Merkel bei Putin Russland spielt Rugby

Angela Merkel reist nach Moskau und trifft Kreml-Chef Putin - die Stimmung ist so schlecht wie lange nicht mehr. Beim alljährlichen Petersburger Dialog reden beide Seiten aneinander vorbei: Die Deutschen setzen auf zarte Kritik, die Russen reagieren mit verbaler Aufrüstung.
Matroschkas mit Putin und Merkel (an Stand vor dem Kreml): Hauch von Kaltem Krieg

Matroschkas mit Putin und Merkel (an Stand vor dem Kreml): Hauch von Kaltem Krieg

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Elmar Brok, CDU-Europaabgeordneter, hat eine lange Anreise hinter sich. Sein Flieger landete nachts um 3 Uhr in Moskau, in Brüssel und Straßburg zeigten die Uhren da gerade Mitternacht. Drei Stunden Zeitverschiebung liegen zwischen den Hauptstädten Europas und Russlands - und politisch Welten.

Brok ist zu Gesprächen nach Moskau gereist, zum zwölften Petersburger Dialog. Das deutsch-russische Forum muss in diesem Jahr helfen, die Risse zwischen Berlin und Moskau zu kitten. Kurz bevor Kanzlerin Angela Merkel am Freitag nach Moskau zu Konsultationen mit Präsident Wladimir Putin reist, ist die Stimmung ist so schlecht wie lange nicht.

Der Kreml hat das Demonstrationsrecht und das Gesetz über Landesverrat verschärft, brandmarkt Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten". Der Bundestag reagierte besorgt mit einer Putin-kritischen Entschließung. Im Gegenzug hat sich Moskau auf Andreas Schockenhoff eingeschossen, Merkels Koordinator für die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland.

Er hatte das Vorgehen gegen die Protest-Guerilla Pussy Riot verurteilt und Russlands Syrien-Politik kritisiert. Moskaus Diplomaten behandeln Schockenhoff seither wie eine Persona non grata. Der CDU-Mann, beim Petersburger Dialog Co-Leiter der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft, fühlte für einen offiziellen Termin beim Außenministerium vor, bekam aber eine Absage.

Zum zwölften Mal trifft sich der Petersburger Dialog in diesem Jahr, aber nie zuvor wurde er so kritisch beäugt wie in diesem Jahr. Moskau spickt seine Delegation regelmäßig mit Kreml-Treuen statt mit Bürgerrechtlern. Der deutsche Vorstand und Lenkungsausschuss mühte sich in der Vergangenheit, die Russen nicht durch kritische Worte zu verärgern, geriet so aber in den Verdacht des Klüngelns. Oft waren die Treffen zahm und fade. Die Sitzungen der Arbeitsgruppen beschränkten sich auf wenige Stunden, danach folgte erlesenes Kulturprogramm.

Deutschland sucht die Flucht nach vorne

Doch nicht nur der Petersburger Dialog steht auf dem Prüfstand, sondern auch Berlins Russlandpolitik insgesamt. Deutschland verstand sich lange als Anwalt Russlands in Europa. Helmut Kohl und Gerhard Schröder wollten das Land nicht nur als strategischen Partner gewinnen, sondern auch als Freund.

Mehr und mehr sorgt sich Berlin aber, wie es umgehen soll mit den zunehmenden Rückfällen Russlands in autoritäre Verhaltensmuster. Schockenhoff brachte gar ein Ende des Dialog-Forums ins Gespräch, falls "ein kritischer Austausch nicht mehr möglich ist". Damit freilich hat sich die russische Seite schon immer schwer getan, auf Kritik reagieren Putins Offizielle meist mit wütenden Gegenangriffen und angedrohtem Liebesentzug. "Das Damoklesschwert des Scheiterns schwebt über uns", sagte ein Mitglied des deutschen Lenkungsausschusses während der Vorbereitungen.

Elmar Brok, der Europa-Abgeordnete, tappt um 8 Uhr Ortszeit durch den Frühstückssaal des Moskauer Fünf-Sterne-Hotels Ukraina, einem Wolkenkratzer in Stalins Zuckerbäckerstil. Wenn Brok aus den Fenstern schaut, kann er an der Fassade Hammer, Sichel und rote Sterne sehen. Die Symbole des untergegangenen kommunistischen Weltreichs strahlen gründlich restauriert in neuem Glanz. In den Ledersesseln der Lobby fläzen sich derweil die Leibwächter des neuen russischen Geldadels, der hier logiert.

Das Hotel Ukraina selbst ist zu einem Wahrzeichen des neuen Russlands geworden, für die verworrene und nie so recht aufgearbeitete Geschichte, für alte Großmachtansprüche und neues Selbstbewusstsein. Brok schiebt sich Spiegeleier in den Mund. "Ich verstehe nicht, warum Russland und Europa nicht in der Lage sind, sich einzugestehen, dass sie strategisches Interesse aneinander haben", brummt er.

