtstagsgeschenk zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags. Der Bruch mit der amerikanischen Politik des Präsidenten George W. Bush trieb den Kanzler notgedrungen in die Arme des französischen Staatschefs, der sich jetzt in der Lage glaubt, einen europäischen Gegenpol zu der transatlantischen Supermacht aufbauen zu können.
Der deutsch-französische Motor läuft derzeit auf hohen Touren, und Chirac wie Schröder geben mächtig Gas. Sinnigerweise hat der französische Ausdruck "le couple franco-allemand" eine doppelte Bedeutung: eine liebevoll-sentimentale, "das Paar", und eine technisch-mechanische, das "Drehmoment".
Präsident und Kanzler riefen gemeinsam dazu auf, den 22. Januar künftig als deutsch-französischen Tag zu begehen, der an allen Schulen beider Länder gewürdigt werden soll. Der Elysée-Vertrag bleibt beiden eine Verpflichtung. "Ich habe Vertrauen in die Zukunft Europas, weil ich Vertrauen in den Bestand der deutsch-französischen Beziehungen habe", erklärte Chirac zum Abschluss. Die Abgeordneten, vom historischen Augenblick durchaus ergriffen, dankten es den beiden stehend mit brausendem Beifall.
Ein Kinder- und Jugendchor verabschiedete die gerührten Volksvertreter mit der Marseillaise und dem Deutschlandlied in einer wunderschönen Version. An diesem Tag haben tatsächlich jenseits der Vernunft auch die Herzen gesprochen, wie Chirac sich das ausdrücklich gewünscht hatte.