Last-minute-Abschiebungen nach Afrika
Trumps letzte Opfer
Noch am letzten Tag im Amt hat die Trump-Regierung Abschiebeflieger losgeschickt, vor allem nach Afrika – obwohl oder gerade weil klar war: Joe Biden will diese Praxis beenden. Hier berichten Betroffene von ihrer unmenschlichen Lage.
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Während Donald Trump im Weißen Haus gerade seinen letzten Arbeitstag beginnt, rollt am Flughafen Mesa in Arizona ein luxuriöses Geschäftsflugzeug vor. Doch in den schicken Gulfstream-4-Jet steigen keine reichen Manager, sondern sechs schwarze Menschen in Ketten.
Ihr unfreiwilliges Ziel: Mauretanien. Ein Staat, in dem viele Einwohner mit ihrer Hautfarbe noch immer als Sklaven gehalten werden. Es ist einer der letzten Abschiebeflüge der Trump-Administration.
An Bord dieses Fluges ist auch Abdoul*, gefesselt an Händen und Füßen. »Ich habe den US-Beamten noch gesagt: Ich kann nicht zurück, sie werden mich dort einsperren«, erzählt er via WhatsApp. Immer wieder muss Abdoul die Unterhaltung unterbrechen, denn sein Telefon darf nicht entdeckt werden. Er werde seit Tagen festgehalten in einem vergitterten Raum am Flughafen, erzählt er. Direkt nach der Ankunft habe man ihn dorthin gebracht, seine Befürchtung ist wohl wahr geworden.
Es droht Sklaverei, abgeschoben wird trotzdem
»Schwarze sind in Mauretanien Bürger zweiter Klasse«, sagt Houleye Thiam vom Mauretanischen Netzwerk für Menschenrechte. Seine Organisation hat Abdoul in den vergangenen Monaten in US-Abschiebehaft betreut. »Wir erhalten viele Berichte von Flüchtlingen, die in Mauretanien im Gefängnis landen.«
Offiziell hat die mauretanische Regierung im Jahr 2007 die Sklaverei verboten. Doch in einigen Regionen des Landes wird sie bis heute praktiziert – Opfer sind schwarze Einwohner, die meist von arabischstämmigen Berbern unterdrückt werden. Freigelassene Sklaven leben in extremer Armut, werden systematisch diskriminiert. Oppositionelle, die das anprangern, werden weggesperrt.
Die Trump-Regierung weiß das genau, vor zwei Jahren hat sie sogar den Handel mit Mauretanien eingeschränkt – als Strafe für mangelnde Fortschritte im Kampf gegen die Sklaverei. Mit Abschiebungen schwarzer Flüchtlinge in das Land hatte Trump gleichzeitig kein Problem: Mehr als 100 Mauretanier wurden unter seiner Präsidentschaft »rückgeführt«, wie es das US-Heimatschutzministerium nennt.
Ein Flüchtling wird an Bord eines Abschiebefliegers nach Westafrika gebracht: »Mein Leben ist zu Ende«
Foto: Witness at Borders
»Ich habe Angst, dass die mauretanische Regierung mich umbringen wird«, erzählt Abdoul aus dem Arrest. »Mein Leben ist zu Ende.« Er leide an Tuberkulose, sagt er. Seine früheren Betreuer in den USA bestätigen das. »Ich habe seit fünf Tagen keine Medikamente bekommen, habe Schmerzen«, berichtet Abdoul. Er sei in einem dreckigen Zimmer eingesperrt. »Für die mauretanischen Beamten bin ich nichts wert, sie behandeln mich wie einen Sklaven. Weil ich schwarz bin.«
Abdoul ist nicht das einzige Last-minute-Opfer der Trump-Regierung. »Die Abschiebeflüge wurden in den letzten Monaten im Amt noch einmal verstärkt, auch nach Afrika«, sagt Lauren Seibert, Migrationsexpertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. »Einige Flüge gingen in Länder, in denen bewaffnete Konflikte herrschen und Oppositionelle mit Gewalt unterdrückt werden. Das kann die Abgeschobenen ernsthaft gefährden.« Offizielle Zahlen zu den Abschiebungen werden in den USA nicht veröffentlicht.
Während Joe Biden als designierter Nachfolger bereits ein Abschiebe-Moratorium angekündigt hatte, gab die Trump-Regierung noch einmal Gas. Am 14. Januar, sechs Tage vor der Amtsübergabe in den USA, hob im Schutze der Nacht ein Flieger aus Louisiana in Richtung Kenia ab, an Bord nach Aussagen mehrerer Beobachter Geflüchtete aus Äthiopien, dem Sudan und Somalia – Länder, die derzeit von gewaltsamen Konflikten und Menschenrechtsverletzungen geprägt sind.
»Ich möchte nur zu meiner Tochter zurück«
Auch Mory Keita hatte auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden und seinen Abschiebestopp gehofft. Doch die berüchtigte US-Migrationsbehörde ICE war schneller. Mitte Dezember wurde Keita in einen Flieger Richtung Guinea gezwungen, gefesselt an Händen und Füßen. In ein Land, das ihm völlig fremd ist. Seine Mutter brachte ihn mit drei Jahren in die USA, seitdem hat Mory Keita den afrikanischen Kontinent nicht betreten.