In Moskau sucht der Petersburger Dialog die Flucht nach vorne: neue Gesichter, mehr Zeit für Debatten, gewürzt mit einer Prise Kritik. Der deutsche Co-Vorsitzende Lothar de Maizière (CDU) machte bei der Eröffnung den Anfang. Vor ihm hat sein russischer Kollege Wiktor Subkow gesprochen, Ex-Vizepremier, Putin treu ergeben. Wenn sich in Russland Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten" registrieren müssen, "können wir das nicht hinnehmen", sagte de Maizière.

Im Publikum hören ihm auch viele jüngere Semester zu, Nachwuchskräfte für den Dialog. Vor Jahren noch hatte Russlands Ex-Wirtschaftsminister German Gref den Forumsvorsitz abgelehnt, weil auf den Teilnehmerlisten "lauter alte Männer, kaum Frauen" standen. 20 junge Delegierte sollen nun für frischen Wind sorgen, um die Teilnahme hatten sie sich beworben. Ungewohnt für ergraute Anzugsträger aus beiden Ländern gleichermaßen war der Auftritt von Christopher Lauer. Der Fraktionsvorsitzende der Piraten-Partei im Berliner Abgeordnetenhaus kam in Turnschuhen. In der Arbeitsgruppe Politik saß er an einem Tisch mit Michail Gorbatschow, Lauer sollte zum Thema Wutbürger in Deutschland sprechen.

"Weder objektiv noch freundschaftlich"

Nicht alle Neuerungen des Petersburger Dialogs stießen auf Gegenliebe. In der AG Politik wollten die Deutschen gern den Autoren des NGO-Gesetzes über die "ausländischen Agenten" ins Kreuzverhör nehmen, wurden aber von den Russen ausgebremst. Eine geplante zweite Sitzung der Arbeitsgruppen wurde kurzfristig gestrichen, stattdessen gab es ein Tschaikowski-Konzert.

Auf die Bitte der Deutschen nach einer offenen Aussprache reagiert die russische Seite mit rhetorischer Aufrüstung. Wjatscheslaw Nikonow nimmt auf dem Podium Platz. Der Enkel des sowjetischen Außenministers Molotow ist Abgeordneter der Putin-Partei Einiges Russland und ein ebenso brillanter wie bissiger Redner. Dass ihm aber auch Alexej Puschkow sekundieren soll, erfahren die Deutschen erst, als Puschkow sich einen Stuhl neben Nikonow greift. Auf einer Gästeliste stand er nicht.

Puschkow, Chef des Außenausschusses des russischen Parlaments, war lange Moderator einer beliebten TV-Sendung. Vor zwei Jahrzehnten hat er Reden geschrieben für Gorbatschow, aber was er im Säulensaal des Ukraina sagt, erinnert weniger nach Perestroika, es klingt eher wie ein Hauch von Kaltem Krieg.

Der Westen behandle Russland als Partner zweiter Klasse, als hafte dem Land "eine kommunistische Erbsünde an", bellt Puschkow. Die USA und Europa seien längst keine Vorbilder mehr. Statt die Wahrung Bürgerrechten in Russland anzumahnen, sollte Marieluise Beck "lieber eine Menschenrechtskommission für Spanien und Griechenland gründen". Das geht gegen Beck, Bundestagsabgeordnete von den Grünen. Sie sitzt vorn in der ersten Publikumsreihe. Puschkow macht den Deutschen Vorhaltungen, sie führten sich auf wie Lehrmeister. 20 Minuten doziert er in schneidendem Ton, dann springt er in seinen Wagen und braust davon.

Schockenhoff, Initiator der Bundestags-Entschließung, sitzt auch auf dem Podium, aber die Russen reden, als wäre er gar nicht da. Die Resolution sei "weder objektiv noch freundschaftlich", schimpft ein Vertreter des russischen Außenministeriums, "als würde der Autor gar nicht sehen, was in Russland passiert".

Ein ehemaliger Gorbatschow-Vertrauter gibt den Deutschen einen Rat, der "euch nicht gefallen wird, aber nützen könnte: Ihr müsst die Wahrheit sehen. Die Opposition, mit der ihr arbeitet, hat keinen Einfluss oder Rückhalt im Land".

Die Grüne Beck erwidert höflich mit einem Verweis auf Gorbatschows Idee eines gemeinsamen Europäischen Hauses. Es sei doch natürlich, sich auch Sorgen zu machen, was in der Nachbarschaft vorgeht. Aber den Russen steht der Sinn nicht nach diplomatischen Zwischentönen. Sie wollen die rhetorische Lufthoheit.

Es war ein Vorgeschmack auf das, was Kanzlerin Merkel bei ihren Gesprächen erwarten könnte. "Die haben heute Rugby gespielt und wir nur Softball", sagt ein deutscher Teilnehmer danach. "Freunde aber werden wir trotzdem bleiben."

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