US-Rechtfertigung für Schlag gegen General Soleimani Heute so, morgen so

US-Präsident Trump: "Sehr großer und sehr böser Angriff"
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Es dauerte mehr als ein Jahr, bis die Lügen und Irreführungen, mit denen der Irakkrieg gerechtfertigt worden war, aufgeklärt waren. Iraks Verbindungen zu den Anschlägen vom 11. September, seine Nuklearziele, die Massenvernichtungswaffen: Nichts davon habe damals gestimmt, befand der US-Senat in einer überparteilichen Studie im Juli 2004. 16 Monate nach der Invasion.
Dieses Mal könnte die Aufklärung schneller gehen.
Weniger als zwei Wochen ist es her, dass US-Präsident Donald Trump Irans Topgeneral Qasem Soleimani mit einer Drohne töten ließ und damit einen neuen Krieg riskierte - und schon gibt es berechtigte Zweifel an der offiziellen Rechtfertigung des Einsatzes.
"Soleimani plante unmittelbar bevorstehende und finstere Anschläge auf amerikanische Diplomaten und Militärs, aber wir haben ihn auf frischer Tat ertappt", verkündete Trump am 3. Januar, einen Tag nach dem Drohnenschlag, auf seinem Anwesen Mar-a-Lago in Florida. "Wir haben letzte Nacht gehandelt, um einen Krieg zu stoppen."
Von dieser ursprünglichen Begründung ist wenig übrig. US-Regierungsbeamte "ringen damit", die Tötung Soleimanis, die fast zum Krieg zwischen den USA und Iran geführt hätte, "nachträglich zu begründen", schrieb die "New York Times" in einer Analyse. Wissenschaftler des Bundestags bezweifeln mittlerweile, dass die Tat mit dem Völkerrecht vereinbar ist.
Die Chronik der Rechtfertigungen:

US-Außenminister Pompeo: "Unmittelbar bevorstehende Bedrohung"
Foto:CHIP SOMODEVILLA/ AFP
Freitag, 3. Januar: Akute Gefahr
Die Begründung des Drohnenschlags mit "unmittelbar bevorstehenden" Anschlägen schien zunächst eine einheitliche Sprachregelung. Am selben Tag wie Trump griff auch Außenminister Mike Pompeo zu dieser Wortwahl: Trumps Befehl sei eine Abwehrreaktion auf die "unmittelbar bevorstehende Bedrohung amerikanischer Leben" gewesen. Der Iraner habe "aktiv" eine "große Aktion geplant", die "Dutzende, wenn nicht Hunderte amerikanische Leben" hätte kosten können.
Das vermischte alte und neue Nachrichten. Soleimani war tatsächlich für den Tod zahlreicher US-Soldaten in den vergangenen Jahren verantwortlich. Das wussten allerdings schon Trumps Vorgänger Barack Obama und George W. Bush, hielten die Tötung Soleimanis aber für politisch zu riskant. Die angeblich "unmittelbar bevorstehenden" Aktionen schienen Trump jedoch einen Grund zu geben, jetzt zuzuschlagen.
Dienstag, 7. Januar: "Sehr böser" Angriff
Trump legte nach: Soleimani habe einen "sehr großen Angriff und sehr bösen Angriff" geplant. Pompeo zählte zu "unmittelbar bevorstehend" auf einmal auch bereits bekannte Attacken, die vor dem Drohnenschlag gegen US-Einrichtungen stattgefunden hatten. Verteidigungsminister Mark Esper hingegen vermied den Begriff ganz. Er lobte die Geheimdienstinformationen nur als "exquisit". US-Regierungsquellen begannen Journalisten zu stecken, dass die Bemerkungen von Trump und Pompeo wenig hilfreich seien: Sie seien übertrieben und "unnötige Ablenkungen" von einer ansonsten politisch "vertretbaren" Entscheidung, schrieb die "Washington Post".
Donnerstag, 9. Januar: Angriff auf eine Botschaft
Zwei Tage später sagte Trump im Weißen Haus: "Sie wollten unsere Botschaft in die Luft jagen." Es war das erste Mal, dass jemand eine konkrete Bedrohung nannte. Bei einem Wahlkampfauftritt am Abend sprach Trump sogar von "mehreren Botschaften". Auch Pompeo sprach bei Fox News von einer Serie von Anschlägen, räumte aber ein: "Wir wissen nicht genau, wann, und wir wissen nicht genau, wo."
Vertreter des Pentagons und der Geheimdienste informierten den Kongress hinter verschlossenen Türen, weigerten sich aber, öffentlich konkrete Bedrohungen zu bestätigen oder mehr zu sagen. Der republikanische Senator Mike Lee nannte das Briefing empört "eine Beleidigung".

