Die USA und Teherans Atomprogramm Nützliche Feindschaft zu Iran
Wie unterscheidet sich der Lemming von einem westeuropäischen Regierungschef? Der Lemming hat seine eigenen Gewohnheiten und seinen eigenen Lebensraum - und er folgt in der Regel nicht den Vorbetern amerikanischer Außenpolitik über die Klippen einer Konfrontation mit Iran.
Der neue US-Präsident hat zwar verkündet, dass er bereit sei, mit Teheran zu verhandeln. Das ist angesichts unserer wirtschaftlichen Lage und der Überlastung unserer Truppen sicher klug. Die Strategen im Außenministerium jedoch hängen immer noch der phantastischen Vorstellung nach, dass Iran eine außerordentliche Bedrohung darstellt. Diese Vorstellung ist mindestens so absurd, wie das iranische Bild von Amerika als "großem Satan".

Studentinnen feiern in Teheran 30 Jahre Islamische Revolution
Foto: DPADie Außenpolitiker lassen sich übrigens sehr deutlich vom Rest des Volks unterscheiden. Die Bürger sorgen sich nämlich wegen der Arbeitslosigkeit, wegen ihrer Alterssicherung und der generellen wirtschaftlichen Misere. Wobei man natürlich auch die amerikanische Obsession mit Iran als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bezeichnen könnte - für Diplomaten, Geheimdienstler, Militärs, Kommentatoren, Experten und Politiker. Sie alle finden wunderbare Aufstiegschancen und öffentliche Beachtung in einer der Kernindustrien Washingtons - sich Feinde zu machen und Drohszenarien zu erfinden.
Die Lage präsentiert sich da zurzeit übersichtlich: China ist zu groß und wirtschaftlich zu mächtig, als dass man sich mit ihm anlegen könnte; Russland reagiert allergisch, wenn man es bedrängt, und die "Terroristen" begnügen sich dieser Tage offenbar damit, Afghanistan und Pakistan unregierbar zu machen. Iran hingegen ist zum einen schwach genug, um es drangsalieren zu können - und sein Atomprogramm liefert zweitens eine dankbare Begründung dafür.
Iran - ein einmalig glaubhafter Gegenspieler
Iran ist ein einmalig glaubhafter Gegenspieler. Seine fundamentalistischen Führer glänzen mit Unwissen, was den Rest der Welt betrifft, und sein Präsident verblüfft uns immer wieder aufs Neue - weil er offensichtlich sogar glaubt, was er sagt. Irans geografische Lage, sein Reichtum an Rohöl und seine besondere theologische Position innerhalb des Islam stören die Kreise der amerikanischen Klientel in der Region - also der Machthaber in Ägypten, am Golf, in Jordanien und Saudi-Arabien. Die fühlen sich zwar auch nicht besonders wohl unter dem Schutzschild der USA, aber einen starken Iran fürchten sie noch mehr als ihre eigenen Völker.
Während Iran zu Zeiten des Schahs noch ein enger Verbündeter Israels war, ist es inzwischen - allein schon durch seine Verbindungen zu Hamas, Hisbollah und Syrien - zu einer objektiven Bedrohung des jüdischen Staates geworden. Allerdings droht dieser Nation die größte Gefahr nicht von außen, sondern von innen, denn seine politischen Führer und große Teile ihrer Wählerschaft steuern geradewegs auf ein neues Masada zu. Die Fähigkeit zur Reflexion, die man den Juden früher gerne zuschrieb, scheint sich im Heiligen Land dieser Tage rar zu machen.
Nichts kommt den Israelis in diesem Vakuum politischer Konzepte besser zupass, als feindlich gesinnte Iraner. Wenn es deren Präsidenten nicht gäbe, müssten die Israelis ihn erfinden.
Die Gegnerschaft der USA zu Iran wäre allerdings auch ohne die starke pro-israelische Strömung in Amerika kaum geringer:
- Die Vereinigten Staaten haben 1953 die demokratisch gewählte Regierung Mossadegh gestürzt - als mit Eisenhower und seinem Außenminister Dulles zwei Politiker regierten, die nicht unbedingt zu den Israel-Freunden zählen.
- Oder der Fall Saddam Hussein: Zuletzt bekanntlich Staatsfeind Nummer eins - doch als er Krieg gegen Iran führte, wurde er von den USA mit Waffen unterstützt.
