
Kongressabgeordnete Greene: Wahnsinn mit Methode
Foto: SAUL LOEB / AFP

Die Lage: USA 2021 Trumps Pakt mit der QAnon-Republikanerin

Liebe Leserin, lieber Leser,
heute beschäftigen wir uns mit Donald Trump und der Frage, ob der Ex-Präsident die Republikaner wie eine Sekte führen kann. Und: Muss Barack Obama gecancelt werden?
Zu den großen Fragen der amerikanischen Politik gehört, wie tief die Republikaner Donald Trump noch in den dunklen Abgrund des Irrsinns folgen werden. Viele seiner Parteifreunde haben nicht widersprochen, als der Ex-Präsident das Märchen in die Welt setzte, ihm sei die Wahl gestohlen worden.
Trump wird im laufenden Impeachment-Verfahren aller Voraussicht nach nicht verurteilt werden, obwohl etliche republikanische Senatoren möglicherweise gelyncht worden wären, hätte der Mob, den Trump am 6. Januar Richtung Kongress schickte, sie in die Finger bekommen.
Nun hat Trump per Telefonanruf auch noch eine Kongressabgeordnete geadelt, deren Ansichten unter anderem Umständen die Einlieferung in eine geschlossene Anstalt rechtfertigen würden.
»Abstruse Lügen und Verschwörungstheorien sind ein Krebsgeschwür«
Marjorie Taylor Greene war schon eine Schande für die Partei, als sie im November in den US-Kongress gewählt wurde.
Sie hatte sich offen zur QAnon-Bewegung bekannt, jener Verschwörungstheorie also, nach der die Demokraten Teil einer satanischen Sekte sind, die Kinder entführen, um ihnen das Blut abzuzapfen.
Auf ihrer Facebook-Seite hat Greene der Idee applaudiert, hochrangige Demokraten wie Nancy Pelosi ermorden zu lassen.
Und ebenfalls im Netz verbreitete sie die Idee, dass die Waldbrände in Kalifornien von einer jüdischen Bankiersfamilie gelegt worden sind – und zwar per Laser aus dem Weltall, um Platz zu schaffen für eine Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitstrasse.
»Wenn nicht einmal Marjorie Taylor Greene jenseits von Gut und Böse ist, wer ist es dann?«, fragte Anfang der Woche die »New York Times«.
In diesem Punkt sind sich die liberale Zeitung und Mitch McConnell, der Führer der Republikaner im US-Senat, ausnahmsweise einmal einig. »Abstruse Lügen und Verschwörungstheorien sind ein Krebsgeschwür für unser Land und unsere Partei«, erklärte McConnell am Montag.

Republikaner McConnell: Erstaunlich klare Worte
Foto: OLIVIER DOULIERY / AFP»Jemand, der behauptet, dass am 11. September niemals ein Flugzeug ins Pentagon eingeschlagen sei, dass Schulmassaker in Wahrheit nur gestellt waren und John F. Kennedy Junior von den Clintons ermordet wurde, hat den Boden der Realität verlassen.«
Es waren erstaunlich klare Worte von einem Mann, der Trump über Jahre jeden Irrsinn durchgehen ließ. Aber offenbar hat McConnell erkannt, was auf dem Spiel steht.
Wenn Trump die Republikaner dazu zwingen kann, Greene als normales Kongressmitglied zu akzeptieren, dann gibt es kein Halten mehr. Dann wird die Partei auch nicht mehr widersprechen können, sollte Trump eines Tages erklären, Joe Biden sei ein Marsmännchen. Oder Angela Merkel eine chinesische Doppelagentin.
Driften die Republikaner in eine Giftküche der Lügen ab?
Greene zeigt deshalb mehr als nur das Abdriften der Republikaner in die Giftküche der Lügen; die ehemalige Unternehmerin aus Georgia offenbart den Machtkampf zwischen den wenigen verbliebenen moderaten Republikanern und dem Trump-Flügel.
Um zu zeigen, dass die Republikaner nicht komplett dem Wahnsinn verfallen sind, könnte die Partei zumindest beschließen, Greene aus wichtigen Ausschüssen zurückzuziehen.
Die Kommentare McConnells dienen offenkundig auch dazu, Kevin McCarthy, den Führer der Republikaner im Repräsentantenhaus, zu diesem Schritt zu bewegen. Aber im Moment ist unklar, ob sich McCarthy das traut. Es sieht derzeit so aus, als folge die Partei lieber dem Guru in Mar-a-Lago als dem eigenen Verstand.
Ein Land am Rande des Nervenzusammenbruchs
Amerika bleibt ein Land am Rande des Nervenzusammenbruchs, das zeigt sich nicht nur in Washington, sondern auch auf der anderen Seite des Kontinents: in San Francisco. Dort sind – wie in weiten Teilen der USA – die Schulen seit Monaten geschlossen. Was aber die örtliche Schulverwaltung nicht davon abhält, in einer groß angelegten Aktion die Schulen der Stadt umzubenennen.
In einer Tabelle hat sie säuberlich aufgeführt, warum sie es für nötig hält, die gesamte Geschichte der USA von den Anfängen bis zur Gegenwart zu annullieren:
George Washington, der den Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten anführte und dann zum ersten Präsidenten gewählt wurde, wird mit zwei Wörtern abgeurteilt: »Sklavenhalter, Kolonialist«.
Auch Abraham Lincoln, der als Präsident den Krieg gegen die Sklavenhalterstaaten im Süden anführte, darf nicht auf Nachsicht hoffen. Ihm wird unter anderem zum Verhängnis, dass er den Bau der transamerikanischen Eisenbahn vorantrieb, die zur Folge hatte, dass die Ureinwohner Amerikas »ihres Landes, ihrer Kultur und ihrer Lebensgewohnheiten beraubt« wurden, wie es in dem Papier heißt.
Der Senatorin Dianne Feinstein, die seit Jahrzehnten den Staat Kalifornien im US-Senat vertritt, wird zur Last gelegt, sich vor rund 40 Jahren gegen gleichgeschlechtliche Ehen ausgesprochen zu haben.
Nach dieser Logik freilich dürfte keine Schule nach Barack Obama benannt werden. Denn auch der erste schwarze Präsident würde heute krachend durch jeden progressiven Gesinnungstest rauschen. »Die Ehe wird zwischen Mann und Frau geschlossen«, sagte Obama noch im Jahr 2004.
Was diese Woche wichtig wird
Als der russische Regimekritiker Alexej Nawalny am Dienstag zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, dauerte es nicht lange, bis der neue US-Außenminister Tony Blinken ein Statement verfasst hatte, in dem er die Freilassung des Dissidenten verlangte.
Seit Blinken im Amt ist, geht durch Europa ein Aufatmen, weil nun – so heißt es – endlich wieder ein Mann im State Department sitzt, der bereit ist, sich in der Welt zu engagieren.

