Flüchtlinge in Tijuana Warum Trump von Tumulten an der Grenze profitiert
Wenn Donald Trump über die Lage an der Grenze zu Mexiko spricht, klingt es so, als herrschte dort Kriegszustand.
Viele der Migranten, die in den vergangenen Tagen in der mexikanischen Stadt Tijuana versucht hätten, über die US-Grenze zu gelangen, seien "eiskalte Kriminelle", sagt Trump. Um diese Leute aufzuhalten, müsse notfalls auch über die Schließung der "gesamten Grenze" nachgedacht werden. Und natürlich sei auch der Einsatz von Tränengas durch die US-Grenzpolizei gegen die potenziellen Eindringlinge vollkommen richtig. Schließlich seien da ein paar "ganz harte Typen" dabei, so Trump.
Der Präsident ist ganz in seinem Element. Menschen, die versuchen, über amerikanische Grenzzäune zu klettern, Tränen, Chaos, es sind genau diese Eindrücke aus Tijuana, die er nutzen will, um sich als starker Mann zu präsentieren und um seine politische Agenda voranzutreiben. Trump, der einst mit dem Versprechen angetreten war, die illegale Einwanderung in die USA vollständig zu stoppen, sieht seine große Stunde gekommen. Die Fernsehbilder der Flüchtlinge, die auf die Grenze zustürmen, erscheinen wie eine Bestätigung seiner düsteren Warnungen vor einer "Invasion" der USA durch unkontrollierte Menschenmassen aus dem Süden.

Fotostrecke: Mit Tränengas gegen Migranten
Dass unter den Flüchtlingen auch viele verzweifelte Frauen und Kinder sind, die vor Gewalt und Elend in ihren Heimatländern flüchten, spielt für Trump keine Rolle. Gut 300 zusätzliche Soldaten wurden bereits von seiner Regierung in die Gegend rund um Tijuana abkommandiert. Hubschrauber fliegen dort Tag und Nacht Patrouille. Grenzpolizisten in Kampfmontur stehen bereit, um Flüchtlinge erneut mit Tränengasgranaten davon abzuhalten, über die Sperranlagen zu klettern. Bei dem jüngsten Ansturm am vergangenen Wochenende wurden 42 Menschen festgenommen, nachdem sie den Grenzzaun überwunden hatten.
Die Lage könnte sich zuspitzen
Es ist möglich, dass sich die Lage bald weiter zuspitzt. Zwar ist nicht klar, ob die Flüchtlinge erneut versuchen wollen, in größeren Gruppen die amerikanischen Grenzanlagen zu überwinden. Doch die Zahl der Menschen, die in dem mexikanischen Grenzort unter schwierigen Bedingungen campieren, wächst. Immer noch kommen Busse mit neuen Flüchtlingen in Tijuana an; sie sind Teil der "Karawane", die vor mehreren Wochen in Honduras gestartet war.
Deutlich mehr als 5000 Menschen sollen es inzwischen sein. Die mexikanischen Behörden versuchen, diese Flüchtlinge zu versorgen. Sie scheinen damit aber bereits jetzt heillos überfordert zu sein. Nur wenige Menschen nehmen bislang das Angebot der Behörden an, freiwillig in ihre Heimatländer zurückgebracht zu werden.
Video zu Tränengas an US-Grenze: "Ich griff meine Töchter und rannte"
Trump nutzt die Krise, um den Druck auf die mexikanische Regierung zu erhöhen. Die südlichen Nachbarn sollen sich dazu bereit erklären, künftig generell auf ihrem Territorium Auffanglager zu errichten, in denen Migranten leben sollen, solange ihre Asylverfahren oder Anträge auf Arbeitsgenehmigungen auf der US-Seite geprüft werden. In diesen Lagern sollen dann künftig auch größere Migrantengruppen untergebracht werden, die im Stil der aktuellen "Karawane" aus Ländern wie Honduras gen Nordamerika ziehen. Wie das genau funktionieren soll, wer dafür bezahlt und ob dies rechtlich überhaupt möglich wäre, ist bislang unklar.
Aus Washington wird bereits gestreut, die Regierung des künftigen mexikanischen Präsidenten Andres Manuel López Obrador habe der US-Seite bei vertraulichen Gesprächen in Texas Entgegenkommen bei einem solchen Plan signalisiert. Ob das stimmt, ist ungewiss. In Mexiko City werden die Berichte über eine Einigung jedenfalls dementiert.
Trump setzt den Kongress unter Druck
Zugleich hofft Trump im Zuge der Grenzkrise auf Fortschritte beim Bau seiner Mauer. Seit Monaten schon stagniert das Projekt, weil der Kongress die notwendige Finanzierung versagt. Geld gibt es lediglich für einen kleinen Teil. Nun will Trump die Abgeordneten schon in den kommenden Tagen dazu zwingen, frische Milliarden für die Mauer freizugeben. Per Twitter ließ er die Kongressmitglieder wissen, was im Angesicht der Krise zu tun sei: "Bezahlt die Mauer!"
Gut für Trump: Am 7. Dezember läuft eine Frist aus, bis zu der sich die Abgeordneten mit der Regierung auf eine Reihe von Haushaltsposten für das kommende Jahr einigen müssen, sonst droht der "Shutdown", die Schließung wichtiger Bundesbehörden wegen Geldmangels. Für Trump ist klar: Sollte der Kongress ihm Geld für seinen Mauerbau verweigern, will er die gesamten Haushaltsverhandlungen platzen lassen. Ein Shutdown wäre kaum abzuwenden.
Fieberhaft wird nun hinter den Kulissen nach möglichen Auswegen aus dem Dilemma gesucht. Die Demokraten sitzen bei den Beratungen mit am Tisch, weil Trump auf ihre Unterstützung angewiesen ist. Jedes Haushaltsgesetz im Senat benötigt mindestens 60 Stimmen, Trump und seine Republikaner haben 51 Stimmen.
Allerdings will die Opposition Trump nur dann entgegenkommen, wenn er Zugeständnisse bei der Neuregelung wichtiger Einwanderungsgesetze macht. Zum Beispiel soll endlich eine dauerhafte Lösung für die Kinder von Migranten gefunden werden, deren Eltern vor vielen Jahren illegal in die USA gekommen sind, die sogenannten "Dreamer". Auch fordern die Demokraten, mehr Aufenthaltsgenehmigungen an Lateinamerikaner zu vergeben, die in den USA auf Feldern und in Fabriken arbeiten wollen.
Ob Trump und seine Republikaner zu solchen Zugeständnissen bereit sind, ist ungewiss. Der Präsident und Teile seiner Partei haben bislang jede Art von Kompromissbereitschaft bei der Einwanderung abgelehnt.
Allerdings stehen auch sie unter Druck: Von Januar an nimmt der neue Kongress seine Arbeit auf, in dem die Demokraten das Repräsentantenhaus beherrschen. Dann könnte eine Einigung schwieriger werden. Gelingt es Trump nicht, bis zur nächsten Präsidentenwahl 2020 wenigstens Teile seiner Mauer zu errichten, könnte ihn dies Wählerstimmen kosten.