Die Welt wird auf die Konfrontation mit Iran eingeschworen
Ein großer Teil der Anstrengungen, die Welt auf eine Konfrontation mit Iran vorzubereiten, wird heute von den amerikanischen Freunden Israels unternommen. Sie haben Alliierte im Kongress und in der Regierung, sie zählen ein Netzwerk von Experten und Journalisten zu ihren Verbündeten - und natürlich die sogenannten "Unilateristen" der Ära Bush, die von internationalen Kooperationen rein gar nichts halten.
Dass die Regierung Obama jetzt mit Teheran reden möchte, werden diese Lobbyisten alarmierend finden. Sie befürchten, dass die USA ihre nationalen Interessen künftig ohne Rücksicht auf Israel formulieren könnten. Wie alle Unilateristen halten sie überhaupt nichts von Verhandlungen, die nicht mit einer grundsätzlichen Anerkennung aller amerikanischen Bedingungen anfangen. Sie können eine Philosophie nicht akzeptieren, das haben sie mit George Bush gemein, die unsere Welt nicht einfach in Gut und Böse teilt.
Iran als Gefahr für die Welt? Eine gezielte Übertreibung
Die Vorfahren dieser Kräfte hatten sich bereits während der Amtszeiten der Präsidenten Nixon, Ford, Carter und Reagan vereinigt, um jede Chance auf eine weitergehende Entspannung im Verhältnis zur Sowjetunion zu vereiteln. Kissinger, Nixon und Ford hatten die Beziehungen zu China etabliert und stabilisiert - und wollten dann mit Moskau über ein Abkommen zur Abrüstung verhandeln. Kissinger und Nixon waren die Architekten des Vertrags von Helsinki - der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE). Was die Unilateristen selbstverständlich in Alarm versetzte.
Ihre Strategie: Erst mit überlegenen Waffensystemen aufrüsten - und dann mit der mächtigen UdSSR verhandeln. Die pro-israelische Lobby unterstützte genau diesen Kurs - und drang darauf, Moskau eine Zusage abzuverlangen, dass jüdische Bürger in großer Zahl auswandern durften, sozusagen als Vorbedingung für weitere Verhandlungen. Zusammen gelang es also diesen Kräften, Kissinger, Nixon und Ford daran zu hindern, mehr als nur die Grundzüge einer Entspannung zu erreichen. Carter haben sie komplett gelähmt - und Reagan förmlich zu einer erneuten Feindschaft zur Sowjetunion aufgehetzt.
Aber auch sie konnten das Ende des Kalten Krieges nur um weitere 20 Jahre hinausschieben. Wobei diese Verzögerung nicht das einzige Resultat ihrer Bemühungen war: Der Streit über die Stationierung der Mittelstreckenraketen und Reagans Star-Wars-Projekt hat die Europäer einem nicht unerheblichen Risiko ausgesetzt. Für ihren Protest wurden sie dann von den amerikanischen Freunden auch noch als feige beschimpft - von Leuten, die in ihrem Leben um nichts anderes gekämpft haben als um Ämter und Posten, um Forschungsgelder oder Platz auf den Meinungsseiten der Zeitungen.
Dieselbe Verhöhnung war dann erneut zu hören, als die Europäer sich weigerten, George W. Bush in den Krieg gegen den Irak zu folgen. Im Falle von Iran kann sich Amerika die Kraftrhetorik sparen, denn seine ideologische Fremdenlegion hat längst ihren Posten in den europäischen Regierungsapparaten, bei den Medien und in den Forschungsinstituten eingenommen. Europa, verkünden sie schon länger, muss im Fall Iran seinen Anteil leisten.
Unsere Freunde in Europa könnten allerdings mehr als ihren Teil tun, wenn sie kraft ihrer versammelten Erfahrung gegen die Unabwendbarkeit einer Konfrontation mit Iran argumentieren. Es ist schier unmöglich für einen einfachen Bürger zu beurteilen, der keinen Zugang zu den Informationsquellen der Geheimdienste besitzt, wie weit die Bemühungen der Iraner gediehen sind, Atomwaffen herzustellen. Wobei es durchaus möglich sein kann, dass auch die Regierungschefs in Europa oder Amerika dies nicht mit Sicherheit sagen können - trotz ihrer Agentenscharen. Die Politiker haben zwar detaillierte Berichte - aber die können falsch sein - oder sogar gefälscht.
Statt offener Attacke verdeckte Operationen
Der Chef des "New York Times"-Büros in Washington behauptet, dass die Bush-Regierung sich in den letzten Monaten ihrer Amtszeit geweigert habe, Israel die Zustimmung für einen Angriff auf Iran zu geben. Er wusste außerdem zu berichten, dass verdeckte Operationen gegen Iran schon im Gange seien - mehr dürfe er allerdings dazu nicht sagen; so sei es mit der Regierung abgesprochen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Präsident Kennedy 1961 die "New York Times" gebeten hat, ihre Informationen über die Invasion in der kubanischen Schweinebucht unter der Decke zu halten. Das Blatt stimmte zu, obwohl selbst Castro die Pläne kannte und öffentlich Bezug darauf nahm. Nur einer blieb in dieser Angelegenheit im Dunklen - der amerikanische Bürger.
