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Rumsfelds Memoiren: Je ne regrette rien

Foto: Jacquelyn Martin/ AP

Donald Rumsfelds Memoiren Die Rache des Falken

Reue sieht anders aus: Der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nutzt seine Kriegsmemoiren zur Generalabrechnung, er lästert über George W. Bush und Condoleezza Rice, zieht über Gerhard Schröder und Jacques Chirac her. Über eigene Fehler grübeln? Für ihn Zeitverschwendung.

Robert McNamara war 79 Jahre alt, als er sich für den Vietnam-Krieg entschuldigte. "Wir haben uns geirrt, schrecklich geirrt", schrieb der frühere US-Verteidigungsminister 1995 in seinen Memoiren. "Und wir sind künftigen Generationen eine Erklärung schuldig, warum das so war." Nach seinem Rücktritt brauchte er fast drei Jahrzehnte, um diese schmerzhafte Einsicht einzugestehen.

Donald Rumsfeld ist 78 Jahre alt, aber erst seit vier Jahren kein Pentagon-Chef mehr. Auch er trat zurück, während noch Zehntausende US-Truppen an zwei fremden Fronten kämpften und fielen.

Doch er ist kein Robert McNamara.

Rumsfelds Memoiren, seit Dienstag im US-Handel, enthalten nicht den geringsten Anflug von Selbstkritik, geschweige denn Entschuldigung. Im Gegenteil: Der 815-Seiten-Wälzer ist ein einziger Fingerzeig auf andere, selbstherrlich, unverbesserlich und nachtragend. Ob es um den Irak geht oder Afghanistan, um Guantanamo, Folter oder Abu Ghureib: Rumsfeld, in seiner bekannt-herablassenden Manier, lässt niemanden ungeschoren - bis auf sich selbst.

Irak-Krieg

Selbst Altkanzler Gerhard Schröder kriegt sein Fett weg, in ein paar kurzen, scharfen Seitenhieben: Der Widerstand Schröders und des damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac gegen den 2003, schreibt Rumsfeld, habe Saddam Hussein nur "ein falsches Gefühl der Sicherheit" gegeben und "einen Krieg ohne Zweifel wahrscheinlicher gemacht statt unwahrscheinlicher".

Wenigstens kommt Schröder besser weg als Chirac: Den beschreibt Rumsfeld als "Mann von bodenlosem Zynismus, dessen Anti-Amerikanismus zum Reflex geworden war".

"Known and Unknown" heißt dieser eiskalte Rundumschlag in Buchform: halb Abrechnung, halb Rechtfertigung und voll im Trend der autobiografischen Geschichtsklitterung durch Mitglieder der letzten US-Regierung. Der Titel ist eine Anspielung auf ein klassisches Rumsfeld-Zwirbelzitat, mit dem er das Pressekorps 2002 über den feinen Unterschied zwischen "bekannten Bekannten", "bekannten Unbekannten" und "unbekannten Unbekannten" auf dem Schlachtfeld belehrte.

"Jähzornig, falsch informiert, zögerlich"

Rumsfeld

Kleinlichkeit ist seine Kunst. hatte eine beachtliche Karriere: Er war, wie er selbst herauszuheben nicht umhinkann, sowohl der jüngste US-Verteidigungsminister (von 1975 bis 1977, unter Gerald Ford) wie auch der älteste (von 2001 bis 2006, unter George W. Bush). Während dieser Zeit merkte er sich penibel jeden Widerspruch, jede Kränkung, jede Pressekritik, jedes Versagen anderer - nur um jetzt alle Rechnungen auf einen Schlag zu begleichen.

Die Liste derer, von denen sich Rumsfeld verraten, enttäuscht oder einfach nur genervt fand, ist lang: George Bush Senior ("zunehmend unbeliebt"), Condoleezza Rice ("eine Akademikerin, Sie wissen schon"), John McCain ("jähzornig"), die Geheimdienste ("falsch informiert"), der Generalstab ("zögerlich"), die Uno ("wurde ihrer eigenen Charta nicht gerecht"), Washington ("155 Quadratkilometer, umgeben von Realität").

Der Rest der Bush-Regierung porträtiert Rumsfeld als eine Clique aus Jasagern, Streithälsen und Intriganten. Vor allem für Colin Powell ("neigte dazu, nichts zu sagen") findet er nur Verachtung: Die Fehler im Irak seien hauptsächlich aufs Konto seines Ministeriums gegangen.

Akribisch notierte Herabwürdigungen

Nur sein "treuer Assistent", Ex-Vizepräsident Dick Cheney, findet Rumsfelds uneingeschränkte Sympathie. Auch seinem letzten Dienstherrn Bush Junior begegnet er mit Wohlwollen - allerdings auch das nur mit akribisch notierten, herabwürdigenden Einschränkungen.

Flankiert von einer Signier-Tour und der zeitgleichen Veröffentlichung von mehr als 2000 Memos aus seinem Privatarchiv (" The Rumsfeld Papers "), umspannen die Erinnerungen das gesamte Leben Rumsfelds. Doch mehr als die Hälfte widmet er bezeichnenderweise der Zeit nach dem 11. September 2001.

