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Gesichter Amerikas Der Nazijäger von Alabama

Kaum einer durchschaut Donald Trumps Aufstieg besser als Mark Potok. Der US-Rassismusforscher bekämpft den rechtsextremen Dunstkreis des Kandidaten seit Jahren - und bekommt dafür regelmäßig Morddrohungen.

Mark Potok hat es kommen sehen. Seit langem schon. Er ahnte es 1993, als er noch Reporter war, bei seinem ersten Einsatz, der mehrwöchigen Belagerung des Sektenhauptquartiers der Branch Davidians im texanischen Waco. 82 Sektenmitglieder und vier Justizbeamte starben damals.

Er spürte es zwei Jahre später in Oklahoma City, als er vor den brennenden Trümmern eines Hochhauses stand, in denen gerade 168 Menschen, darunter 16 Kinder, durch die Autobombe eines Rechtsextremisten umgekommen waren.

Er merkte es 2009 wieder, nach der Vereidigung von Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der USA, als rassistische Gewaltgruppen neuen Zustrom fanden und die Zahl der Übergriffe auf Minderheiten anzusteigen begann.

Doch erst jetzt ist das Unheil, das sich über Jahre in Amerika zusammengebraut hat, hemmungslos zutage getreten. Es hat eine donnernde Stimme gefunden und somit, zumindest bis zur US-Präsidentschaftswahl am 8. November, eine perverse Legitimität. Und diese Stimme hat, wie Potok erläutert, einen Namen: Donald Trump.

"Wir haben hier eine wunderbare Gelegenheit, die nie wieder kommen könnte."
Rocky Suhayda, Vorsitzender der American Nazi Party

Potok, 61, ist der Forschungschef des Southern Poverty Law Centers (SPLC) , einer privat finanzierten Watchdog-Organisation, die Amerikas Hassgruppen beobachtet, bloßstellt - und bekämpft. Der Ex-Journalist, der auch das Magazin "Intelligence Report" herausgibt, gilt als kundigster Kenner seines Metiers: Antisemiten, Rassisten, Extremisten, Militias, Neonazis, Nationalisten. Nun hat er sich Donald Trump vorgenommen.

Potok, ein ruhiger Mann mit zerknautschter Miene, sitzt Welten entfernt vom Wahlkampfzirkus in seinem Büro in Montgomery, der Hauptstadt des Südstaats Alabama. Aus dem Fenster blickt er auf zwei Jahrhunderte brutale US-Geschichte.

Gleich gegenüber liegt die Bürgerrechts-Gedenkstätte, durch deren Katakomben die Geister Dutzender Todesopfer spuken. Um die Ecke ist die Baptistenkirche, in der Martin Luther King predigte. Einen Block weiter findet sich das Landeskapitol, dessen Treppenhaus von einem Sklaven gebaut wurde, der sich freigekauft hatte.

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Montgomery, Alabama: Zwei Jahrhunderte brutaler US-Geschichte

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Montgomery bedeutet Gut und Böse, in ewigem Konflikt. Hier florierte einer der größten Sklavenmärkte der USA. Hier begann die Bürgerrechtsbewegung. Hier endete 1965 der blutige Marsch, der zum Wahlrecht für Afroamerikaner führte. Zugleich bleibt es die Hauptstadt eines der konservativsten US-Staaten. Der Ku-Klux-Klan treibt weiter sein Unwesen. Im Justizpalast herrschte bis vor Kurzem der Oberste Richter Roy Moore, der die zehn Gebote in Granit meißeln ließ und die Diskriminierung liebte. Genau der richtige Standort also für Mark Potok, von Beruf Rassisten-, Faschisten- und Extremistenjäger. Und nun - unerwartet und wider Willen - Trumps Entlarver.

"Trump ist bereit, zu sagen, was die meisten Amerikaner denken."
Andrew Anglin, Herausgeber der Neonazi-Website "Daily Stormer"

Potok und sein Team verfolgen die Extremisten, dokumentieren ihre Taten - und spionieren sie aus, auch mit Informanten. Viele konnten sie durch Gerichtsklagen aus dem Verkehr ziehen. "Wir wollen sie zerstören", sagt Potok.

Potok erfährt täglich Beschimpfungen und Morddrohungen, oft mit Hinweis auf seine jüdische Herkunft. Nur von seinem aktuellsten Forschungsprojekt hat er noch keine Post erhalten - Trump. Nicht mal einen Tweet. Dabei ist der Präsidentschaftskandidat auf dem Titel des jüngsten "Intelligence Reports". Die Schlagzeile lautet: "Hass und Extremismus."

Mark Potok mit der jüngsten Ausgabe des "Intelligence Reports", auf dem Titel: Donald Trump

Mark Potok mit der jüngsten Ausgabe des "Intelligence Reports", auf dem Titel: Donald Trump

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"Die Bestie des rechtsextremen Populismus wacht wieder auf", schreibt Potok in seinem Leitartikel . Es gebe "keine Zweifel", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, wer diese Bestie füttere.