Auf jeden Fall und ohne Übertreibung können wir sagen, dass die Vereinigten Staaten einen Kurs steuern, den man nach geltendem Völkerrecht als Aggression gegen Iran bezeichnen darf. Es wäre interessant zu wissen, ob Merkel, Brown und Sarkozy das für besonders klug halten - oder ob man sie in dieser Sache überhaupt konsultiert hat.
Aber nehmen wir einfach einmal an, dass Iran tatsächlich das Know-how wie auch die Anlagen hat, um Atomwaffen herzustellen, oder sogar schon solche Waffen produziert hat. Es dürfte dennoch noch eine Weile dauern, bis Teheran an die 150 Stück zusammen hat, wie sie Israel bereits heute besitzt (von den Tausenden in den Arsenalen der USA einmal abgesehen).
Wie auch immer Iran zu diesem Zeitpunkt ausgerüstet sein mag, jeder Einsatz von Atomwaffen gegen Israel oder auch die USA würde den nationalen Selbstmord bedeuten. Überhaupt hat niemand Nuklearwaffen eingesetzt, seit Amerika zwei Bomben über Japan abgeworfen hat. Das System der Abschreckung hat funktioniert - sogar zwischen Indien und Pakistan. Vielleicht könnte die Regierung in Teheran eines Tages tatsächlich zu einem großen finalen Akt der Selbstaufopferung entschlossen sein - aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt deutet nichts darauf hin, dass an einer solchen Hypothese etwas dran ist.
Keine Frage, ein Iran mit Atomwaffen wäre ein unbequemer Staat. Doch die Darstellung, dass ein iranisches Nukleararsenal eine existentielle Gefahr für den Rest der Welt bedeuten würde, ist eine Übertreibung. Es wäre ein Problem unter vielen anderen - nicht mehr. Iran wird eine Entwicklung durchmachen. Man denke nur an den widersprüchlichen Tiefsinn, der uns während des Kalten Krieges begleitete, dass Demokratie einerseits unwiderstehlich sei - und dass sich die Sowjetunion andererseits niemals ändern würde.
Die Europäer schweigen - und werden zu Mittätern
An seinen Problemen mit dem Rest der Welt ist Iran nicht alleine schuld. Die Europäer wären gut beraten, wenn sie den Pragmatismus, dem sie sonst allen empfehlen, auch in diesem Fall walten lassen. Ein Angriff auf Iran würde den gegenwärtigen Graben zwischen dem Westen und der muslimischen Welt vertiefen. In einer nüchternen Abwägung eines solchen Feldzugs würden die Kosten seinen Nutzen bei weitem übersteigen.
Aber welcher europäische Regierungschef hat bisher Format gezeigt und erklärt, dass man für solche Abenteuer nicht zur Verfügung stehe? Solange die USA betonen, dass ein Angriff auf Iran eine Option bleibt, ist das Schweigen der Europäer eine Form der Mittäterschaft.
Die Europäer versuchen gegenwärtig die neue Regierung in Washington zu unterstützen - und ihren Schwenk zu einer differenzierteren, nicht allein militärisch ausgerichteten Politik, die sich auch wieder einer internationalen Zusammenarbeit zuwendet. Die heftigen Versuche der Republikaner, das Wirtschaftsprogramm Obamas zu sabotieren, lässt erste Rückschlüsse darauf zu, wie sie erst reagieren werden, wenn der Präsident und sein Team auch die globalen Ambitionen der Nation neu definieren.
Die Europäer können unserem neuen Präsidenten einen großen Dienst erweisen - indem sie eine eigene Iranpolitik formulieren. Die neue amerikanische Führung spricht von Partnerschaft. Ein Europa, dass die US-Bürger wie seine Elite daran erinnert, dass eine Partnerschaft von den Amerikanern einen deutlichen Wandel in der Denke und in der Politik verlangt, könnte den Präsidenten dabei helfen, seine pädagogischen Fähigkeiten auszuspielen.
Er hat längst bewiesen, dass er sich der Komplexität und der Widersprüche in der Politik bewusst ist - und würde es zu schätzen wissen, dass man ihm zutraut, den Wandel, den er verspricht, auch zu verwirklichen.