Treffen an der innerkoreanischen Grenze Geschenkt
Die Weltgeschichte lebt von dramatisch inszenierten Szenen. Willy Brandts Kniefall in Warschau. Richard Nixon auf der Chinesischen Mauer. George W. Bush vor den Trümmern des World Trade Centers.
US-Präsident Donald Trump ist kein Student der Geschichte. Doch die Macht der Bilder versteht kaum einer besser als der zum Politiker mutierte TV-Realitystar, gerade in dieser von visuellen Reizen geprägten Welt. Am Sonntag inszenierte Trump sein bisher dramatischstes Bild.
Trumps Treffen mit Machthaber Kim Jong Un an der Demarkationslinie von Nord- und Südkorea war nicht nur ein fürs Fernsehen geschaffenes Spektakel, sondern ein Triumph des Social-Media-Zeitalters, von Trumps Digitalteam zum viralen Hit verdichtet: der Handschlag, die paar Schritte Trumps nach Nordkorea, als erster amtierender US-Präsident überhaupt, dann Kims Schritte nach Süden.
"Ein sehr legendärer, sehr historischer Tag", strahlte Trump. Legendär und historisch allein reichten nicht, es musste sehr sein.
Auch wenn es bei Trumps US-Zielpublikum da noch mitten in der Nacht war, beherrschten die Aufnahmen später am Sonntag alle Sender und Websites im Land. Viele US-Journalisten ließen sich mitreißen und übernahmen Trumps Narrativ. "Was die reine Aufführung angeht, war das wohl der größte Moment in Trumps Präsidentschaft", staunte Jon Karl, ein TV-Korrespondent für ABC News. "Einer der historischsten Tage Trumps", schrieb Seung Min Kim, die für die "Washington Post" mit dabei war.

Donald Trump trifft Kim Jong Un: "Es ist eine Ehre, hier zu sein"
Aber was bleibt außer Optik, Quoten und Symbolen? Der Verdacht liegt nahe, dass auch die jüngste Kim-Show nur ein weiterer Fototermin war, bei dem Trump Politik spielt, statt Politik zu machen. "Ein Stunt zu seiner Wiederwahl", so der Koreaexperte Robert Kelly. Das einzige Resultat - die Ankündigung, man wolle die Atomverhandlungen wieder aufnehmen - bringt die Gespräche bestenfalls auf den Stand vom Juni 2018, vor dem Singapur-Gipfel, seit dem sich nichts wirklich getan hat.
"Alle Vorgänger Trumps haben mehr von Nordkorea erreicht, ohne dass sie persönlich dort gewesen wären", schrieb die US-Sicherheitsexpertin Mieke Eoyang auf Twitter. "Trump hat die DMZ umsonst betreten."
All Trump's predecessors got more out of North Korea without going there in person.
— Mieke Eoyang (@MiekeEoyang) June 30, 2019
Trump crossed into the DMZ for nothing.https://t.co/dNMNxX2D0u
(Update to chart below, DPRK still testing its missiles as of May...) pic.twitter.com/SV5cxBq04l
Die Szenen erinnerten an ein Super-Bowl-Finale, ohne dass zuvor ein einziges Footballspiel absolviert worden sei, sagte Victor Cha, der Nordkorea-Beauftragte unter George W. Bush, im TV-Sender MSNBC. Jedes dieser Pseudotreffen, sagte auch der langjährige Sicherheitsexperte Frank Jannuzi auf Twitter, legitimiere Kim, lasse seine Statur wachsen - und Trumps Statur schrumpfen. "Jedes Treffen ist ein Geschenk an Kim."
Das könnte manchen vielleicht reichen in den USA, wo Wahlen selten mit Inhalten gewonnen werden. Dieses Prinzip hat Trump nicht erfunden, aber er hat es perfektioniert - und mit der Show im Waffenstillstandsdorf Panmunjom auf die Spitze getrieben.
Dabei erfordert es schon eine gewisse Schamlosigkeit, einen autoritären Herrscher wie Kim so zu umschmeicheln. Erst bettelte Trump förmlich um das Treffen, dann bedankte er sich, dass er ihn nicht abblitzen ließ.
Videoanalyse: "Das hätte hier keiner erwartet"
Nordkoreas Menschenrechtsverstöße kamen bei dem knapp einstündigen Treffen wieder nicht zur Sprache, auch nicht der US-Student Otto Warmbier, den das Regime wohl zu Tode gequält hatte. Und Nordkoreas glücklose Unterhändler beim geplatzten Hanoi-Gipfel, die Kim angeblich ermorden ließ - habe er gefragt, ob die noch lebten? "Ich glaube schon", wiegelte Trump desinteressiert ab.
Die US-Forderungen ignorierte er ebenso wie Kims wiederholte Ausflüchte. Bis heute hat Nordkorea kein Atomwaffeninventar vorgelegt, was es nach dem ersten Trump-Kim-Gipfel in Singapur versprochen hatte. Und von einer kompletten Denuklearisierung Nordkoreas redet sowieso keiner mehr, weder Trump noch US-Außenminister Mike Pompeo.
Stattdessen: "Große Ehre"... "großartiger Moment"... "wundervolles Treffen". Das erinnerte ans Lob, das Trump zuvor beim G20-Gipfel von Osaka auch anderen antidemokratischen Machthabern zukommen ließ - Wladimir Putin, Xi Jinping, Mohammed bin Salman.
Neue, globale "Achse des Autoritarismus" - angeführt von Trump
"Diktatoren-Neid", so nennt Autor und "Slate"-Journalist Fred Kaplan Trumps Affinität für Gewaltherrscher wie Kim. Der Politologe Dan Sneider diagnostiziert in der "Asia Times" sogar eine neue, globale "Achse des Autoritarismus" - angeführt von Trump, dessen Wunsch, mit härterer Hand zu regieren, als es ihm die US-Demokratie erlaubt, hinlänglich verbrieft ist.
Assistieren lässt sich Trump dabei von den Cheerleadern seines Haussenders Fox News. Ein Führer müsse auch mal "Leute umbringen", relativierte Moderator Tucker Carlson die Brutalität des Kim-Regimes dort. "Viele Länder begehen Gräueltaten, unsere Alliierten inklusive." Carlson durfte am Sonntag mit an die Demarkationslinie reisen, der US-Sicherheitsberater John Bolton, ein Nordkorea-Hardliner, fehlte dagegen.
Die Inszenierung war Trump wichtiger als die Inhalte - von seiner Cliffhanger-Ankündigung auf Twitter (Kommt Kim? Kommt er nicht?) bis zu seinem historischen Schritt über das Demarkationsstüfchen, dessen telegene Dramatik ihm Kim zuvor höchstpersönlich ans Herz legte: "Sie werden der erste US-Präsident sein, der die Grenze übertritt."
Das ließ Trump sich nicht zweimal sagen.