»Ich bin hier nicht einmal registriert. Ich habe keinen Ausweis, keine Geburtsurkunde, nichts. Ich existiere gar nicht in Guinea«, erzählt der 34-Jährige in einem Telefoninterview aus der Hauptstadt Conakry. Dort sei er bei Freunden untergekommen, eine Chance auf ein geregeltes Leben habe er ohne Dokumente nicht. Er spreche nicht einmal Französisch, die Amtssprache Guineas. »Ich möchte nur zu meiner Tochter in die USA zurück, sie weint jeden Tag.«
Keitas Geschichte offenbart die volle Härte der US-Migrationspolitik während Trumps letzten Wochen im Amt. Vor einiger Zeit saß der gebürtige Guineer in den USA eine Haftstrafe ab, wegen illegalen Waffenbesitzes. »Das war ein schwerer Fehler«, räumt Keita ein, »aber ich habe dafür gebüßt.« Doch nach der Haft kamen die ICE-Beamten und sperrten ihn wieder ein – diesmal in ein Abschiebegefängnis.
»Sie wollten mich schnell loswerden.«
Mory Keita, der gegen US-Beamte aussagen wollte und abgeschoben wurde
»Dort habe ich erlebt, wie die Beamten afrikanische Flüchtlinge erniedrigt und misshandelt haben«, erzählt Keita. Tatsächlich wurde er noch während seiner Zeit im Gefängnis zum Kronzeugen in mehreren Verfahren gegen die US-Migrationsbehörde. Bis er plötzlich in ein Flugzeug Richtung Guinea verfrachtet wurde. »Sie wollten mich schnell loswerden«, vermutet Keita.
Seine Anwältin erwirkte vor einem Bundesgericht sogar noch einen Abschiebestopp, schließlich war ihr Mandant ein wichtiger Zeuge in laufenden Ermittlungen. Doch als die Richter ein Aussetzen der Abschiebung anordneten, war Mory Keitas Flugzeug längst in der Luft. Es blieb auf Kurs.
Während in den USA in den vergangenen Jahren viel über Abschiebungen nach Mittel- und Südamerika diskutiert wurde, galten afrikanische Flüchtlinge eher als Randphänomen. Doch in manchen Abschiebegefängnissen stellen sie inzwischen die Mehrheit. Viele stammen aus dem westafrikanischen Kamerun, gehören meist zur englischsprachigen Bevölkerungsminderheit. Immer wieder kommt es in ihrer Heimatregion zu gewaltsamen Konflikten. Doch eine Chance auf Asyl hatten sie unter der Trump-Regierung kaum.
Einer dieser Asylsuchenden ist Jerome*. Mit dem Flugzeug floh er 2018 aus Kamerun nach Ecuador, dann über den berüchtigten Dschungeltreck via Kolumbien in die USA. Dort saß er nach eigenen Angaben mehr als zwei Jahre lang in Abschiebehaft, bis er im Oktober schließlich in einen Flieger zurück nach Kamerun gesetzt wurde. Dabei war vor Gericht noch ein Berufungsverfahren gegen seine drohende Abschiebung anhängig.
»Ich schlafe hier in einem verlassenen Haus, mit einer Matratze auf dem Boden.« Aber es gehe ihm noch vergleichsweise gut: Mehrere seiner Landsleute, die mit ihm abgeschoben wurden, seien immer noch in Haft.
Sicherheitskräfte in Kamerun gehen alles andere als zimperlich mit unliebsamen Bürgern vor
Foto: JOSIANE KOUAGHEU / REUTERS
Lauren Seibert von Human Rights Watch bestätigt das. »Wir haben in den letzten Monaten mehrere Fälle dokumentiert, in denen zurückgeführte Flüchtlinge in Kamerun eingesperrt, misshandelt und bedroht wurden«, sagt sie. »Mehrfach wurden auch ihre Familien zur Zielscheibe.«
Glaubt man Jeromes Schilderungen, hat die US-Migrationsbehörde ICE sogar dazu beigetragen. Denn in seinem Asylverfahren in den USA hatte er ein brisantes Dokument eingereicht: Eine Art Mitgliedsausweis der verbotenen Rebellenbewegung SCNC. »Die US-Beamten haben dieses Dokument den kamerunischen Behörden übergeben«, erzählt Jerome. »Daraufhin wurde ich stundenlang verhört, musste mehrere Tage im Gefängnis verbringen.«
Auf einen Fragenkatalog des SPIEGEL zu den Abschiebungen nach Afrika hat das zuständige US-Heimatschutzministerium inhaltlich bislang nicht geantwortet.
Jerome, Mory Keita und Abdoul wollen möglichst schnell wieder weg aus ihren Heimatländern. Sie hoffen auf Joe Biden und einen Neuanfang in der Migrationspolitik. Doch dass die neue US-Regierung sie nach Amerika zurückholt, ist äußerst unwahrscheinlich. Sie werden wohl Trumps letzte Opfer bleiben.
*Um die Protagonisten vor Repressalien zu schützen, haben wir ihre Namen geändert; ihre echten Namen sind der Redaktion bekannt.
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