"Nur Trump kann die braune (Latino-)Flut eindämmen."
Alex Linder, Gründer der rechtsextremen Website "Vanguard News Network"

"Trump ist nicht nur ein Mitglied der rechtsextremen Szene", sagt Potok. "Sie haben in ihm ihr Sprachrohr und ihren Wortführer gefunden." Schon sein Slogan "Make America Great Again" sei ein "Hinweis an die Weißen", dass er die "good, old days" wiederherstellen werde. Die "guten, alten Zeiten", in denen Minderheiten nichts zu melden hatten.

Diese rassistische Ideologie, unvereinbar mit allen Prinzipien Amerikas, vertreten die US-Extremisten seit jeher. Trump und sein Wahlkampfchef Stephen Bannon, der zuvor die rechte Propaganda- und Verschwörungsplattform "Breitbart" führte, haben sie nun hoffähig gemacht.

"Jüdischer Propagandist", "Hetzer", "Kommunist" - das sind die harmlosesten Beschimpfungen, die sie Potok entgegenschleudern. Dann sind da die weniger harmlosen: 31 Attentäter in spe landeten im Gefängnis, weil sie versucht hatten, das Southern Poverty Law Center (SPCL) in die Luft zu jagen oder dessen Angestellte zu ermorden.

"Heil, Imperator Trump! Sieg Heil!"
Matthew Heimbach, Chef der weiß-nationalistischen Traditionalist Worker Party

Amerika 2016: Der Hass lebt. Die SPLC-Zentrale wird rund um die Uhr von Wachmännern und Kameras be- und überwacht, eine Betonsperre soll Bombenangriffe verhindern. Auch Potok lässt sich und seine Familie beschützen. "Unsere Sicherheit ist tadellos", sagt er. "Die meisten, die schreiben, belassen es beim 'fuck you'."

Southern Poverty Law Center in Montgomery. Die Betonschräge vor dem Eingang soll die Explosionskraft einer Autobombe mindern.

Southern Poverty Law Center in Montgomery. Die Betonschräge vor dem Eingang soll die Explosionskraft einer Autobombe mindern.

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Gegründet wurde das Center 1971 durch zwei Anwälte. Potok, in Paris geboren, und in Vermont aufgewachsen, stieß 1997 dazu, nach fast 20 Jahren als Journalist bei Zeitungen wie "USA Today" und "Miami Herald". Er hatte über Rassismus, die Militia-Bewegung und die Terrorakte jener Zeit berichtet, etwa den Anschlag von Oklahoma City, bis 9/11 das Attentat in der US-Geschichte mit den meisten Todesopfern.

Nachdem die Zahl der Hassgruppen lange zurückgegangen war, stieg sie seit Obamas Wahl an, auf zuletzt 1890. Das und der demografische Wandel Amerikas führen zu einem neuen Rassismus-Boom - und zu grotesken Versuchen, die Lehren aus der Geschichte zu ignorieren. Auch der Ku-Klux-Klan wuchert längst wieder.

"Trump ist das Beispiel eines Kandidaten, auf den die Rechten gewartet haben."
Rachel Pendergraft, nationale Organisatorin der KKK-nahen Knights Party

Trump, der seinen Wahlkampf mit einer Wutrede auf Mexikaner begann, bündelt die Hassbotschaften, die rassistische Wut, die Missachtung der Menschenwürde, die Verschwörungstheorien. In seinen Reden zitiert er manchmal sogar direkt aus rechtsextremer Literatur.

Das hat Konsequenzen. Angriffe auf ethnische, religiöse und andere Minderheiten mehren sich, kulminierend in dem Massenmord in einer schwulen Latino-Disco in Orlando. Auch antisemitische Attacken nehmen zu, seit Trump kandidiert. Vor allem auf dessen Lieblingsmedium Twitter, wie die Anti-Defamation League ermittelte - und von Twitter-Nutzern, die sich als Trump-Anhänger identifizierten.

"Die weiße Rasse stirbt aus. Wählt Donald Trump."
William Johnson, Chef der weiß-nationalistischen American Freedom Party

Selbst wenn Trump die Wahl verlieren sollte, sieht Potok kein Ende des Albtraums: "Der Flaschengeist lässt sich schwer wieder einkorken." Stattdessen prophezeit er noch mehr Gewalt - von Einzeltätern, die sich "inspirieren" lassen: "Ich halte es seit Jahren für möglich, dass wir ein zweites Oklahoma City erleben."

War also alles umsonst? "Wir können die Welt nicht ändern", sagt Potok. "Hier sind gigantische Mächte am Werk." Spricht's - und widmet sich wieder seinen Akten.

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