Die Webseite der Rebellen Der blutige Kampf gegen die Russen im Internet

Seit der Besetzung des Theaters in Moskau hat sich die Internetseite "kavkaz.org" zum Sprachrohr der tschetschenischen Geiselnehmer entwickelt. Seit Jahren berichtet die Seite über die Konflikte in der Kaukasus-Region. Als tschetschenischer Gegenpart zur russischen Propaganda ruft sie aber auch zum blutigen Kampf gegen Moskau auf - mit zum Teil brutalen Bildern und Videos des Mudschahidin-Kriegs.

Besucht man die Seite mit dem zuerst unscheinbar klingenden Namen "kavkaz.org" , ist schnell klar, worum es den Machern geht. Nacheinander rauschen die Gesichter von Osama Bin Laden, George W. Bush, Tony Blair, ein Bild vom Tempelberg in Jerusalem und das grimmige Konterfei eines tschetschenischen Generals in einer Flash-Grafik über den Schirm. Erst dann kommt man auf die Nachrichtenseite, wo dem Interessierten "news, facts" und "analsys" über einen Konflikt geboten werden, der seit mehr als zehn Jahren im Süden des Vielvölkerstaats Russland tobt: der Kampf der Russen gegen die abtrünnige Kaukasus-Republik Tschetschenien, die partout nicht mehr zu Russland gehören will. Sowohl in Englisch als auch in Russisch und in Arabisch existieren die Texte bei "kavkaz.org", zu Deutsch Kaukasus.

Schon in der Nacht wurde die Seite zum Sprachrohr der tschetschenischen Geiselnehmer in Moskau. Fast im Minutentakt berichten die Macher der Seite aus dem Theater in der russischen Hauptstadt. Über Mobiltelefone sprechen sie mit den Geiselnehmern und ihren Opfern. Über die Internetseite wurden auch die ersten Forderungen der Geiselnehmer gestellt.

Seit Jahren ist die Seite das Medium für den tschetschenischen Widerstand - vor allem aber für die gewaltbereiten tschetschenischen Rebellen, die gegen die russische Okkupation kämpfen. Täglich wird sie aktualisiert, und wer schon mal durch die Kaukasus-Republiken gereist ist, weiß, dass sie in keiner Bookmark-Liste in Internet-Cafés in der ganzen Region fehlt.

Ganz Tschetschenien ist Sperrzone

Es ist nicht neu, dass gerade im Krieg die Propaganda manchmal wichtiger ist, als eine gewonnene Schlacht. In dem Kampf um Tschetschenien gilt diese alte Regel besonders, denn außer vom russischen Militär erfährt man so gut wie nichts aus dem Kampfgebiet, in dem schon Tausende Soldaten und Zivilisten ums Leben gekommen sind. Wenn dann aber doch über die Kämpfe berichtet wird, riechen die Angaben schon beim ersten Lesen nach Propaganda im Stil des Kalten Kriegs. Das ganze Land ist militärische Sperrzone, westliche Journalisten werden von Moskau massiv an der Berichterstattung gehindert und nur ganz selten ins Land gelassen. Offiziell begründet das Informationsministerium dies mit der Gefahr im Land.

Die russische Regierung versucht seit Jahren, den Konflikt in Tschetschenien herunter zu spielen und der russischen Öffentlichkeit zu verkaufen, dass rund um die Hauptstadt Grosny Frieden unter russischer Führung herrscht. Die Wirklichkeit sieht anders aus und das berichtet zum großen Teil ausschließlich "kavkaz.org". Keine andere Internetseite der Region ist so gut besucht und so professionell gemacht. Täglich bringen die Macher der Seite Nachrichten von Kämpfen der Rebellen mit den Russen und zeigen Bilder von russischen Gefangenen.

