Deutschlandbesuch Dröhnendes Schweigen gegenüber Herrn Gryslow
Berlin - Die Nachricht vom Tod des früheren russischen Präsidenten Boris Jelzin erreichte den russischen Parlamentspräsidenten Boris Gryslow irgendwo auf dem Weg zwischen Reichstagsgebäude, Willy-Brandt-Haus und dem Russischen Haus. Vor einer Gruppe von Russland-Experten würdigte Gryslow den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Russlands als "einen Menschen, der viel für den Aufbau unseres Staates und die Entwicklung der Demokratie geleistet hat". Dann legte er eine Gedenkminute ein.
Keine zwei Stunden zuvor hatte der enge Putin-Getreue die Kritik am jüngsten brutalen Vorgehen der russischen Polizei gegen Demonstranten zynisch abgebürstet. "Vielen Dank, dass Sie sich um die russische Demokratie Sorgen machen", hatte er eine deutsche Reporterin auf der Dachterrasse des Reichstagsgebäudes beschieden. Die Märsche der Opposition hätten an nicht genehmigten Orten stattgefunden, insofern sei die Reaktion der Polizei angemessen gewesen.
Auch zog Gryslow einen Vergleich zum Putsch altkommunistischer Kräfte gegen Jelzin im Jahr 1993: Damals seien auf Grund der Nichteinmischung der Polizei Hunderte von Menschen gestorben. Darum sei es nun das "größte Verdienst" der Polizei, dass es keine Opfer gegeben habe.
"Demonstrationen sollen fröhlich sein"
Bereits in den vergangenen Tagen hatte Gryslow die Prügelorgie von Mitte April mit bemerkenswerten Äußerungen gerechtfertigt. "Demonstrationen sollten ihrer Natur nach fröhlich sein", hatte er gesagt, "wenn die Menschen auf die Straße gehen, um bestimmte Ereignisse zu feiern." Kritikern hatte er entgegnet, die Polizei habe "alles richtig gemacht".
Bei Demonstrationen in Moskau, St. Petersburg und Nischni Nowgorod waren vor gut einer Woche Hunderte Oppositionelle der Bewegung "Das andere Russland" von einer Übermacht der Omon-Polizei verprügelt und festgenommen worden. Auch ausländische Reporter waren Ziel der Übergriffe, ein ARD-Journalist wurde ins Krankenhaus eingeliefert.
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Vorgänge hatte die Putin-treue Mehrheit der Duma abgelehnt. Man wolle das nicht auf "höchster Ebene" behandeln, bekräftigte Gryslow heute. Stattdessen wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt: Die soll nun das Vorgehen der Sicherheitskräfte beurteilen, aber auch der Frage nachgehen, wer die Demonstrationen bezahlt hat.
"Warmherziger Empfang" an der Reichstagskuppel
Der Duma-Präsident durfte den russischen Regierungskurs heute auf der Dachterrasse des Reichstagsgebäudes verteidigen - gleich neben der gläsernen Kuppel, dem Symbol der deutschen Demokratie. Die Nachmittagssonne im Gesicht, freute Gryslow sich über den "schönen Ort" und den "warmherzigen Empfang".
Tatsächlich vermied der neben ihm stehende Bundestagspräsident Norbert Lammert alles, was den Gast vor den Kopf stoßen konnte. Lammerts Kritik blieb vage und bis zur Unkenntlichkeit verklausuliert. Als Demokraten lege man "großen Wert" darauf, dass es einen fairen Wettbewerb zwischen Parteien gebe, sagte der CDU-Politiker. Die Weiterentwicklung und Vertiefung der deutsch-russischen Zusammenarbeit hänge wesentlich davon ab, dass an der demokratischen Legitimation der jeweiligen Gesprächspartner auf beiden Seiten keine Zweifel erlaubt sein könnten.
Im vorangegangenen vertraulichen Gespräch habe Lammert deutlichere Worte gewählt, hieß es aus seinem Umfeld. Rund die Hälfte des einstündigen Gesprächs habe sich um die Demonstrationen und die deutschen Sorgen um die russische Demokratie gedreht.
Öffentlich blieb Lammert aber äußerst diplomatisch. So versicherte er seinem Amtskollegen, dass man sich "selbstverständlich nicht in die inneren Angelegenheiten" Russlands einmischen werde. Und in den höchsten Tönen lobte er die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland ("spektakulär") und die Organisation des G8-Gipfels von St. Petersburg im vergangenen Sommer ("grandios").
Beck redete über deutsche Innenpolitik
Beim anschließenden Gespräch mit SPD-Chef Kurt Beck scheint Gryslow von kritischen Tönen weitgehend verschont geblieben zu sein. Man habe vor allem über die deutsche Innenpolitik geredet, erklärte ein SPD-Sprecher auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Das ist aus Sicht von Kurt Beck sicherlich das brennendere Thema.
Gryslow kann zufrieden sein. Bei seinem zweitägigen Deutschlandbesuch, der am Dienstag endet, wird dem Duma-Präsidenten der rote Teppich ausgerollt: Neben den Treffen mit Lammert und Beck stehen auch Gespräche mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerin Angela Merkel und sämtlichen Fraktionsvorsitzenden des Bundestags auf dem Programm. Zur Krönung spielt man zum Abschluss auch noch Fußball: FC Bundestag gegen eine Duma-Auswahl.
Auch von der Kanzlerin wird Gryslow morgen wohl höchstens unter vier Augen eine Rüge erhalten - wenn überhaupt. Dabei ist der Unmut unter deutschen Politikern groß, wenn man Äußerungen vom Wochenende Glauben schenken darf. Er sehe "kaum positive politische Tendenzen in Russland", sagte etwa der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckart von Klaeden, der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz, sorgte sich um "zunehmend autoritäre Tendenzen". Vielleicht sagt das morgen ja mal einer Herrn Gryslow.