US-Verteidigungsminister Esper: "Nichts über vier Botschaften gesehen"
Foto: Erin Scott/ReutersFreitag, 10. Januar: Angriff auf vier Botschaften
Trump trieb seine Behauptung nun noch weiter. "Ich kann verraten, dass ich glaube, dass es vier Botschaften gewesen wären", sagte er Fox News. "Es hätten Militärstützpunkte sein können, hätte auch viel anderes sein können. Aber es stand unmittelbar bevor." Senator Mike Lee war das neu: "Davon habe ich nichts gehört", sagte er. "Es ist sicher nichts, was ich in dem Geheimbriefing gehört hätte."
US-Botschaftsbeamte in Bagdad betonten später gegenüber Journalisten, sie hätten keine solche Warnung bekommen, wie es sonst bei einer Drohung üblich wäre. "Aufgrund des bisherigen Wissens war Trumps Statement bestenfalls eine unbegründete Theorie und schlimmstenfalls eine Falschheit", resümierte die "Washington Post" nach Konsultation mit Geheimdienstquellen.
Sonntag, 12. Januar: Alles nicht neu
Nun relativierte auch Verteidigungsminister Esper Trumps Aussagen. "Ich habe nichts über vier Botschaften gesehen", sagte er dem TV-Sender CBS. Er teile aber Trumps Ansicht, dass Soleimani die Botschaften hätte ins Visier nehmen können. Ähnlich vage drückte sich auch Trumps Sicherheitsberater Robert O'Brien aus: Es sei "immer schwierig", "genau zu wissen, was die Ziele sind", räumte er ein. Fest stehe: "Sie wollten Amerikaner in amerikanischen Einrichtungen in der Region töten und verstümmeln."
Montag, 13. Januar: Seit Monaten geplant
NBC News meldete, Trump habe die Tötung Soleimanis bereits vor sieben Monaten "autorisiert", im Juni 2019, für den Fall, dass bei den verschärften Spannungen im Nahen Osten US-Staatsbürger umkämen. Dieser Fall war am 27. Dezember eingetreten, als ein US-Dolmetscher bei einem Hisbollah-Raketenangriff umkam.
US-Medien berichteten unter Berufung auf Geheimdienstquellen, man habe tatsächlich geglaubt, dass Soleimani seine Anschläge "eskalieren" wollte, aber die Hinweise seien nicht spezifisch genug gewesen, um daraus Zeitpunkte und Orte zu lesen. Auch andere Trump-Vertraute relativierten die Behauptung. "Ich halte dieses Konzept von 'unmittelbar bevorstehend' für ein Ablenkungsmanöver", sagte Justizminister Bill Barr
"Wir wollen, dass sich Iran wie eine ganz normale Nation verhält", sagte Pompeo am Montag schließlich über die Hintergründe der jüngsten Eskalation mit Teheran. "Seid einfach wie Norwegen."
"Die Fake-News-Medien und ihre demokratischen Partner arbeiten hart, um herauszufinden, ob die künftigen Anschläge von Terrorist Soleimani 'unmittelbar bevorstanden' oder nicht", höhnte Trump schließlich auf Twitter. Beides treffe zu: "Aber es spielt wirklich keine Rolle, wegen seiner schrecklichen Vergangenheit!"
Dienstag, 14. Januar: "Hören Sie einfach Soleimani selbst zu"
Das Weiße Haus lässt die Begründung einer "akuten" Bedrohung vollends fallen. Der Trump-freundliche Sender Fox News agiert dabei als Stichwortgeber: "Sollten wir überhaupt noch von unmittelbar bevorstehenden Anschlägen sprechen?", fragt Moderator Brian Kilmeade Trumps-Vizesprecher, Hogan Gidley. "Sie müssen uns nicht beim Wort nehmen", antwortet der. "Hören Sie einfach Soleimani selbst zu." Der habe Anschläge "in der Zukunft versprochen".
Zwölf Tage sind vergangen seit Soleimanis Tod. Zwölf Tage, in denen sich die US-Regierung in zusehends widersprüchliche Details verstieg. Zwölf Tage, in denen die ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit Trumps, der bekanntlich gerne über große wie kleine Dinge gleichermaßen lügt, nur noch weiteren Schaden nahm.
Doch dieses Mal geht es nicht um die Menschenmenge bei seiner Vereidigung, sein Bankkonto oder die Schneise eines Hurrikans. Es geht um Krieg und Frieden.