US-Präsident Trump und die Lügen
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Der amerikanische Präsident verbreitet Lügen, immer öfter und immer schamloser. Damit überrollt Trump die Faktenchecker - und bringt die Demokratie in höchste Gefahr.
Die Russlandaffäre ist eine Verschwörung der Linken. Die USA zahlen 90 Prozent der Nato-Kosten. Der Konzern US Steel baut sieben neue Stahlwerke. Die Queen ließ ihn warten, nicht andersrum. Seine Hallen sind voller als die von Popstar Beyoncé.
Das sind nur fünf von Dutzenden Behauptungen, die US-Präsident Donald Trump kürzlich bei einem Wahlkampfauftritt in Pennsylvania verbreitete - und die sich ohne viel Aufwand als falsch widerlegen lassen. Nicht als Versehen, Versprecher oder Missverständnisse. Sondern als vorsätzliche Unwahrheiten.
Als Lügen.
Trotzdem bejubelten Trumps Anhänger jede einzelne dieser Lügen als Wahrheit, oft mit dem Sprechchor: "USA! USA! USA!"
Das ist keine Ausnahme mehr. Trump, noch nie ein Freund der Wahrheit, lügt häufiger und schamloser denn je, via Twitter, Reden, Pressekonferenzen und offiziellen Statements. Damit überrollt er die Faktenchecker - und die politische Kultur Amerikas.
Trumps massiver "Angriff auf die Wahrheit" habe "verheerende Folgen", schreibt Michiko Kakutani, die frühere Chef-Literaturkritikerin der "New York Times", in ihrem neuen Buch "The Death of Truth". Das beginnt mit einer ominösen Warnung: "Zwei der monströsesten Regime der Geschichte kamen im 20. Jahrhundert an die Macht, und beide stützten sich auf die Verletzung und Vernichtung der Wahrheit." Sie meint die Sowjetunion und Nazideutschland.
Anhänger des Verschwörungskults QAnon bei Trump-Auftritt
Foto: RICK LOOMIS/ AFP
Dass Trumps Lügen eskalieren, lässt sich nachweisen. Im ersten Jahr seiner Präsidentschaft gab er nach Berechnung der "Washington Post" 2140 Falschheiten von sich. In den folgenden sechs Monaten schoss diese Zahl auf mehr als 4230, fast das Doppelte. Im Juni und Juli verbreitete er im Schnitt 16 Lügen am Tag.
Manchmal enthüllt Trump - versehentlich - die eigenen Lügen. So erklärte er jetzt, dass es 2016 bei einem Treffen seines Wahlkampfteams mit Vertretern aus Russland tatsächlich um Hillary Clinton gegangen sei. Seine bisherigen, monatelangen Dementis: gelogen.
In ihrem Buch versucht Kakutani den "Schwall aus seinem Mund und seinem Twitter-Feed" zu deuten und in einen gesellschaftlichen und politischen Kontext zu stellen. Ist er ein pathologischer Lügner oder dement? Ist es Dummheit, Panik oder Kalkül?
Sie warnt davor, Trumps Verlogenheit als Schrulle zu unterschätzen. Vielmehr habe sein Lügen-Tsunami zum Ziel, die messbare Realität zu zerstören: Die Bürger - zumindest die Trump-Anhänger - würden am Ende niemandem mehr glauben. Außer Trump.
Kakutani zitiert George Orwell und Aldous Huxley, die solche Umstände in ihren dystopischen Romanen "1984" und "Schöne neue Welt" vorhersagten. Sie erinnert an Lenin, Stalin und Hitler, deren Schreckensherrschaften von staatlichen Lügen gestützt waren - und die, ähnlich wie jetzt auch Trump, eine faktenorientierte Presse als "Feinde des Volkes" diffamierten.
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Titel: The Death of Truth: Notes on Falsehood in the Age of Trump
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Solche Vergleiche mögen manchen zu weit gehen. Doch Trumps Lügen - und die Beschimpfung derer, die solche enthüllen - sind kein Zufall. "Die Falschheiten sind Teil seiner politischen Identität", schreibt Susan Glasser im "New Yorker". Sie seien das "Geheimrezept", mit dem er seine Basis eng an sich binde.
"Bleibt uns treu", rief Trump seinen Fans neulich zu und zeigte verächtlich auf die Reporter im Saal. "Was ihr seht und was ihr lest, ist nicht, was geschieht." Das erinnerte an einen Satz aus "1984": "Die Partei lehrte einen, der Erkenntnis seiner Augen und Ohren nicht zu trauen. Das war ihr entscheidendes, wichtigstes Gebot."
Trump-Prophet George Orwell
Foto: Uncredited/ AP/dpa
Trump lügt über die Nato, das Handelsdefizit, die Arbeitslosigkeit, die Wahl 2016, seine Sexaffären. Er nennt Wahlkampfabsprachen mit Russland "völlig legal" (falsch), prahlt, der Mauerbau an der Grenze zu Mexiko habe begonnen (falsch), brüstet sich als Erfinder des Begriffs "Fake News" (falsch) und lobt sich für die beste Konjunktur und die größten Steuernachlässe der Geschichte (falsch und falsch).
Schon Trumps Immobiliengeschäft fußte auf Lügen, etwa dass der Trump Tower 68 Stockwerke habe (er hat 58). Seine Politkarriere begann mit der Behauptung, Barack Obama sei in Kenia geboren. Im kleinen Kreis soll sich Trump neulich stolz mit dem US-Zirkuspionier und Profi-Schwindler P.T. Barnum verglichen haben, der später ebenfalls in die Politik ging und im vergangenen Jahr im Filmmusical "Greatest Showman" verklärt wurde.
Kino-Musical "Greatest Showman"
Foto: Fox Deutschland
Lügen haben in den USA eben Tradition. Gerade in der Politik: Lyndon B. Johnson log über Vietnam, Richard Nixon über Watergate, Bill Clinton über Monica Lewinsky, George W. Bush über den Irakkrieg, Barack Obama über die Gesundheitsreform.
Trump ist die logische Fortsetzung, doch er treibt es auf die Spitze - mit Erfolg: Millionen Amerikaner vertrauen Fox News, zweifeln am Klimawandel, sehen Verschwörungstheorien als erwiesene Fakten. Und nur 32 Prozent der Republikaner glauben, dass Russland in die US-Wahlen 2016 eingegriffen habe.
Eines der letzten Zitate in Michiko Kakutanis Buch stammt vom US-Gründervater Thomas Jefferson. Das Experiment Amerika, schrieb der einst, könne nur funktionieren, solange es "von Vernunft und Wahrheit regiert" werde.