Gleichwohl ist die Seite nicht neutral oder objektiv. Gern verherrlichen die Macher die Gewalt gegen die Russen. Noch bis vor kurzem waren auf der Seite auch blutige Übergriffe der Rebellen auf einen russischen Militärtreck zu sehen. Seelenruhig filmte der Kameramann, wie mehrere russische LKW auf eine Mine fuhren. Als Link gab es eine große Auswahl an blutrünstigen Bildern von toten russischen Soldaten oder wie tschetschenische Rebellen gefangenen Soldaten die Kehle durchschneiden und sie regelrecht ausbluten lassen. Auf Grund des starken Andrangs auf der Seite haben die Betreiber jedoch diese Bilder mittlerweile entfernt. Am Mittwoch war nur noch die News-Sparte zu sehen und sonst nichts. Gut möglich auch, dass die Macher die grausamen Bilder von der Seite genommen haben, um westliche Journalisten nicht zu verschrecken.

Aufrufe zum Mudschahidin-Kampf

Geheimdienste westlicher Länder gehen davon aus, dass die Rebellen massiv aus dem Nahen Osten unterstützt werden. Nach dem Krieg in Afghanistan seien zudem viele Tschetschenien-Kämpfer in ihre Heimat zurückgekehrt, um wieder gegen die Russen zu kämpfen. Bis vor kurzem wurde bei "kavkaz.org" deshalb auch noch ganz unverblümt für den bewaffneten Mudschahidin-Kampf in den Bergen der Region geworben.

Auch der deutsche Ableger von "kavkaz.org", der nach dem 11. September abgeschaltet wurde, warb um die Beteiligung von deutschen Freiwilligen in der Krisenregion. Auf "qoqaz.de" fanden Interessierte auch Bedienungshinweise für das legendäre Sturmgewehr AK-47 oder Anleitungen zum Basteln von Bomben.

Beobachter der "kavkaz.org"-Seite stellten in letzter Zeit auch bei der Originalseite einen verstärkten Hang zu islamistischen Parolen und Hetzschriften gegen Amerika und dessen Verbündete fest. Für Kaukasus-Kenner passt dies genau zu der Entwicklung in Tschetschenien selber. Dort haben islamisch geprägte Rebellen in den letzten Monaten mit spektakulären Aktionen wie dem Abschuss von Militärhubschraubern für Aufsehen gesorgt.

Interessante Verbindungen zum US-Geheimdienst

Wer die Seite "kavkaz.org" betreibt, würde vor allem der russische Geheimdienst FSB gern wissen. Immer wieder wurde spekuliert, dass die Macher in Georgien sitzen. Beobachtern der Seite fiel aber auch auf, dass erstaunlicherweise alle Texte auch in schwedischer Sprache abrufbar waren.

Klar ist ebenfalls, dass die Macher - egal, so sie sitzen - von den Kämpfern an allen Fronten mit Nachrichten beliefert werden, vermutlich über Satelliten-Telefone. Dennoch hat sie ihren Ursprung nicht etwa vor Ort, sondern auf einem Server in den USA, genauer in Washington DC.

In den USA wurde die Seite am 10. August 2000 von einem Mann mit dem Namen Mvladi Udug registriert. Der Exil-Bosnier lebt angeblich in Orlando. Möglich ist jedoch auch eine andere Variante, denn nicht ganz zufällig gibt es auch einen anderen Mann der ersten Stunde bei "kavkaz.org", der ebenfalls einer der Geburtshelfer der Seite sein soll: Mawladi Udogov, der sich heute Informationsminister der tschetschenischen Exilregierung nennt. Ob es sich jedoch bei dem Anmelder und dem Minister um die gleiche Person handelt, ist noch unklar.

Dass "kavkaz.org" der Schließungswelle gegen radikalislamische und Mudschahidin-Seiten in den USA entkam, wirkt dabei auf den ersten Blick überraschend. Das Routing hin zur Kavkaz-Seite läuft allerings über Chicago, wo die "Electronic Crimes Task Force" des amerikanischen Geheimdienstes NSA ihren Sitz hat. Dem Serviceprovider von "kavkaz.org" wiederum wurden in den US-Medien bereits enge Verbindungen zur NSA nachgesagt, was freilich nie bewiesen werden konnte. Sicher ist jedoch, wer der Hauptgeldgeber der Provider-Firma war: Die Darpa, die Entwicklungsabteilung des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Die Seite der Rebellen hat also offenbar auch in den USA gute Freunde.

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