US-Außenminister Blinken: Hoffnungsträger für Europa?
Foto: Mark Makela / AFPIch bin allerdings eher skeptisch, ob die Deutschen viel Freude an Joe Biden und seinem Außenminister haben werden. Auf den deutsch-amerikanischen Beziehungen liegt eine schwere Hypothek, und das liegt nicht nur an dem ehemaligen US-Botschafter Richard Grenell, der in Berlin aufgetreten ist wie ein »Kolonialoffizier« (O-Ton Martin Schulz).
Auch die Amerikaner sind sauer auf die Deutschen:
Biden nimmt es Kanzlerin Angela Merkel übel, dass sie zuließ, dass kurz vor seiner Amtseinführung ein Handelsabkommen zwischen der EU und China abgeschlossen wurde, mit dem die Bemühungen erschwert werden, eine gemeinsame Front des Westens gegen die Diktatur in Peking aufzubauen.
Der US-Präsident findet zudem, dass die Kanzlerin so gut wie nichts zur Befriedung des Ukrainekonflikts erreicht hat.
Und ihm fehlt jedes Verständnis, warum die Bundesregierung immer noch am Pipelineprojekt Nord Stream 2 festhält. Ein Biden-Berater, der über das Telefonat zwischen dem Präsidenten und der Kanzlerin in der vergangenen Woche ins Bild gesetzt wurde, erzählte mir, beide Seiten hätten das delikate Thema erst gar nicht angesprochen.
Alles das schreit nach einem Vermittler zwischen Washington und Berlin. Blinken wird derzeit bearbeitet, Karen Donfried als neue US-Botschafterin in die deutsche Hauptstadt zu schicken. Die Chefin des German Marshall Fund spricht nicht nur fließend Deutsch, sie kennt sich auch bestens aus in der Berliner Politik.
»Karen wäre eine fantastische Wahl«, sagt jemand, der regelmäßig mit Biden und Blinken spricht. Aber Donfried habe das Problem, nicht zum engsten Zirkel des Präsidenten zu gehören. »Und außerdem braucht Biden noch ein paar Posten, auf die er Spender aus dem Wahlkampf schicken kann«, sagt der Biden-Berater. In der Vergangenheit jedenfalls war Berlin recht beliebt bei reichen US-Unternehmern, die im Wahlkampf ihr Portemonnaie geöffnet hatten – was nicht weiter verwundert: Zum Posten gehört nicht nur eine Botschaft in bester Lage, sondern auch eine hübsche Villa im noblen Berliner Stadtteil Dahlem.
Unsere US-Storys der Woche
Diese Geschichten aus den vergangenen Tagen möchte ich Ihnen ans Herz legen:
Der Mann, der die Trump-Wunden heilen soll: Porträt des neuen US-Außenministers Tony Blinken
Der Schrecken der Wall Street. Wie der neue Chef der US-Börsenaufsicht Spekulationsblasen verhindern will
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche!
Herzlich
Ihr
René Pfister