US-Wahlkampf um die Grenze Die erfundene Invasion

Donald Trump
Foto: Andy Manis/ AFPEr hat Einwandererfamilien getrennt und ihre Kinder einsperren lassen. Er warnt vor fiktiven Terroristen, Gangmitgliedern und anderen Kriminellen. Er schickt Tausende Truppen an die Grenze und droht, diese sogar ganz dichtzumachen.
Und nun will er auch noch einen zentralen Teil der US-Verfassung aushebeln.
US-Präsident Donald Trump scheut keine Mittel, um den Kongresswahlkampf für die Republikaner zu entscheiden. Sein schlagkräftigstes Schlussplädoyer ist dabei der Dauerstreit um die Einwanderungs- und Grenzpolitik: Amerika, warnt er, werde von fremden Horden überrannt - und er allein könne und werde sie stoppen.
Die Dämonisierung von Einwanderern ist ein altbewährtes Mittel von Demagogen, das an die niedersten Instinkte appelliert und mit der Realität meist wenig zu tun hat. Diesmal könnte es aber nach hinten losgehen: Für die meisten US-Wähler sind die Wirtschaft oder die Gesundheitsversorgung zurzeit wichtiger.
Dennoch hofft Trump - der schon seinen Wahlkampf 2016 mit Hass auf Immigranten begann - damit seine Basis aufzustacheln. Jüngstes Beispiel: das Staatsbürgerrecht. Das besitzt jeder, der in den USA geboren wird, egal, woher die Eltern kommen - was auch die Babys illegaler Einwanderer zu Amerikanern macht. Trump droht nun, dieses Geburtsortprinzip per Federstrich abzuschaffen.
"Wir sind das einzige Land auf der Welt, wo eine Person kommen und ein Baby kriegen kann, und das Baby ist dann 85 Jahre lang ein Bürger der Vereinigten Staaten", beschwerte er sich in einem Interview . "Es ist lächerlich. Und es muss aufhören." Ein entsprechendes Dekret werde er "bald" unterzeichnen.
Erstens: Dutzende Länder haben die gleichen Regeln. Zweitens: Das sogenannte Geburtsortprinzip ist seit 1868 in einem US-Verfassungszusatz verankert und selbst für einen Präsidenten unantastbar - zur Änderung oder Abschaffung bedürfte es einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Kongresses.
Hinzu kommt, dass dieser 14. Verfassungszusatz einen gewichtigen Hintergrund hat: Er wurde nach dem US-Bürgerkrieg verabschiedet, um befreite Sklaven zu gleichberechtigten Staatsbürgern zu machen. Diese Geschichte zur Disposition zu stellen, ist entweder Ignoranz oder ein Wink an die Rassisten unter den Wählern.
Repräsentantenhaussprecher Ryan widerspricht Trump
Der Aufschrei ließ nicht auf sich warten. Trump "schürt Angst und Unsicherheit", erklärte Nicole Austin-Hillery, die US-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Selbst prominente Republikaner distanzierten sich von der Idee und widersprachen Trump. "Man kann das Geburtsortprinzip nicht per Dekret beenden", stellte Repräsentantenhaussprecher Paul Ryan klar.
Paul Ryan should be focusing on holding the Majority rather than giving his opinions on Birthright Citizenship, something he knows nothing about! Our new Republican Majority will work on this, Closing the Immigration Loopholes and Securing our Border!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) October 31, 2018
Egal - allein die Schlagzeilen nutzen Trump: Solange alle darüber reden, greift das Schreckensszenario. Zumal Statistiken der Border Patrol besagen, dass neuerdings wieder mehr Migranten über die US-Grenze kommen, seit die kontroverse Familientrennung und Internierung von Kindern beendet wurde.
"Seit Juni greifen wir immer öfter immer größere Gruppen auf", sagt der US-Grenzschutzagent Daniel Hernandez aus Tucson in Arizona dem SPIEGEL. "So extrem haben wir das lange nicht mehr erlebt." Eine "Krise" sei das freilich nicht.
Doch Trump liebt künstliche Krisen, um sie dann zu "lösen". So beschreibt er die Flüchtlinge aus Zentralamerika, die gerade auf dem Weg Richtung USA sind, in immer apokalyptischeren Tönen: Die "Karawane" wimmele vor Kriminellen und "Nahöstlern", ein Codewort für Terroristen. Er sprach von einer "Invasion", drohte den Herkunftsländern, liebäugelte mit einem pauschalen Einreiseverbot und der Idee, die 3000-Kilometer-Südgrenze sogar für den Handel zu schließen.
Schlimmer noch: Trump verbreitete eine Verschwörungstheorie weiter, wonach die "Karawane" vom - jüdischen - Milliardär George Soros finanziert werde. Einer, der sich im Internet dieser wirren These anschloss, war der mutmaßliche Attentäter, der jetzt in einer Synagoge in Pittsburgh elf Menschen erschoss.
Video: "Trump befeuert Klima des Hasses"
Obwohl die besagten Migranten noch so weit weg sind, dass sie die US-Grenze erst in Wochen erreichen, haut auch Trumps Haussender Fox News hart auf die Pauke. "Die kommen mit Krankheiten und Pocken und Lepra", fabulierte ein Kommentator. Das war selbst manchen Kollegen zu viel: "Es gibt keine Invasion", sagte Fox-News-Nachrichtenmann Shep Smith. "Kein Grund zur Beunruhigung."
Trump will bis zu 15.000 Soldaten an die Grenze schicken
Trotzdem beschloss Trump schließlich, Soldaten an die Grenze zu entsenden, als drohe wirklich ein Einmarsch. 5200 US-Truppen sollen sich den 2100 Nationalgardisten anschließen, die bereits im Grenzgebiet sind. Damit hätten die USA dort mehr Soldaten als zurzeit in Syrien und im Irak, wo sie echte Terroristen bekämpfen. Und am Mittwoch verschärfte er seinen Ton nochmals: Er könne bis zu 15.000 Soldaten an die Grenze zu Mexiko schicken, um die Karawane aufzuhalten, drohte er.
Es ist offensichtlich, dass das nur Show ist, dass die Soldaten nur Statisten sind im Kampf um die Wähler. "Wir haben genug Agenten", sagt auch Grenzschutzmann Hernandez. Die US-Truppen dürfte sowieso nur logistische Hilfe leisten: "Fahrzeuge reparieren, Überwachungskameras bedienen." Dafür sei man dankbar - aber mit Migranten dürften die Soldaten nicht in Kontakt kommen.
Und nach der Wahl wird es wahrscheinlich wieder still werden um die Grenze.