Die Terroranschläge, die Rumsfeld im Pentagon miterlebte, verstand er nicht zuletzt auch als persönlichen Geschichtsbruch. So sehr, dass er an jenem Tag, "der wie der längste meines Lebens schien", völlig vergaß, seine Frau anzurufen. Was er jedoch nicht vergaß, war, sich ein winziges Trümmerstück der American-Airlines-Maschine, die gerade ins Pentagon gejagt war, in die Tasche zu stecken - als Talisman und nachfühlbares Argument für alles, was darauf folgen sollte.

So wie Rumsfeld es nachträglich - und ohne Skrupel auch auf Kosten Bushs - darstellt, war er nach 9/11 die Stimme der Vernunft in der Regierung. So habe er Bushs Schlagwort vom "Krieg gegen den Terror" immer ebenso missbilligt wie die generelle Rachlust: "Wir sollten es vermeiden, den Krieg zu personalisieren."

"Stuff happens" - "Dinge passieren eben"

Revisionismus durchtränkt jedes Kapitel. Für alle Entscheidungen, die seither als Irrtümer und/oder Manipulationen entlarvt sind, hat Rumsfeld eine Erklärung parat, die ihn selbst tadellos, wenn nicht prophetisch dastehen lässt. Oder er zuckt nur mit den Schultern, getreu seinem nonchalanten Bonmot von 2003 über die Nachkriegsplünderungen im Irak: "Stuff happens."

Iraks Massenvernichtungswaffen? "Falsche Geheimdienstinformationen", vor allem seitens CIA-Chef George Tenet. Keine Nachkriegsplanung für den Irak? Das habe der erste US-Zivilverwalter Paul Bremer vermasselt. Zu wenig Soldaten an der Doppelfront Irak/Afghanistan? Die Generäle hätten nie nach mehr gefragt.

Selbst im Exklusivinterview mit dem US-Network ABC am Montag, seinem ersten TV-Interview seit 2006, verweigerte Rumsfeld jede Verantwortung - im Gegensatz zu Bush, der die lange mangelhafte Irak-Truppenstärke kürzlich in seinen eigenen Memoiren als den "folgenschwersten Fehler" des Kriegs bezeichnet hatte. "Möglich" sei das, wiegelte Rumsfeld ab. "Schwer zu sagen."

Bush schoss sich nach Rumsfelds Darstellung schon kurz nach dem 11. September 2001 auf den Irak ein. Bei einem Vier-Augen-Gespräch im Oval Office nur 15 Tage nach den Anschlägen habe Bush ihn angewiesen, seine Kriegspläne zu aktualisieren - aber nicht nur für Afghanistan: "Er bat mich, den Zustand unserer militärischen Pläne für den Irak unter die Lupe zu nehmen." Bush habe sich "kreative Optionen" gewünscht.

Eigene Verfehlungen? Höchstens mal ein Versprecher

Bitterböse ist Rumsfeld über den Widerstand Deutschlands und Frankreichs gegen diese Optionen. "Eine bedauernswerte Position", schreibt er. Die "Eliten in Paris und Bonn" hätten sich wohl als "Hüter einer kultivierten, neuen Weltordnung" missverstanden. Dass die Bundesregierung da längst in Berlin residierte, ist ihm freilich entfallen - Deutschland zählt für Rumsfeld, dem weiteren Verlauf des Buches nach zu urteilen, sowieso nur als US-Truppenstützpunkt oder abschreckendes Geschichtsbeispiel.

Keine Reue zeigt Rumsfeld für den Irak-Krieg, der bisher mehr als 4400 US-Soldatenleben und 700 Milliarden Dollar gekostet hat: "Die Region von Saddams brutalem Regime zu befreien, hat eine stabilere und sicherere Welt geschaffen", beharrt er. Zweifel? In all den Jahren habe ihn Bush "nicht ein einziges Mal" gefragt, ob die Invasion "die richtige Entscheidung gewesen" sei. Warum also grübeln.

Auch anderswo zeigt sich Rumsfeld wenig einsichtig. Folter von Terrorhäftlingen? Hätte man sicher "besser machen" können, doch sei das in erster Linie die CIA gewesen. Das Gefangenenlager in Guantanamo Bay? Selbst Bushs Nachfolger Barack Obama habe da bisher ja keine bessere Lösung gefunden. Die Geschichte, schreibt er triumphal, hätte alle ihre Entscheidungen von damals bestätigt.

Was Rumsfeld bedauert, ist an einer Hand abzuzählen und meist relativ belanglos. Etwa flotte Äußerungen wie "stuff happens" ("ein Fehler") oder seine forsche Behauptung, er wisse, wo sich Iraks Massenvernichtungswaffen befänden ("ein Versprecher").

Selbst das, was er am meisten in seiner Amtszeit bedauert, ist die Schuld anderer. Der Missbrauchsskandal von Abu Ghureib sei allein das Werk "einer kleinen Gruppe von Gefängniswärtern" gewesen, "die ohne angemessene Aufsicht Amok liefen". Zweimal in fünf Tagen habe er Bush 2004 seinen Rücktritt angeboten, doch der habe abgelehnt. So sei der Fall zur "schädigenden Ablenkung" zu Gunsten der Kriegskritiker geworden.

Welche Lehren er denn aus all dem gezogen habe, fragte ihn ABC-Interviewerin Diane Sawyer am Montag. Da schaute Rumsfeld sie nur an, lächelte süffisant und sprach: "So denke ich einfach nicht."

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