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Wahlkampf: Das sind Italiens Rebellinnen

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Frauen in Italiens Politik Wutwahlkampf gegen die Opas

Sie wirbeln Italiens Wahlkampf durcheinander. Die "Bewegung Fünf Sterne" um den Komiker Beppe Grillo profitiert von der Wut aufs System. Der herrschenden Altherrenriege setzt die Gruppe junge Spitzenkandidatinnen entgegen. Bis zu 20 Prozent können sie erreichen - mehr als Premier Monti.

Wie groß die Revolution ist, die gerade durch Italien zieht, dürfte der Freitagabend zeigen. Dann trifft sie in der Hauptstadt ein, auf der Piazza San Giovanni, in der Nähe vom Kolosseum, ein alter Aufmarschplatz der Linken. Zehntausende werden kommen, 100.000 vielleicht oder gar 200.000. Noch kann man es nicht abschätzen, wie so vieles bei dieser Bewegung.

Das "MoVimento 5 Stelle", die Fünf-Sterne-Bewegung, wirbelt Italiens Wahlkampf durcheinander. Umfragen sagen den Newcomern 15 Prozent voraus, manche gar 18 oder 20. Sie werden wohl nur knapp hinter der Partei von Ex-Premier Silvio Berlusconi landen und deutlich vor dem Bündnis von Ministerpräsident Mario Monti. Italiens Politik hat eine neue Kraft - die Großveranstaltung in Rom dürfte ihr noch weiteren Aufschub geben.

Während die anderen Parteien sich im Winterwahlkampf in Fernsehstudios und Konferenzzentren zurückziehen, hüpft das Gesicht der Bewegung, der 64-jährige Kabarettist Beppe Grillo, jeden Abend über eine Piazza, irgendwo in der Republik. Von der Bühne schreit er: "Wir schicken sie alle nach Hause!"

Sie, das sind die Politiker, die Banker, Berlusconi und Monti - die Kaste, wie man in Italien das politische Establishment nennt. Und sie alle sind nervös geworden. Berlusconi warnt seit Tagen, die Bewegung bestehe "zu achtzig Prozent aus Linksextremisten". Monti unkt, das Regieren dürfte mit den "Grillini" im Parlament schwer werden.

Doch der Zorn auf die Politik hat der Bewegung so viel Zulauf gebracht, dass sie nach der Wahl am Montag selbst wohl um die hundert Leute ins Parlament schickt. Sie kämpfen gegen das System - aber sie brauchen es, um ihre Ziele zu erreichen. Sie wettern gegen Wasserprivatisierung, wollen die enormen Diäten der Abgeordneten halbieren und das Volk über einen Euro-Austritt abstimmen lassen. Aber vor allem wollen sie die "korrupten Politiker" überwachen.

Junge Frauen in der Politik? Eine Revolution

Ist das links? Giulia Sarti nimmt noch einen Schluck San Giovese und überlegt lange. Ein Mittagessen in Rimini, sie sagt: "Ich habe früher links gewählt, aber wir sind irgendwie anders." Sarti ist 26 Jahre alt, hat gerade erst ihren Juraabschluss gemacht, sie ist Spitzenkandidatin in der Emilia-Romagna - der Region um Bologna, wo die junge Protestbewegung 2010 ihren ersten Wahlerfolg feierte.

Hinter der One-Man-Show Grillos, der wegen einer Vorstrafe nicht selbst antritt, stehen viele Kandidatinnen vor dem Sprung ins Parlament. Mehr als die Hälfte der Spitzenposten in den Regionen besetzen Frauen. Es sind Studentinnen, Anwältinnen, Umweltaktivistinnen, viele sind um die 30. Eine Revolution: Italiens Politik ist bislang ein Geschäft alter Männer. Zwischen dem 87-jährigen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano, Berlusconi (Jahrgang 1936) und Senatoren auf Lebenszeit war bislang kaum Raum für junge Frauen - es sei denn, sie hatten einen besonderen Draht zum "Cavaliere".

Wird Italiens Politik nun weiblicher und jünger? Beim Mittagessen in Rimini sagt Sarti: "Wir werden es allen zeigen, dass wir es genauso gut können." Sie war bereits mit Anfang 20 ein kleiner Internetstar, weil sie Politiker bei Veranstaltungen stellte, nach Mafiakontakten und Korruption befragte und die Videos bei YouTube hochlud. Die junge Frau legt ihre Stirn oft in tiefe Falten, wenn sie über die Zustände im Land spricht. "Das Parlament hat keine Legitimität", sagt sie, die Abgeordneten würden gegen die Interessen der Bürger handeln.

Politiker - ein Schimpfwort

Nun wird Giulia Sarti, die noch bei den Eltern wohnt, also Politikerin. Oder? "Politikerin? Niemals!", ruft sie. "Ich sehe mich als Sprachrohr für die Bürger." Politiker, ein Schimpfwort.

Beim MoVimento dreht sich alles um Kontrolle der Mächtigen und um Mitbestimmung. Sarti wurde in Internet-Vorwahlen zur Spitzenkandidatin gekürt. Klingt nach der Piratenpartei, aber Sarti schüttelt den Kopf: "Wir machen nicht alles online und wir wollen keine Partei sein." In Rimini stehen sie jeden Samstag auf dem Markt, im Winter und im Sommer, im Wahlkampf und im Alltag. Es gibt genug, worüber man sich aufregt.

"Wir sind die Empörten", sagt Federica Daga, in Anspielung auf die Bewegung in Spanien. Die 36-Jährige ist Spitzenkandidatin der "Grillini" in Rom. Auch Daga, Informatikerin und zur Zeit ohne Job, hat den Platz im Parlament sicher. Wie will sie das System bezwingen? Daga sagt, sie werde sich weigern, als Abgeordnete auf Empfänge und Lobbyveranstaltungen zu gehen. Dort würden nur die Alten kungeln. "Wir sind umgeben von Opas", sagt sie. "Man kann sie respektieren, aber sie wissen nichts über unser Leben."

Den Generationswechsel nachholen

Die Bewegung will also neben Transparenz und Beteiligung nicht weniger als den Generationswechsel in der italienischen Politik nachholen. Daga ist ein wenig skeptischer als die zehn Jahre jüngere Sarti: "Als junge Frauen in der italienischen Macho-Kultur müssen wir doppelt so gut sein."

An einem kalten Februarabend hat eine Frauenvereinigung im Rathaus von Rimini zur Fragestunde geladen. Es geht um Frauenrechte, Gewalt in der Ehe, Verhütung und künstliche Befruchtung. Sarti sitzt zwischen dem Vertreter des Monti-Bündnisses, einem Arzt um die 60, und dem Kandidaten der Berlusconi-Partei, dem zur Thematik als Erstes einfällt, dass er verheiratet ist.

Sarti spricht immer etwas lauter und schneller als die anderen, sie ist mal wieder wütend. Die Diskussion verheddert sich in Gesetzesdetails, Sarti will übers Ganze reden. Sie mahnt, es müsse doch auch um Schwule, Lesben, Transsexuelle gehen. Im Publikum schwillt ein Murmeln an, die erste Zuschauerin geht. Sarti schaut nicht hin.

Am Ende der Veranstaltung kommt der Kandidat der Sozialdemokraten auf sie zu, ein freundlicher Mann, doppelt so alt wie Sarti. Sie plaudern kurz, er lobt ihren Auftritt. Dann streicht er ihr über die Wange. Die Revolution in der italienischen Politik steht noch ganz am Anfang.

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